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       # taz.de -- Linkenpolitikerin über Abtreibungen: „Das war Teil meiner Politisierung“
       
       > Schwangerschaftsabbrüche haben im Strafrecht nichts verloren, sagt
       > Cornelia Möhring. In einem ersten Schritt sollte der Paragraf 219a
       > gestrichen werden.
       
   IMG Bild: Frauen protestieren in Polen für ihr Recht auf Selbstbestimmung – gegen das Verbot von Abtreibungen
       
       taz: Frau Möhring, am Freitag steht in Gießen die Ärztin Kristina Hänel vor
       Gericht, weil sie [1][auf ihrer Webseite darüber informiert], dass Sie
       Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Sie haben einen [2][Gesetzentwurf
       erarbeitet], um den dafür verantwortlichen Paragrafen 219a aus dem
       Strafgesetzbuch zu streichen. Dieser verbietet das „Werben“ für
       Schwangerschaftsabbrüche. Warum? 
       
       Cornelia Möhring: Dieser [3][unsinnige Paragraf] hat lange ein
       Schattendasein geführt. Aber jetzt wird er genutzt, um Ärztinnen und Ärzte
       auf eine Weise zu stigmatisieren wie in Zeiten, die wir eigentlich lange
       hinter uns geglaubt haben. Radikale Abtreibungsgegner nutzen ihn mehr und
       mehr, um gegen diejenigen vorzugehen, die Abbrüche durchführen.
       
       Wie das? 
       
       Der Paragraf verbietet das „Werben“ für und das „Anbieten“ von
       Schwangerschaftsabbrüchen. Darunter zählt aktuell offenbar auch die
       sachliche Information darüber, dass der Eingriff in einer Praxis zum
       Leistungsspektrum gehört. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland
       verboten, aber [4][unter bestimmten Bedingungen straffrei]. Es ist doch
       absurd, über eine Dienstleistung, die straffrei ist, nicht informieren zu
       dürfen. Ich denke, unser Gesetzesentwurf hat das Potenzial für eine
       Mehrheit – aber das hängt stark davon ab, wie es jetzt mit der
       Regierungsbildung weitergeht. Aber prinzipiell kann ich mir gut vorstellen,
       dass außer uns Linken auch die SPD, die Grünen und die FDP zustimmen
       könnten. Wir hätten auch nichts dagegen, wenn sich mehr Fraktionen unserem
       Gesetzesentwurf anschließen oder selbst gleich lautende einbringen würden.
       Hauptsache, der Paragraf kommt weg.
       
       Sind solche Anzeigen denn ein neues Problem? 
       
       Auf jeden Fall ein sich verstärkendes. In der Antwort auf eine schriftliche
       Frage an die Bundesregierung aus dem Jahr 2016 sehen wir, dass die Zahl der
       Ermittlungsverfahren nach Paragraf 219a zunimmt; waren es zwischen 2010 und
       2014 nur zwischen zwei und 14 pro Jahr, waren es 2015 schon 27. Und 2016
       waren es laut polizeilicher Kriminalstatistik des BKA schon 35.
       
       Aber der Streit um die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen ist doch
       nicht neu. Das ist seit Jahrzehnten ein Thema der Frauenbewegung. 
       
       Natürlich. Damals ging es vor allem darum, den Zugang zu
       Schwangerschaftsabbrüchen überhaupt zu ermöglichen. Die Debatte Anfang der
       siebziger Jahre und die Forderung „Mein Bauch gehört mir“ haben damals
       maßgeblich zu meiner eigenen Politisierung beigetragen. Damals wurde mir
       klar, dass es bei dem Thema grundlegend um das Selbstbestimmungsrecht für
       Frauen geht: Es kann doch nicht sein, dass andere über uns bestimmen! Und
       dann gehen mehr als 40 Jahre ins Land, und manche Leute tun immer noch so,
       als würden Frauen durch Abtreibungen verhüten. Als wäre solch ein Eingriff
       für sie etwas Normales. Welche Frau findet das denn normal? Das ist immer
       eine heftige innere Auseinandersetzung. Aber letztendlich muss die Frau
       doch die Freiheit haben, selbst zu entscheiden.
       
       Nun geht es beim Paragrafen 219a ja nicht um den Abbruch an sich, sondern
       um Werbung dafür. Warum ist das so wichtig? 
       
       Ich bin ganz grundsätzlich der Meinung, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht
       ins Strafgesetzbuch gehören. Das schließt den Paragrafen 219a ein. Um so
       mehr, wenn wir sehen, wie er aktuell missbraucht wird. Eine Frau muss das
       Recht haben, sich unabhängig zu informieren. Und zwar sowohl über mögliche
       Methoden zum Abbruch wie auch über die Ärztinnen und Ärzte, an die sie sich
       wenden kann.
       
       Aber bekommt man diese Informationen nicht beispielsweise in den
       Pflichtberatungen vor dem Abbruch? 
       
       Nicht zwingend, und nicht immer neutral. Ich hatte selbst einen Abbruch, um
       das Jahr 2000 herum. Das war natürlich eine ganz schwere Entscheidung. In
       der Beratung musste ich mir dann noch Sätze anhören wie „Überlegen Sie es
       sich gut. Immer, wenn Sie einen Säugling sehen, werden Sie denken: Das
       könnte Ihrer sein.“ Von solchen Stellen ist man in einer Notsituation dann
       abhängig.
       
       Von den Beratungsstellen? 
       
       Auch von den Ärztinnen und Ärzten. Als junge Frau war es für mich bei der
       Wahl des Frauenarztes wichtig zu wissen, dass er im Falle einer
       Notsituation auf meiner Seite stehen würde. Sonst hätte ich mich dort nicht
       wohl gefühlt. Wie soll das erst für eine Frau sein, die eine Abtreibung
       braucht? In Deutschland ist es für Ärztinnen und Ärzte legitim zu sagen,
       dass sie aus Überzeugung keine Abbrüche durchführen. Das akzeptiere ich –
       aber dann muss es doch auch legitim sein, zu sagen: Ja, ich mache das – aus
       Überzeugung, weil ich das Recht auf Selbstbestimmung achte.
       
       23 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5444891/
   DIR [2] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/000/1900093.pdf
   DIR [3] https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html
   DIR [4] https://dejure.org/gesetze/StGB/218a.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
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