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       # taz.de -- Reform der europäischen Währungsunion: Deutschland regiert durch
       
       > EU-Kommissionspräsident Juncker hat Pläne für eine demokratischere
       > Währungsunion angekündigt. Sie tragen eine deutsche Handschrift.
       
   IMG Bild: Er ist zwar nicht der neue Schäuble, aber er ins Sachen Macht kommt er ihm nahe
       
       Brüssel taz | Es sollte Jean-Claude Junckers letzter großer Aufschlag
       werden, eine Art Vermächtnis für die Eurozone. Doch bei der Vorstellung
       seines „Nikolauspakets“ zur Reform der Währungsunion war der
       EU-Kommissionschef gar nicht anwesend. Stattdessen erklomm ein unerwarteter
       Gast die Pressebühne: Budgetkommissar Günther Oettinger, ein CDU-Politiker,
       führte am Mittwoch in Brüssel das große Wort.
       
       Die Kommission habe „Abstand genommen von einem Eurozonen-Budget“, wie es
       der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hatte, erklärte
       Oettinger. Stattdessen soll nun Geld aus dem EU-Haushalt für die Eurozone
       bereitgestellt werden – also unter seiner Kontrolle. Eine Transferunion sei
       dabei ebenso ausgeschlossen wie eine Aufweichung der Defizitkriterien,
       betont Oettinger.
       
       Dass der Spiegel vorab anderes berichtet hatte, sei „schlichte
       Falschinformation“, betonte der deutsche EU-Kommissar. Seine eigentlich für
       den Euro zuständigen Kollegen Valdis Dombrovskis und Pierre Moscovici
       nickten. Die Wirtschafts- und Währungskommissare, die bei der wichtigen
       Reform angeblich die Feder führten, wirkten so abwesend wie Juncker.
       
       Viele Vorschläge, die Oettinger und seine Kollegen präsentierten, haben
       eine deutsche Handschrift. Darunter sind nicht nur – wie erwartet – ein
       Euro-Finanzminister und ein Europäischer Währungsfonds.
       
       Überraschend kommen auch überholt geglaubte Instrumente wie der Fiskalpakt
       und die Reformverträge zu neuen Ehren. Als Kanzlerin Angela Merkel sie auf
       dem Höhepunkt der Eurokrise vorgeschlagen hatte, waren sie sehr umstritten.
       Nun sollen sie ganz beiläufig in EU-Recht eingefügt und durchgesetzt
       werden. Der Fiskalpakt soll über eine EU-Richtlinie rechtsverbindlich
       werden – also ohne langwierige Vertragsänderung.
       
       ## Mehr Kontrollen
       
       Dabei bedeutet er eine grundlegende Änderung: Alle EU-Länder müssten sich
       nicht nur auf einen ausgeglichenen Haushalt in guten Zeiten verpflichten.
       Sie müssten sich auch neuen Kontrollen durch die Kommission unterwerfen.
       
       In Ländern wie Italien, Spanien oder Frankreich, die jetzt schon mit den
       Defizitregeln kämpfen, dürfte dies nicht für Begeisterung sorgen. Spanien
       hatte sich auch lange gegen Merkels Reformverträge gewehrt. Jetzt sollen
       sie trotzdem kommen – als „Instrument zur Reformumsetzung“. Wer den
       Arbeitsmarkt liberalisiert oder das Rentenalter erhöht, soll dafür mit Geld
       aus dem EU-Budget belohnt werden – wenn Oettinger grünes Licht gibt.
       
       Wie hoch das neue Euro- und Reform-Budget sein soll, ist noch unklar. Dabei
       soll die neue Budgetlinie nicht nur Strukturreformen unterstützen, sondern
       Nicht-Euro-Länder wie Bulgarien an die Währungsunion heranführen.
       
       Auch eine „Stabilisierungsfunktion“ bei Konjunkturschocks und eine
       „Letztsicherung“ für die Bankenunion sind vorgesehen. Die ersten drei
       Budgetlinien sollen Oettinger direkt unterstehen. Nur der letzte
       Finanzposten wird wohl im Eurorettungsfonds ESM angesiedelt, der zu einem
       „Europäischen Währungsfonds“ ausgebaut werden soll.
       
       ## Mehr Macht für die EU-Kommission
       
       Insgesamt ergibt sich ein verwirrendes Bild. Mit den von Juncker
       angekündigten Initiativen für eine gerechtere und demokratischere
       Währungsunion haben sie nicht mehr viel zu tun. Eher läuft es auf mehr
       Disziplin und mehr Macht für die EU-Kommission hinaus. Dies zeigt sich
       auch, wenn man die Vorschläge im Einzelnen betrachtet:
       
       Der Europäische Währungsfonds soll nicht nach dem Vorbild des
       Internationalen Währungsfonds arbeiten, also mit Finanzziehungsrechten und
       Mehrheitsentscheidungen. Vielmehr soll es beim bisherigen ESM-Recht
       bleiben, womit Deutschland ein Vetorecht behielte. Auch die Finanzierung
       soll nicht geändert werden. Der deutsche ESM-Vorsitzende Klaus Regling
       bleibt.
       
       Der künftige EU-Finanzminister soll ähnlich wie die Außenbeauftragte
       Federica Mogherini mehrere Funktionen auf sich vereinen und gleichzeitig
       Vizepräsident der EU-Kommission und Eurogruppen-Vorsitzender sein. Das
       stößt jedoch auf Widerstand in der Eurogruppe, die gerade einen neuen Chef
       gewählt hat. Zudem ist unklar, über welche Finanzmittel der Minister
       verfügen würde. Das letzte Wort hätte vermutlich Budgetkommissar Oettinger.
       
       Das Europaparlament soll zwar die Vorschläge der EU-Kommission durchwinken.
       Unklar bleibt, ob und welche neuen Rechte die Europaabgeordneten erhalten.
       Auf Nachfragen konnte die Brüsseler Behörde keine konkreten Beispiele für
       eine „demokratische Kontrolle“ nennen. Das Europaparlament äußerte sich
       kritisch zu den Reformplänen. Während sie für den CSU-Finanzexperten Markus
       Ferber schon viel zu weit gehen, bleiben sie hinter den Wünschen der
       Sozialdemokraten und Grünen zurück.
       
       So warnt der Vorsitzende der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer, dass der
       ESM künftig „europaweit die Haushaltspolitik aus der Berliner Wilhelmstraße
       machen“ könnte. „Das war Schäubles Traum, für alle unsere Nachbarn aber ein
       Trauma. Das sollten wir hinter uns lassen.“
       
       6 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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