# taz.de -- Der erste EU-Sozialgipfel seit 20 Jahren: Zuerst Kahlschlag, dann das Soziale
> Lange gab es keinen EU-Sozialgipfel mehr. In Göteborg soll es um
> Arbeitnehmerrechte und Bildungschancen gehen. Den Gewerkschaften reicht
> das nicht.
IMG Bild: Nehmen, was übrigbleibt: Jemand durchsucht einen Müllcontainer in Barcelona
BRÜSSEL taz | Europas Wirtschaft wächst wieder, die Eurokrise scheint
überwunden. Doch die sozialen Verwerfungen sind vor allem in Südeuropa
immer noch mehr als spürbar. Nach den Notreparaturen am Euro will sich die
EU deshalb nun auch mal um Sozialpolitik kümmern. Zum ersten Mal seit 20
Jahren findet am Freitag in Göteborg ein Sozialgipfel statt.
Eigentlich ist es nur ein Gipfelchen, strenggenommen nur ein „Leaders
Meeting“, bei dem keine bindenden Beschlüsse erwartet werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt sich wegen der
Koalitionssondierungen entschuldigen. Und die Sozialpolitik spielt keine so
prominente Rolle, wie der Titel verheißt.
In letzter Minute haben EU-Ratspräsident Donald Tusk und der Gastgeber,
Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven, das Programm nämlich um die
Themen „Bildung und Kultur“ ergänzt. Der Fokus rückt damit von der
Sozialpolitik – für die die EU ohnehin nicht zuständig ist – zur Aus- und
Weiterbildung – damit sollen Arbeitslose und Arbeitnehmer bessere Chance
auf einen (neuen) Job bekommen.
Das Soziale bezieht sich vor allem auf die neue „Säule sozialer Rechte“,
die in Göteborg feierlich besiegelt werden soll. Die EU verspricht damit
Mindeststandards für die rund 500 Millionen Menschen zwischen Helsinki und
Lissabon. Faire Jobs, eine gute Ausbildung, gerechte Löhne – so lauten die
Prinzipien, die allerdings unverbindlich bleiben und nicht einklagbar sind.
DGB: verbindliche Sozialstandards und kein Lohndumping
Den Gewerkschaften ist das nicht genug. „Es ist dringend notwendig, das
Vertrauen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in das europäische
Einigungs- und Friedensprojekt zu stärken und auszubauen“, heißt es in
einer DGB-Entschließung. Nötig seien verbindliche Sozialstandards und ein
Ende des Lohndumping, für das der DGB unter anderem die umstrittene
Entsenderichtlinie verantwortlich macht.
Dagegen legen die Arbeitgeber den Akzent vor allem auf Flexibilität und
Mobilität. Arbeitnehmer sollen keine „starren“ Arbeitszeiten mehr haben und
motiviert werden, für eine Ausbildung oder einen Job quer durch Europa zu
ziehen. Dass die EU in Göteborg nun auch über Bildung und Kultur (sprich:
Sprachkenntnisse) spricht, kommt den Konzernen und ihrer Brüsseler Lobby
entgegen.
Erfreut ist man auch über eine Studie der Bertelsmann-Stiftung vom
Donnerstag. „Die sozialen Ungleichheiten in der EU nehmen ab“, so die
zentrale Botschaft. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt gehe es voran: In 26 von
28 EU-Ländern ist die Arbeitslosenquote gesunken. Ergo: Die
Austeritätspolitik zeige endlich Wirkung.
Allerdings sieht auch die Untersuchung 2016 immer noch große Unterschiede
zwischen Nord und Süd. Während beim Spitzenreiter Deutschland die
Jugendarbeitslosigkeit 2016 bei 7,1 Prozent lag, kam das Schlusslicht
Griechenland auf erschreckende 47,3 Prozent. Und das, obwohl die EU auf dem
Höhepunkt der Eurokrise eine „Jugendgarantie“ beschlossen hatte – also ein
Jobangebot für alle unter 25, falls sie arbeitslos werden. Offenbar hat
auch diese Maßnahme ihre Wirkung verfehlt.
17 Nov 2017
## AUTOREN
DIR Eric Bonse
## TAGS
DIR Soziales
DIR DGB
DIR EU
DIR Europäische Union
DIR Europäische Union
DIR Griechenland
DIR EU-Kommission
DIR Europäische Union
DIR Spanien
DIR EU-Förderprgrogramm
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR EU-Sozialgipfel in Porto: Scharfe Kritik an Merkel
Die Bundeskanzlerin nimmt nur virtuell teil. Auch deshalb wird es bei dem
Treffen keine verpflichtenden Beschlüsse geben.
DIR Gewerkschafterin über EU-Politik: „Soziales stärker berücksichtigen“
Die neue Debatte über soziale Leitlinien in Europa habe sich zum Megathema
entwickelt, sagt Gabriele Bischoff. Dadurch könne neues Vertrauen in die EU
entstehen.
DIR Griechische Ministerin über Finanzpolitik: „Reiche müssen jetzt Steuern zahlen“
Die griechische Arbeitsministerin Effi Achtsioglou lobt die Arbeit ihrer
Regierung gegen Schwarzarbeit und Steuerflucht. Sparprogramme hätten aber
keinen Erfolg.
DIR Wirtschaftspolitische Empfehlung der EU: Brüssel will mehr Soziales und sparen
Frankreich und Italien sollen ihre Ausgaben senken. Gute Noten vergibt die
EU-Kommission an Deutschland und Griechenland.
DIR Essay Zukunft der Europäischen Union: Wer schützt die Armen?
Die Politologin Ulrike Guérot fordert eine europäische Republik. Doch
solange es keine Fiskal- und Sozialunion gibt, braucht es den
Nationalstaat.
DIR Junge Arbeitslose in Spanien: „Die Gelder werden schlecht genutzt“
Eines der drängendsten Probleme des Landes ist die hohe
Jugendarbeitslosigkeit. Wie die EU Milliarden ausgibt, um Jobs für junge
Leute zu schaffen.
DIR Junckers Grundsatzrede zur Lage der EU: „Solidarität lässt sich nicht erzwingen“
Juncker will die Investitionen auf 630 Milliarden Euro verdoppeln, um
Europa wieder auf Trab zu bringen. Für ein grundsätzliches Problem hat er
keine Lösung.