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       # taz.de -- Rumänischer Film „Vânătoare“: Was unter der Brücke geschieht
       
       > Cola aus der Dose und Kette rauchen: „Vânătoare“ von Alexandra Balteanu
       > erzählt fast dokumentarisch von Prostitution in Rumänien.
       
   IMG Bild: Beim Max-Ophüls-Preis erhielt der Film die Auszeichnung für die beste Regie
       
       Über offener Gasflamme hängt ein gerupfter Taubenkörper. Lidia (Corina
       Moise) hat das Tier getötet, von denen noch einige mehr auf dem Hof gurren.
       An Tauben mangelt es nicht. Dafür aber an Geld. Das erhofft sich Lidia,
       ebenso wie Denisa (Iulia Lumânare) und Vanessa (Iulia Ciochina), unter
       einer Autobahnbrücke.
       
       In der Nähe von Voluntari hat Alexandra Balteanu ihren Abschlussfilm für
       die DFFB gedreht, in einer kleinen Stadt in der Walachei unweit von
       Bukarest. Beim Max-Ophüls-Preis erhielt sie dafür die Auszeichnung für die
       beste Regie. Was unter der Brücke geschieht: Lidia, Denisa und Vanessa
       prostituieren sich, manchmal verlangen sie 40 Lei, dann nur 30. Beides
       ergibt umgerechnet einen Betrag von weniger als zehn Euro.
       
       Neben den Freiern hält hin und wieder aber auch die Polizei, die den Frauen
       ihren Verdienst abknöpft. Prostitution ist in Rumänien illegal. Und
       gleichsam Verhandlungssache. In einem Interview, das Balteanu für das
       rumänische Magazin Ziarul Metropolis gegeben hat, spricht sie von Rumänien
       als einer Art rechtlicher Grauzone. Um Strafgelder wird gefeilscht und
       genauso um die Frage, wer sich im Recht sieht.
       
       Im Grunde handelt es sich um ein Machtspiel. „Vânătoare“ steuert auf ein
       solches zu, auch wenn die Anlagen des Spiels – ausgetragen zwischen Männern
       und Frauen, aber auch unter den Frauen selbst – sich über den ganzen Film
       erstrecken. Lidia streitet mit ihrem Sohn und Vanessa mit einem Mann in
       einer Spielothek. Lidia und Denisa wollen Vanessa wiederum nicht neben sich
       unter der Brücke wissen, wo sie versuchen, die Autofahrer zum Halten zu
       bringen. Zu viel Konkurrenz.
       
       Schließlich steuert „Vânătoare“ aber auf jenen Konflikt mit der Polizei
       hin, der an Kathryn Bigelows Spielfilm „Detroit“ denken lässt, der vor
       einigen Wochen in den Kinos angelaufen ist. Denn so ganz fair verhandelt
       werden kann dann doch nicht. Es gibt natürlich ein Machtgefälle. Die
       Polizisten schauen auf die drei Frauen herab.
       
       ## Den Gesichtern der Frauen fehlt die Farbe
       
       Auf das Konfliktverhältnis zwischen Polizei und sich prostituierenden
       Frauen in Rumänien ist Alexandra Balteanu gemeinsam mit Xandra Popescu
       gestoßen, mit der sie auch am Drehbuch gearbeitet hat. Sie erfuhr von einem
       Treffen zwischen der Aras, einer rumänischen Anti-Aids-Vereinigung, und
       Carusel, einer Organisation, die sich für die Verbesserung der
       Lebensqualität von Menschen engagiert, die kommerziellen Sex praktizieren.
       Während des Treffens kam man auch auf Situationen zu sprechen,
       Zwischenfälle zwischen Frauen und Polizisten, wie sie nun schließlich auch
       im Film zu sehen sind.
       
       Visuell ist „Vânătoare“, was übersetzt so viel wie „Jagd“ bedeutet,
       ultimativ trist gehalten. Die Bilder sind jeder Wärme beraubt und den
       Gesichtern der Frauen fehlt die Farbe. Man trinkt Cola aus der Dose und
       raucht Kette, für die Liebe schaltet zumindest Vanessa eine Kontaktanzeige,
       in der sie nach einem Mann mit grünen Augen sucht. Vanessa hat dafür ein
       Exemplar daheim sitzen, das nicht arbeiten geht und dem sie die
       Zigarettenpäckchen zahlt.
       
       Es gibt wirklich keinen einzigen Moment in diesem Film, der so etwas wie
       Erbauung bedeuten könnte. Gleichzeitig ist man auch nicht in der Lage, das
       Geschehen zu abstrahieren und damit von sich zu weisen: Balteanu hat sich
       bemüht, ihre Arbeit so dokumentarisch wie möglich zu gestalten. Als
       filmische Vorbilder nennt sie Ulrich Seidl, Lars von Trier oder Pedro
       Costa. Die neuen rumänischen Filmemacher beobachtet und schätzt sie, fühlt
       sich jedoch – Balteanu ist seit 2003 in Deutschland – stilistisch dem
       deutschen Kino näher.
       
       „Vânătoare“ konnte sie für unter 10.000 Euro realisieren, was sicher mit
       der Produktionsstätte Filmhochschule zu tun hat. Beeindruckend ist es
       dennoch.
       
       7 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolin Weidner
       
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