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       # taz.de -- Paketbombe von Potsdam: Angst und Schrecken, aber anders
       
       > Kein islamistischer Anschlag in Potsdam. Gut. Doch eins wird dabei
       > vergessen: Die Paketbomben sind kapitalistisch motivierter Terror.
       
   IMG Bild: Paketbombe per Zustelldienst: Die Angst fährt mit
       
       „Entwarnung“, schreibt die Welt. Von einer „jähen Wendung“ berichtet der
       Tagesspiegel sichtbar erleichtert, schließlich hätten nach dem Bombenfund
       am Rande des Potsdamer Weihnachtsmarktes „viele befürchtet, es könne sich
       um Terrorismus handeln“. Doch jetzt ist klar, weiß die Bild: „Der
       Weihnachtsmarkt war kein Ziel eines Terroraktes.“ Denn: „Die Täter sind
       keine Terroristen!“, ruft die B.Z.
       
       Und tatsächlich: Die Paketbombe, die am Freitag an eine Apotheke am Rande
       des Potsdamer Weihnachtsmarkts geliefert wurde, stammt offensichtlich nicht
       von irgendwelchen Islamisten, sondern von jemandem, [1][der das
       Post-Unternehmen DHL erpressen will].
       
       Ist damit alles gut? Nein, nichts ist gut in Deutschland.
       
       Natürlich ist es schön, dass es nach der Attacke auf den Berliner
       Weihnachtsmarkt vor fast einem Jahr nicht schon wieder einen ähnlichen
       islamistischen Anschlag gibt. Wer aber damit auch gleich das Label „Terror“
       vom Tisch wischt, der macht es sich deutlich zu leicht.
       
       Terrorismus, so die gemeinhin gängige Definition unter Soziologen und
       Sicherheitsexperten, setzt unter anderem eine politische Zielsetzung
       voraus. Die ist bei den Paketbombenerpressern zumindest nach derzeitigen
       Kenntnisstand nicht zu sehen. Der Duden spricht von Gewaltakten „besonders
       zur Erreichung von politischen Zielen“, schließt damit aber unpolitische
       Ziele auch nicht aus.
       
       Letztlich ist die Frage, wie politisch Terror sein muss, um als Terror zu
       gelten, eine akademische. Wichtiger als das Motiv ist die Vorgehensweise
       aller Terroristen: Sie verbreiten Terror.
       
       ## Persönliche Glückseligkeit
       
       Und genau darauf setzten der oder die Bombenbauer von Potsdam. Die
       potenziellen Opfer ihres geplanten Anschlages sind nicht das eigentliche
       Ziel, sie sind ihnen nur Mittel zum Zweck. Die Täter wollen Angst und
       Schrecken in der Bevölkerung verbreiten, um letztlich ihr Ziel zu
       erreichen: persönliche Glückseligkeit – durch die Millionen, die sie vom
       Paketlieferdienst DHL erpressen wollen.
       
       Darin ähneln die Paketbomber überraschend fatal islamistischen Attentätern.
       Nur, dass sie nicht auf die viel zitierten Jungfrauen im Jenseits hoffen,
       sondern auf Sofortbefriedigung im Hier und Jetzt. Ganz im Sinne des
       kapitalistischen Urversprechens: Geld gleich Glück.
       
       Ähnlich wie die islamistische Ideologie eine pervers übertriebene Version
       des Islam ist, sind hier Täter am Werk, die die kapitalistische Weltsicht
       pervertiert haben: Die Gier, die bekanntlich die Triebfeder der
       Marktwirtschaft ist, stellen sie über alles. Sogar über das Leben ihrer
       Mitmenschen, zu denen sie keinerlei persönliche Beziehung haben.
       
       Wieso aber werden Anschläge wie die Potsdamer Bombe dann so schnell als
       gewöhnliches Verbrechen angesehen?
       
       ## Gesellschaftliche Empörungsspirale
       
       Es ist eine Entwicklung, wie sie auch schon nach dem Anschlag auf den
       Mannschaftsbus des Fußballbundesligisten Borussia Dortmund zu beobachten
       war: Kaum war klar, dass der Attentäter kein Islamist, sondern ein völlig
       durchgedrehter Börsenspekulant war, verschwand das Thema weitgehend aus der
       gesellschaftlichen Empörungsspirale.
       
       Anders als nach jedem noch so kleinen islamistisch motivierten Verbrechen
       wurde und wird auch diesmal nicht gleich die hinter der Tat stehende
       Weltsicht komplett in Frage gestellt, und ihre Anhänger werden nicht von
       großen Teilen der Gesellschaft diskriminiert – ganz egal, ob sie sich nun
       radikal oder moderat geben.
       
       Der größte Unterschied zwischen einer islamistischen und einer
       kapitalistischen Perversion ist: Der Islam ist der deutschen
       Mehrheitsgesellschaft fremd. Seine Perversion lädt dazu ein, die Tat nicht
       verstehen zu müssen, die Schuld dem anderen, dem Fremden in die Schuhe zu
       schieben. Der Kapitalismus aber ist im Wortsinne gewöhnlich. Das Motiv ist
       verständlich – weil wir es gewohnt sind. Wer es als ebenso verdammenswert
       wie den Islamismus einstufen wollte, müsste es in Frage stellen. Und damit
       die Grundlage der westlichen Gesellschaft. Keine Wunder, dass das nicht
       passiert.
       
       Im Gegenteil: Nach der Entwarnung trifft man sich schnell wieder beim
       Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, summt „süßer die Kassen nie klingeln“,
       philosophiert allenfalls halbironisch distanziert über den Konsumterror und
       merkt nicht einmal, wie nah man dran ist. Am Kern des Problems.
       
       4 Dec 2017
       
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       ## AUTOREN
       
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