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       # taz.de -- Landgrabbing im Osten: Der Bauer pflügt, der Investor erntet
       
       > Immer mehr Agrarland in den neuen Bundesländern gehört auswärtigen
       > Investoren. Diese umgehen dabei das gesetzliche Vorkaufsrecht für
       > Landwirte.
       
   IMG Bild: Wenn ein Bauer die Fläche benötigt, darf der Investor nicht kaufen. Eigentlich
       
       Zum Beispiel Bernd Schmidt-Ankum. Der Agrarökonom kommt aus Ankum bei
       Osnabrück, aber er hat auch zwei große Landwirtschaftsbetriebe in
       Ostdeutschland gekauft, etwa die Agrargenossenschaft „Planetal“ im
       brandenburgischen Golzow.
       
       Doch da trifft man den Investor selten an. „Er ist immer nur ein paar Tage
       in der Woche bei uns“, sagt die Dame am Telefon. Ihre Kollegin in
       Schmidt-Ankums Firma in Sachsen-Anhalt kann auch nur mitteilen: „Der ist
       immer einmal in der Woche hier, aber wann, das kann ich Ihnen auch nicht
       sagen.“ Man solle doch in Ankum anrufen. Schmidt-Ankum ist eben kein Bauer,
       der fast immer auf seiner Scholle ist. Er ist ein überregional aktiver
       Investor.
       
       Damit liegt er voll im Trend. Eine [1][neue Studie] des bundeseigenen
       Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume zeigt, dass immer mehr
       ostdeutsche Agrarunternehmen Ortsfremden gehören. Das traf Anfang des
       Jahres auf 34 Prozent der 853 untersuchten Firmen in allen neuen
       Bundesländern zu. 2007 waren es nur 22 Prozent gewesen.
       
       72 Prozent der 157 in den vergangenen zehn Jahren übernommenen Unternehmen
       gingen an Investoren, die mehr als 50 Kilometer vom Firmensitz entfernt
       wohnen und nachweislich in einer anderen Region wirtschaftlich tätig sind.
       30 Prozent der 157 Firmen wurden an landwirtschaftsnahe Investoren
       übertragen – überwiegend Bauern aus anderen Bundesländern. 42 Prozent
       gingen an andere Anleger, die nichts mit der Branche zu tun haben.
       
       Agraraktivisten sprechen von Landgrabbing, also der häufig illegitimen
       Aneignung von Land. Die Gewinne aus der Nutzung des Bodens fließen aus den
       Gemeinden ab – oft aus armen Gegenden in der Provinz in reichere Städte
       oder Regionen in Westdeutschland. So wird der Wohlstand immer ungleicher
       verteilt. „Da arbeiten Leute, und dann fließt das Geld nach Osnabrück“,
       sagt Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbunds Brandenburg, der
       bäuerliche Familienbetriebe in dem Bundesland vertritt, über den Fall
       Schmidt-Ankum.
       
       Den Gemeinden gehen auch Einnahmen verloren, denn überregionale aktive
       Kapitaleigentümer zahlen keine Ertrags- oder Einkommensteuer am Sitz ihrer
       Tochterunternehmen. Zudem tragen die Käufer von außerhalb dazu bei, dass
       die Bodenpreise noch weiter steigen. Seit 2007 haben sich die Verkaufswerte
       von landwirtschaftlich genutztem Land laut Statistischem Bundesamt im
       Schnitt mehr als verdoppelt. Viele Bauern können in diesem Bieterkampf
       nicht mithalten.
       
       „Haupttreiber der Nachfrage ist derzeit in meinen Augen das niedrige
       Zinsniveau für ähnlich wertstabile Anlagealternativen“, sagt Studienautor
       Andreas Tietz der taz. Weil Staaten und Banken kaum noch Zinsen etwa auf
       Anleihen zahlen, [2][investieren zunehmend sogar Konzerne wie die Münchener
       Rückversicherungs-Gesellschaft („Munich Re“) in Agrarland].
       
       Zudem hat der Generationswechsel bei den Führungskräften der Unternehmen
       Einfluss, die aus den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der
       DDR entstanden sind. Viele wollen ihre Geschäftsanteile für die
       Aufbesserung der Rente möglichst gewinnbringend verkaufen. Die hohen Preise
       für so große Betriebe können aber meist nur Auswärtige bezahlen.
       
