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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Bundestugendministerin
       
       > Endlich: Alice Schwarzer will der #MeToo-Bewegung ein deutsches Gesicht
       > geben. Es wurde aber auch Zeit, dass die Unermüdliche in Amt und Würden
       > gerät.
       
   IMG Bild: Lächeln für Deutschland: Die tugendhafte Tugendministerin in spe
       
       Lange Zeit war es nur ein Gerücht. Jetzt liegt die offizielle Bestätigung
       vor: Alice Schwarzer wird in der kommenden Bundesregierung das neu zu
       schaffende Amt der Bundestugendministerin bekleiden. Als parteilose
       Politikerin würde sie sich sowohl einer Großen Koalition als auch einem
       Jamaika-Bündnis zur Verfügung stellen, aber auch einer Minderheitsregierung
       der Unionsparteien.
       
       Als Tugendministerin will die Feministin Schwarzer „der #MeToo-Bewegung ein
       deutsches Gesicht geben“, einen neuen Gesetzentwurf zum endgültigen Verbot
       der Pornografie und der Prostitution einbringen und eine „Quick Reaction
       Force“ schaffen, die in allen öffentlichen Räumen die Interaktion zwischen
       den Geschlechtern überwacht und sofort dazwischengeht, wenn der Verdacht
       auf einen sexuellen Übergriff vorliegen sollte. „Und zwar besser hundertmal
       zu oft als einmal zu selten“, wie es in einer Denkschrift aus dem
       Dunstkreis der von Alice Schwarzer herausgegebenen Zeitschrift Emma heißt.
       
       Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, das Geplänkel potenziell
       paarungsbereiter Männer und Frauen zu unterbinden, wie manche voreiligen
       Kritiker vermuten. Gedacht wird vielmehr an eine Kontrolle, der exakte
       Daten zugrunde liegen. Mithilfe von Gesichtserkennungsverfahren soll der
       soziale Status jedes Individuums erfasst werden, damit sich das
       Machtgefälle berechnen lässt, das sich beim Austausch mit anderen Personen
       ergibt. Je steiler es ist, desto schwerer fallen akustisch aufgezeichnete
       Reizvokabeln ins Gewicht, die auf einen Machtmissbrauch hindeuten könnten
       (zum Beispiel „Piccolöchen“, „Grappa“, „Hotelzimmer“, „Beförderung“,
       „Schneckerl“, „Sei doch nicht so“).
       
       Erkennt das Computerprogramm zudem mehr als drei von 50 Handbewegungen, die
       für unverbesserliche „Machos“ typisch sind, schwärmt die Eingreiftruppe aus
       und führt am Tatort eine eingehende Untersuchung durch. Wenn sich die
       belastenden Indizien dabei verdichten, wird der mutmaßliche Täter in
       Untersuchungshaft genommen und spätestens nach sechs Monaten vor Gericht
       gestellt.
       
       ## Frauenquote für NS-Dokus
       
       In den Zuständigkeitsbereich der Tugendministerin Schwarzer wird auch eine
       schonungslose, bereits jetzt mit Spannung erwartete Analyse des
       Frauenbildes in den Regierungserklärungen der Kanzler Adenauer, Kiesinger,
       Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder fallen sowie die Festsetzung einer
       Frauenquote für historische Fernsehdokumentationen über das „Dritte Reich“.
       
       Einem Eckpunktepapier, das unter Hauptstadtjournalisten kursiert, ist zu
       entnehmen, dass Männer wie Hitler, Göring und Goebbels in diesen Beiträgen
       oft überrepräsentiert seien; in Zukunft sollten „vor allem Eva Braun, Magda
       Goebbels, Leni Riefenstahl, Hitlers Sekretärin Traudl Junge und die
       Kampffliegerin Hanna Reitsch viel stärker berücksichtigt werden.
       Nachzudenken wäre darüber hinaus über eine Rehabilitierung der einstigen
       Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, die 1950 in einem
       aufsehenerregenden Strafverfahren ihre bürgerlichen Ehrenrechte verloren
       hatte, obwohl ihr keine persönliche Schuld nachzuweisen war.“
       
       Stützen kann sich Schwarzer bei ihrer ministeriellen Tätigkeit auf den
       enormen Vertrauensvorschuss, den sie sich in den vergangenen 50 Jahren
       erarbeitet hat – nicht nur als engagierte Feministin, sondern auch als
       fernsehtaugliche Ratefüchsin, als Bundesverdienstkreuzträgerin und als
       Gerichtsreporterin der Bild-Zeitung. Viele waren erstaunt, als Alice
       Schwarzer sich 2010 in den Dienst eines Blattes stellte, das sonst
       hauptsächlich für Oben-ohne-Fotos von prominenten Frauen und die
       Berichterstattung über Heiner Lauterbachs Puffbesuche zuständig war und im
       Inseratenteil „Bumskontakte“ vermittelte, doch mittlerweile hat sich
       gezeigt, dass damit alte Gräben zugeschüttet wurden.
       
       ## Verdienstvoll für den kleinen Mann
       
       Die Aussöhnung zwischen der Frauenbewegung alten Stils und dem Leitmedium
       des kleinen Mannes von der Straße ist allein Alice Schwarzers Verdienst.
       Und ihr ist es auch zu verdanken, dass sich heute überhaupt niemand mehr
       geniert, der Bild-Verlegerin Friede Springer die Hand zu geben und
       Geschäfte mit Mathias Döpfner zu machen.
       
       Ja, man kann sagen, dass Alice Schwarzer ihr Leben lang Brücken gebaut,
       alte Wunden geheilt und die Nation geeint hat. In der Vergangenheit sind
       gewiss auch harte Worte gefallen; beispielsweise 1998 in Emma die der
       Rapperin Alina: „Tötet alle Kinderschänder / in unser aller Herrenländer /
       macht sie alle mausetot / Knarre raus und klick und tot“.
       
       Das würde Alice Schwarzer inzwischen wahrscheinlich nicht mehr ohne
       Weiteres unterschreiben. Die Würde des Amtes, das sie antreten wird,
       erlaubt es ihr nicht, immer Klartext zu reden. Zumal in wenigen Jahren noch
       höhere Weihen auf sie zukommen könnten, denn der Job der
       Bundestugendministerin dürfte sich als das ideale Sprungbrett ins Schloss
       Bellevue erweisen.
       
       Und das hätte Deutschland sich redlich verdient.
       
       11 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gerhard Henschel
       
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