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       # taz.de -- Fünf Jahre Foodsharing: Einfach viel zu gut für den Eimer
       
       > Foodsharing ist eine Bewegung mit 30.000 Aktivisten und 3.000 Betrieben.
       > Ihr größter Erfolg: Die Öffentlichkeit ist für das Thema sensibilisiert.
       
   IMG Bild: Sieht noch frisch aus
       
       „Ja klar, kenne ich“, bekommt Manuel Wiemann immer öfter zu hören, wenn er
       von seinem Engagement erzählt. Wiemann rettet Lebensmittel vor dem Müll,
       indem er sie bei Supermärkten, Bäckereien oder Kantinen abholt und
       weiterverteilt, zubereitet, verwertet – er macht bei Foodsharing mit. Die
       Geschichten von der etwas zu krummen Gurke, dem gerade erst abgelaufenen
       Joghurt oder dem aus dem Sortiment genommenen Markenprodukt sind
       mittlerweile richtig vielen Leuten bekannt. In Deutschland ging es etwa im
       Jahr 2011 los. Damals erschien der Film „Taste the Waste“ von Valenthin
       Thurn, der Lebensmittelverschwendung thematisiert und eine
       gesellschaftliche Diskussion in Gang setzte – kurze Zeit später wurde der
       Verein Foodsharing gegründet.
       
       Inzwischen ist eine kleine Bewegung daraus geworden: Am 12. Dezember wird
       fünfter Geburtstag gefeiert – Jubiläumstag ist der Tag, an dem
       foodsharing.de online ging. „Der größte Erfolg von Foodsharing ist wohl,
       dass es eine enorme Sensibilisierung für das Thema gegeben hat“, sagt
       Wiemann, der sich um Pressearbeit und Bildung kümmert. Über 30.000
       Foodsaver organisieren heute bei über 3.000 Betrieben in Deutschland,
       Österreich, Holland und der Schweiz durchschnittlich 495 Abholungen am Tag
       – alles ehrenamtlich.
       
       Vor fünf Jahren waren es nur Raphael Fellmer, Initiator der ersten
       Foodsharing-Kooperation, und etwas über hundert Gleichgesinnte in Berlin
       und Hamburg, die in etwa zehn BioCompany-Filialen nicht mehr verkäufliche
       Waren abholten. Die Dimensionen haben sich inzwischen verdreihundertfacht,
       bislang gab es 790.000 „Essensrettungseinsätze“. Öffentliche Kühlschränke
       und Essensregale werden in vielen Städten sogar als gewerbliche
       Lebensmittelunternehmen angesehen.
       
       Trotz des Wachstums: „Wir liegen im Promillebereich dessen, was in
       Deutschland alles weggeworfen wird“, sagt Wiemann. 60 Prozent des Abfalls
       werden laut einer Studie des WWF von 2015 nämlich von Produzenten und
       Großverbrauchern wie Gastronomien und Kantinen verursacht.
       
       Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter
       Minister Christian Schmidt (CSU) sah das lange Zeit anders und machte die
       privaten Haushalte für den größten Teil der Gesamtabfallmenge
       verantwortlich. Dabei berief es sich auf eine eigene Studie, die der
       Bundesrechnungshof und die beauftragte Universität Stuttgart selbst
       inzwischen für problematisch halten, da der Einzelhandel die Erhebungsbögen
       zum Großteil gar nicht beantwortet hatte.
       
       ## Gesetzlicher „Wegwerfstopp“ gefordert
       
       Die BMEL-Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung „Zu gut für die Tonne“
       setzte trotzdem ab 2012 in erster Linie auf „Aufklärung der Verbraucher,
       Informationen und Tipps zur Resteverwertung“, sagt Sprecherin Marina Link.
       Erst seit 2016, nachdem der Bundesrechnungshof zudem kritisiert hatte, dass
       die Kampagne keine Reduzierung der Verschwendung nachweisen konnte, werden
       mit dem Bundespreis von „Zu gut für die Tonne“ auch Projekte in den
       Bereichen Produktion, Handel, Gastronomie und Bildung ausgezeichnet.
       
       Auch wenn Foodsharing bekannter geworden ist: Es ist unrealistisch, die
       Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren, wie es in den UN-Zielen
       für nachhaltige Entwicklung festgelegt ist, glaubt Wiemann. Er setzt auf
       politische Bildung. Und: Die künftige Aufgabe von Foodsharing müsse sein,
       „Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette“ zu
       thematisieren, also auch in Ernte, Verarbeitung, Handel und Verkauf.
       
       Zum Foodsharing-Geburtstag fordert die Organisation deswegen auch einen
       gesetzlich verankerten Wegwerfstopp für Supermärkte sowie mehr
       Rechtssicherheit für Lebensmittelretter*innen. Wenn abgelaufene
       Nahrungsmittel öffentlich geteilt werden und die Verteilpunkte als
       gewerblich gelten, müssen diese nämlich die Hygienestandards der
       Lebensmittelbehörden erfüllen – andernfalls machen Foodsharer sich sogar
       strafbar.
       
       Eins ist klar: „Ziel ist natürlich, sich irgendwann selbst aufzulösen“,
       sagt Wiemann. „Und zwar in dem Sinne, dass es das Problem nicht mehr gibt.
       Aber noch muss es uns geben.“
       
       12 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Louisa Theresa Braun
       
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