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       # taz.de -- Schlingernde Brexit-Verhandlungen: Vetorecht für Irland bei EU-Grenze
       
       > Geordneter Brexit oder harte Trennung? Alles scheint möglich. In dieser
       > Woche werden Entscheidungen fallen. Plötzlich im Fokus: Irland.
       
   IMG Bild: Hat ein Wörtchen mitzureden bei der künftigen EU-Außengrenze: Irlands Regierungschef Leo Varadkar
       
       Brüssel taz | Die Europäische Union weiß nur zu gut, wie man mit
       widerspenstigen Partnern umgeht. Entweder werden sie auf EU-Gipfeln so
       lange weichgekocht, bis sie entnervt einlenken. Oder man stellt ihnen ein
       Ultimatum – „24 Uhr, isch over“, wie Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble im
       Schuldenstreit mit Griechenland zu sagen pflegte.
       
       Doch im Brexit-Streit mit Großbritannien hat bisher nichts verfangen. Im
       Oktober ignorierte Premierministerin Theresa May eine „Deadline“, der
       EU-Gipfel lief ins Leere. Wenn sich das bei der nächsten Chefrunde Mitte
       Dezember wiederholt, könnte es auf eine „schmutzige Scheidung“ hinauslaufen
       – ohne verbindlichen Deal.
       
       Doch diesmal fällt die Entscheidung nicht in einer langen Gipfelnacht,
       sondern schon zehn Tage vorher: diesen Montag, wenn sich
       EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel mit May trifft. Oder
       spätestens am Mittwoch, wenn die Kommission und die EU-Staaten in
       getrennten Sitzungen über den Stand der Dinge beraten.
       
       Wenn es bis dahin keinen „ausreichenden Fortschritt“ geben sollte, wie das
       in Brüssel heißt, dann will die EU beim Dezember-Gipfel kein grünes Licht
       für den Übergang in die nächste Verhandlungsphase geben. Dann platzen nicht
       nur die geplanten Gespräche über ein Freihandelsabkommen. Dann platzt wohl
       der ganze Scheidungsvertrag.
       
       Stand der Verhandlungen unklar 
       
       Die Gerüchteküche kocht über. Mal ist von einem Durchbruch bei den
       Finanzfragen die Rede. Dann wieder heißt es, Irland stelle sich quer. Die
       FAZ will sogar wissen, dass sich die EU bereits auf einen ungeordneten
       [1][Brexit] vorbereite.
       
       „Wir stellen uns auf alle möglichen Szenarien ein“, heißt es vieldeutig in
       Brüsseler EU-Kreisen. Das kann viel bedeuten – und nichts. Denn nicht nur
       die Briten haben bisher die nötige Klarheit vermissen lassen. Auch die
       EU-Verhandler halten ihre Karten bedeckt. Was passiert, wenn man sich nicht
       einigt, ist genauso unklar wie die Frage, was „ausreichender Fortschritt“
       genau bedeutet.
       
       Klar ist nur, dass es um drei Kernfragen geht: die Finanzen, die Grenze
       zwischen Irland und Großbritannien und die künftigen Rechte der EU-Bürger
       auf der Insel bzw. der britischen Bürger in der EU. Vor einer Woche sah es
       noch so aus, als sei man sich bei den Bürgerrechten fast einig und als sei
       die Scheidungs-Rechnung der alles entscheidende Knackpunkt.
       
       Zahlt Großbritannien nach Ausstieg weiter in EU-Kassen? 
       
       Doch in den letzten Tagen hat sich das Bild komplett verändert. Erst rückte
       die EU-Seite von den 60 bis 100 Milliarden Euro schweren Forderungen ab,
       von denen bisher immer die Rede war. Es gebe keine fixen Zahlen, sagte ein
       EU-Diplomat. Dann meldete der Telegraph, May sei zur Zahlung von 45 bis 55
       Milliarden Euro bereit. Doch weder London noch Brüssel wollen das
       bestätigen.
       
       Die Arbeiten dauerten an – „unabhängig von Gerüchten in der Presse“, sagte
       EU-Verhandlungsführer Michel Barnier. Der Teufel liegt im Detail.
       Großbritannien soll für alles bezahlen, was in den Jahren seiner
       EU-Mitgliedschaft beschlossen wurde. Alte, milliardenschwere
       Infrastruktur-Projekte gehen in die Rechnung ebenso ein wie künftige
       Pensionszahlungen für EU-Beamte.
       
       Unter dem Strich kann niemand genau sagen, wie hoch die Endsumme ausfällt –
       und ob es jemals einen Schlussstrich geben wird. Wahrscheinlicher ist, dass
       Großbritannien auch nach seinem Austritt am 29. März 2019 noch weiter in
       die EU-Kasse zahlen muss. May habe sich nur auf die von Barnier genannten
       Einzelposten eingelassen, sagen Insider in Brüssel – doch eine verbindliche
       Zahl gebe es nicht.
       
       Streit um Bürgerrechte 
       
       Im Fluss ist auch noch der Streit um die Bürgerrechte. Hier war zwar schon
       im Oktober von einem Durchbruch die Rede. Die EU hat die Bürger auch zur
       Priorität bei den Verhandlungen erklärt. Doch sie will dieses Kapitel nicht
       abschließen, bevor nicht auch die anderen Punkte geklärt sind. Vor allem
       das Europaparlament stellt sich quer – indem es droht, den ganzen
       Brexit-Deal abzulehnen.
       
       Es gebe immer noch „erhebliche Probleme“, warnt der Verhandlungsführer des
       Parlaments, der belgische Liberale Guy Verhofstadt. In der Frage des
       Europäischen Gerichtshofs (EuGH) habe es bei den Diskussionen sogar
       Rückschläge gegeben. Brüssel fordert, dass die Bürger ihre Rechte auch nach
       dem Brexit beim EuGH einklagen können. London will dies vermeiden.
       
       Als größte Hürde erscheint jetzt aber ein ganz anderes Thema: Irland. Hier
       fährt die EU einen Schlingerkurs. Zunächst drängte sie darauf, dass es
       keine neue Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland geben
       dürfe. Auch das Friedensabkommen müsse gewahrt werden. Doch nun vollzieht
       Ratspräsident Donald Tusk einen Kurswechsel.
       
       Das letzte Wort müsse Irland haben, sagte Tusk nach einem Treffen mit
       Regierungschef Leo Varadkar in Dublin. „Wenn das britische Angebot
       inakzeptabel für Irland ist, dann wird es auch inakzeptabel für die EU
       sein“, so Tusk. Damit gibt die EU dem Land de facto ein Vetorecht. Wenn es
       dabei bleibt, liegt der Schlüssel nicht mehr in Brüssel, sondern in Dublin.
       
       4 Dec 2017
       
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