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       # taz.de -- Die Wahrheit: Vorweihnachtsaggros
       
       > Tagebuch einer Lieben: Auf den Berliner Straßen findet das beliebte
       > Rein-Raus-Spiel immer häufiger statt. Begleitet wird es von Wut.
       
   IMG Bild: In Deutschland wird UberPop nach negativen Gerichtsentscheidungen schon seit 2015 nicht mehr angeboten. Nun ist er wohl auch in der EU erledigt
       
       Manchmal geht es im Leben um so einfache Dinge wie „Rein-Raus“. Nein, ich
       spreche nicht von irgendwelchen Ferkeleien, an die jetzt alle wieder
       denken, sondern von einem knallhart schrödermäßigen „Ich will da
       rein!“-Anfall.
       
       Einen solchen bekam der Kundendienstmitarbeiter, der meinen brandneuen
       Edelstahlherd verarzten sollte, weil das noch jungfräuliche
       Induktionskochfeld streikte. „Ich komm nicht rein!“, fluchte der Mann,
       nachdem er sämtliche Tastenkombinationen gedrückt und Beschwörungsformeln
       an das Computerprogramm gerichtet hatte. Es blieb fruchtlos.
       
       Wir besitzen jetzt ein ästhetisch ansprechendes Küchengerät, das dem Auge
       mit preisgekröntem italienischem Design schmeichelt, was die Befriedigung
       unserer Bedürfnisse nach warmer Nahrung angeht, allerdings zu wünschen
       übrig lässt. Es wurden Ersatzteile bestellt, die wahrscheinlich Ostern
       eintreffen werden, für Heiligabend denken wir über Sushi nach. Kann man
       Reis auch im Tauchsieder garen?
       
       Angesichts des bereits voll entbrannten Vorweihnachtswahnsinns entschied
       ich mich zu frühzeitigen Hamsterkäufen. Auf dem Weg zum Asiamarkt dröhnte
       mir anhaltendes Wutgehupe entgegen. Wie sich herausstellte, war der
       Verursacher ein DHL-Lieferfahrzeug, das in zweiter Reihe einen vorbildlich
       geparkten Wagen blockierte, dessen Fahrer im Gegensatz zu meinem
       Kundendienstmann nicht rein-, sondern rauswollte.
       
       Neben ihm in einem Wagen Stuttgarter Herkunft saß eine blonde Frau; neben
       dem DHL-Wagen stand der Fahrer, dessen Herkunft wiederum im Wedding oder
       Neukölln zu vermuten war, und hörte dem Krach gelassen zu. Bis zu dem
       Moment, in dem der Wuthuper versuchte, ein Handyfoto von ihm zu machen.
       Hätte er nicht tun sollen. Freundlich, aber bestimmt wurde Löschung
       verlangt, er könne ja das Nummernschild fotografieren, freies Land und so,
       aber eben auch Recht am eigenen Bild.
       
       Ich verschob meine Hamsterkäufe, das hier versprach spannender zu werden.
       Ein Wort gab das andere, bis ein offenbar mediatorisch geschulter Passant
       im Vorbeigehen den entscheidenden Rat gab: „Wenn der das Foto nicht löschen
       will, dann können Sie nur noch die Polizei rufen.“ Eine Idee, die der
       DHL-Mann gern aufnahm.
       
       Eineinhalb Stunden später bot sich mir bei der Rückkehr von meinen
       Einkäufen ein unverändertes Bild. Dem Huper war offenbar der Saft
       ausgegangen, mitleidig bot ich dem DHL-Mann an, doch einfach mein Auto zu
       blockieren. Das stand fünfzig Meter entfernt und war das gewohnt. Er winkte
       ab. „Isch muss jetzt auf Polizei warten. Wenn der Typ so lieb gefragt
       hätte, wie Sie sind, denn wär der schon längst draußen.“
       
       Danke, DHL! Endlich hat jemand meine wahre Natur erkannt! Nehmt euch ein
       Beispiel, Vorweihnachtsaggros! Mit Liebe kommt man – außer in mein
       Herdprogramm – überall rein. Und wer ganz lieb fragt, wird auch wieder
       rausgelassen.
       
       7 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Frankenberg
       
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