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       # taz.de -- taz🐾thema: Trockengelegt
       
       > Der Aralsee drohte zu verschwinden, jetzt arbeiten Hilfsorganisationen
       > gegen die Umstände: Das World Agroforestry Centre (ICRAF) im kirgisischen
       > Bischkek nimmt es mit der wasserverbrauchenden Landwirtschaft auf. Die
       > Hilfe ist gerne gesehen
       
   IMG Bild: Die Fotos zu den taz-thema-Seiten Freiwillig helfen stammen aus einer Bildreportage von Shamil Zhumatov und setzen die Hilfsmaßnahmen rund um den Aralsee ins Bild (hier in Kasachstan). Ob sich der Aralsee jemals wieder vollständig erholen wird, ist zu bezweifeln
       
       Von Lukas Dörrie
       
       Als die Sowjetunion dem Aralsee nach und nach den Wasserhahn zudrehte,
       dachte kaum ein Mensch über die möglichen Konsequenzen nach. In nur 35
       Jahren schrumpfte die Oberfläche des Sees um 90 Prozent zusammen. Grund
       dafür war eine ungünstige Kombination aus intensiver Bewässerung von
       zentralasiatischen Baumwollfeldern und zurückgehenden Niederschlagwerten
       bei einem ohnehin schon trockenen kontinentalen Klima.
       
       Am Ende war der Großteil des bis dahin viertgrößten Binnengewässers
       ausgetrocknet und der verbleibende Rest stark versalzen. Das blieb
       natürlich kein rein ökologisches Desaster. Denn auch wirtschaftlich war die
       Region stark von dem Salzsee abhängig. Das Hauptgeschäft, die Fischerei,
       war zerstört. Die Schifffahrt, die bis dahin einen wichtigen Teil der
       Infrastruktur bildete, wurde quasi trockengelegt. Und als wäre das nicht
       schon schlimm genug, nahm auch die Kindersterblichkeit zu und die Krebsrate
       stieg an.
       
       Heute birgt die Region, die nach dem Ende der UdSSR in mehrere Länder
       unterteilt wurde, ein Potenzial für internationale Konflikte, denn Wasser
       ist eine rare Ressource in vielen zentralasiatischen Ländern. Noch immer
       fließt Schmelz- und Regenwasser aus dem Tian-Shan-Gebirge 2.212 km bis in
       den Aralsee. Und noch immer sind die Länder entlang der Flüsse besonders
       landwirtschaftlich von dem Wasser abhängig. In Kirgistan, einer
       parlamentarischen Republik am Ursprung des Flusses, sind die Wasserprobleme
       noch verhältnismäßig gering. Trotzdem findet das verbrauchte Wasser den Weg
       nicht weiter nach Usbekistan oder Kasachstan.
       
       Dort, in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, forscht ein kleines Büro des
       World Agroforestry Centre (ICRAF) an ökologischen Maßnahmen zur Reduzierung
       des landwirtschaftlichen Wasserkonsums. „In Kirgistan ist unsere Arbeit,
       dank des politischen Systems, im Vergleich zu den Nachbarstaaten relativ
       uneingeschränkt“, begründet Niels Thevs, der Leiter des zweiköpfigen Teams,
       die Niederlassung in Bischkek. Wir sitzen in einem Taxi auf dem Weg in den
       Süden des Landes, wo ICRAF den Wasserverbrauch von Silberpappeln
       untersucht. „Wir forschen hier an Agroforstsystemen. Das bedeutet, dass
       Bäume in die Landwirtschaft integriert werden.“
       
       Als wir ankommen, sehe ich, was er meint. Die Baumwollfelder sind von
       Baumreihen, in der Fachsprache „Windschutzstreifen“, eingerahmt.
       Ausgerüstet mit Laptop und ein paar Kabeln steuern wir auf drei der Pappeln
       zu. „Wir lesen jetzt die Daten aus. Seit Mai messen wir hier minütlich, wie
       viel Wasser im Stamm transportiert wird“, berichtet Kumar Aliev, gebürtiger
       Kirgise und Zweiter im Bunde des Forscherduetts. Sie zeigen mir die kleinen
       Sensoren im Baum. Zusammen mit den Ergebnissen der Klimastation im
       Baumwollfeld will ICRAF herausfinden, ob und wie viel Wasser durch
       Agroforstsysteme gespart werden kann. „Aus anderen Studien wissen wir, dass
       Windschutzstreifen der Wasserverdunstung im Feld entgegenwirken“, erläutert
       Thevs. Außerdem bieten die Bäume eine Rückzugmöglichkeit für wilde Tiere,
       sind eine wichtige Nahrungsquelle für Bestäuber, verringern die
       Bodenerosion der Baumwollfelder und können auch einen Beitrag zur lokalen
       Ökonomie leisten. „Das Holz der schnell wachsenden Pappeln wird als Bauholz
       oder Brennholz genutzt. Gerade Letzteres ist bei den kalten Wintern und den
       vielen kleinen abgeschiedenen Dörfern sehr wichtig“, erklärt Aliev das
       häufige Vorkommen der Baumart.
       
       In Zukunft soll sich ein weiteres Projekt in Zusammenarbeit mit der
       Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit der Erzeugung
       höherwertiger Produkte aus dem Holz beschäftigen. „Damit könnten wir die
       regionale Wertschöpfung noch verbessern. Auch kleinere holzverarbeitende
       Betriebe könnten profitieren“, freuen sich die Forscher.
       
       Ob eine Wassereinsparung durch Windschutzstreifen die Katastrophe des
       Aralsees verhindert hätte, ist fraglich. Dafür hätte es weiterer Maßnahmen
       wie der wassersparsamen Tröpfchenbewässerung bedurft. Aber Fakt ist: Für
       die Zukunft müssen sich Kirgistan und die umliegenden zentralasiatischen
       Länder wappnen. Denn der Wandel des Klimas lässt die Gletscher schmelzen.
       Bis Ende des Jahrhunderts wird mit einem Rückgang der großen regionalen
       Flüsse von bis zu 50 Prozent gerechnet. Theoretisch hat das kleine
       ICRAF-Büro bis dahin noch etwas Zeit, mit der Forschung das Land auf die
       Veränderung vorzubereiten. Bleibt zu hoffen, dass es klappt.
       
       2 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Dörrie
       
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