       ## Genossenschaft ist anfälliger
       
       Besonders anfällig ist der Osten auch, weil die Betriebe dort öfter als im
       Westen die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft haben.
       Laut Thünen-Institut bewirtschaften sie 56 Prozent der Agrarfläche in
       Ostdeutschland. Solche Firmen lassen sich einfacher als ein normaler
       Familienbetrieb übernehmen: Der Käufer erwirbt Kapitalanteile einer Firma
       mit Agrarflächen, nicht die Agrarflächen direkt.
       
       Derartige „Share Deals“ haben zwei entscheidende Vorteile: Erstens spart
       der Käufer so die Grunderwerbsteuer in Höhe von je nach Bundesland 3,5 bis
       6,5 Prozent, wenn er nur 94,9 Prozent kauft. Der Rest geht typischerweise
       an einen Strohmann. Zweitens sind für solche Anteilsverkäufe keine
       Genehmigungen der Behörden nach dem Grundstücksverkehrsgesetz nötig. Dieses
       verlangt von dem zuständigen Amt, einen Verkauf an einen Nicht-Landwirt zu
       verbieten, falls es von einem Bauern weiß, der die Fläche benötigt. Doch
       die Veräußerung von Firmen, die Eigentümer von Agrarflächen sind, regelt
       das Gesetz nicht.
       
       Allein von 2007 bis 2017 wechselten laut Thünen-Institut über
       Anteilsverkäufe Unternehmen mit rund 28.500 Hektar eigenem Boden den
       Eigentümer – fast halb so groß wie der Bodensee. Da also immer mehr Land in
       der Hand von juristischen Personen liege, nehme die Bedeutung der Share
       Deals zu, prognostizieren die Forscher. „Damit verliert das
       Grundstücksverkehrsgesetz faktisch weiter an Effektivität, und es wächst
       die Gefahr, dass dessen Legitimität insgesamt infrage gestellt wird“, warnt
       Thünen-Autor Andreas Tietz.
       
       ## Zuständig sind die Länder
       
       Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) habe bereits
       gefordert, dass „das veraltete Gesetz durch die Länder novelliert werden“
       müsse, sagt Staatssekretär Hermann Onko Aeikens zur taz. „Es ist nicht
       zuletzt eine Wettbewerbsverzerrung, dass ein Landwirt, der 5 Hektar
       erwirbt, sich das genehmigen lassen muss, aber ein Investor, der 2.000
       Hektar erwerben will, die Regelung mit einem Share Deal aushebeln kann.“
       Seit 2015 lägen Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf dem Tisch,
       betont Aeikens. Die Länder sind dem Bund zufolge seit der
       Föderalismusreform 2006 zuständig für das Thema.
       
       Der größte Hebel dürften aber milliardenschwere EU-Subventionen sein. Das
       Bundesministerium will deshalb bereits vorgeschlagen haben, „Agrarzahlungen
       auf kleine und mittlere, viehhaltende und regional verwurzelte Betriebe zu
       konzentrieren“. Tatsächlich hat es sich immer wieder dagegen ausgesprochen,
       Subventionen für große Betriebe zu begrenzen. Ein Limit würde Geld
       freischlagen, das man den kleinen Höfen geben könnte.
       
       „Fördermittel darf es künftig nur noch bis zu einer betrieblichen
       Obergrenze geben und nur noch für Betriebe, die sich im Eigentum von
       ortsansässigen Landwirten befinden, die nicht an weiteren Betrieben
       beteiligt sind“, verlangt Bauernbund-Vorstand Manfred Wercham. Statt
       „komplizierter und wenig wirksamer Regulierungen des Bodenmarktes“ sollten
       die EU-Agrartöpfe umgeschichtet werden.
       
       Das würde auch Bernd Schmidt-Ankum, den Käufer des Großbetriebs in
       Brandenburg, schmerzen. Vielleicht hätten ihn Subventionsstreichungen davon
       abgehalten, noch einen Betrieb fernab der Heimat zu kaufen. Man hätte
       natürlich gern gewusst, was Schmidt-Ankum von all der Kritik hält. Doch als
       er schließlich zurückruft, sagt er, dass er eigentlich gar nicht in dem
       Artikel auftauchen wolle. Die taz könne gern mal vorbeikommen. Aber „bitte
       erst im neuen Jahr“.
       
       29 Dec 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen-Report_52.pdf
   DIR [2] /Landgrabbing-in-Brandenburg/!5354610
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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