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       # taz.de -- Geflüchtete in besetzter Schule: Sie wollen endlich ein normales Leben
       
       > Die frühere Gerhart-Hauptmann-Schule soll geräumt werden. Die Bewohner
       > wissen nicht, wie es weitergehen soll. Für Samstag rufen Flüchtlinge zur
       > Demo auf.
       
   IMG Bild: Blick in den Hof der Hauptmann-Schule
       
       Berlin taz | Njanj und Soufiane müssen für das Treffen auf eine Wohnung
       eines Freundes im Wedding ausweichen. Als Bewohner des immer noch besetzten
       Nordflügels der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg dürfen sie keine
       Gäste empfangen. Der Ort, der für die beiden jungen Männer bereits seit
       fünf Jahren ein Zuhause ist, gleicht einer Festung, 24 Stunden am Tag durch
       Securities bewacht.
       
       Einen Hausausweis, der zum Eintritt in die berühmte Flüchtlingsschule
       berechtigt, haben nur jene 22 Männer, die sich im Sommer 2014 erfolgreich
       einem Räumungsversuch widersetzt haben. Etwa die Hälfte von ihnen wohnt
       weiterhin in dem Gebäude, darunter Njanj und Soufiane. Andere, wie ihr
       Freund Adam, der sie zu dem Treffen begleitet, haben inzwischen eine neue
       Unterkunft gefunden. Aus Sorge vor negativen Konsequenzen wollen sie alle
       nicht mit ihren Nachnamen in der Zeitung auftauchen.
       
       Den Geflüchteten verbleiben nur noch wenige Wochen, ehe am 11. Januar das
       Kapitel der Besetzung endgültig beendet werden soll. An diesem Tag hat sich
       für morgens 8 Uhr der Gerichtsvollzieher angekündigt. Den Räumungstitel
       hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im vergangenen Juli erwirkt.
       Njanj und Soufiane wollen sich nicht um jeden Preis widersetzen, nicht
       wieder wie vor dreieinhalb Jahren das Dach besetzen. Aber sie wollen eine
       Perspektive. Das ist ihre Botschaft.
       
       „Wir wollen nicht die Schule haben, sondern ein normales Leben“, sagt
       Njanj, unterstützt von Soufianes heftigem Nicken. Worum es ihnen geht:
       einen gesicherten Aufenthaltsstatus, eine Arbeitserlaubnis, eine
       Unterkunft. Die beiden Männer stammen ursprünglich aus Nord- und Westafrika
       und leben seit vielen Jahren in der Unsicherheit. Njanj hat niemals einen
       Asylantrag in Europa gestellt, Soufianes Antrag liegt in
       Nordrhein-Westfalen. Er fährt nicht mehr dorthin, weil er die Abschiebung
       fürchtet. Beide erhalten keinerlei staatliche finanzielle Unterstützung.
       
       ## „Nichts erreicht“
       
       Die generellen Forderungen der Flüchtlingsbewegung nach offenen Grenzen
       oder der Beendigung der Residenzpflicht sind angesichts ihrer prekären Lage
       in den Hintergrund gerückt. Njanj ist schon seit der Besetzung des
       Oranienplatzes 2012 dabei. Heute sagt er: „Bis jetzt haben wir nichts
       erreicht.“
       
       Dabei sei ein Erfolg für die Schulbewohner in greifbarer Nähe gewesen,
       erzählen sie: Am 1. August habe ihnen eine Delegation u.a. des Landesamts
       für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) bei einem Besuch in der Schule ein
       „geheimes Angebot“ gemacht, wie Soufiane es formuliert. Dafür, dass sie die
       Schule freiwillig verlassen, sollten sie eine alternative Unterkunft und
       eine Arbeitserlaubnis erhalten, so die Bewohner.
       
       Voraussetzung für derartige Perspektiven ist ein positiver Asylbescheid.
       Die Bewohner seien aufgefordert worden nach Rücksprache mit ihrer
       Rechtsberatung Anträge zu stellen, sofern sie noch nicht anderswo abgelehnt
       wurden. Ist das Verfahren erst einmal in Berlin, hat der Senat durchaus
       Möglichkeiten, ein humanitäres Bleiberecht auszusprechen. Das LAF wollte
       sich auf Anfrage der taz nicht zu diesem Treffen äußern. Mit dem Bezirk,
       der „um Amtshilfe gebeten“ habe, sei „Vertraulichkeit vereinbart“ worden.
       
       ## Das Amt schweigt
       
       Auf eine Antwort des LAF warteten auch die Bewohner der Schule vergeblich.
       Nach einer erbetenen zweiwöchigen Bedenkzeit hatten sie Mitte August
       entschieden, auf das Angebot einzugehen. „Man kann sehr viel Angst davor
       haben, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen“, sagt Njanj, „aber ich
       hätte es gemacht“. Als sich das LAF nicht mehr meldete, schrieben die
       Bewohner einen Brief, in dem sie ihre Bereitschaft signalisierten. Doch
       eine Antwort blieb aus.
       
       Stattdessen flatterte vor einem Monat ein Brief des Bezirksamts bei ihnen
       ein. Darin sei keine Rede mehr von dem gewesen, was sich die Bewohner
       erhofften, lediglich die Zusage einer vierwöchigen Unterbringung nach der
       Räumung. Der Bezirk bestätigt das und teilt mit, dass eine „Unterbringung
       im Anschluss an den Auszug gesichert“ sei.
       
       In der Schule stieß der Bezirks-Brief auf einhellige Empörung. „Die
       Nachricht macht uns kaputt“, sagt Soufiane. Angesichts der drohenden
       Obdachlosigkeit im Winter seien sie verzweifelt. „Nach fünf Jahren
       politischem Kampf ist das kein Angebot“, sagt Njanj. 2014 wurde den damals
       Hunderten Schul-Bewohnern noch eine sechsmonatige Unterkunft zugesichert –
       auch das sei jedoch keine Perspektive. „Viele, die das Angebot damals
       annahmen, schlafen jetzt im Görlitzer Park“, sagt Njanj.
       
       Eigentlich sind sie mit ihren Kräften sichtbar am Ende, doch resignieren
       kommt nicht infrage. Für Samstag 13 Uhr rufen die Flüchtlinge zu einer
       Demonstration vom Oranienplatz auf: „Gegen Rassismus und Gentrifizierung“
       lautet ihr Motto, womöglich eine Konzession daran, dass ihre Unterstützung
       über die Jahre rapide gesunken ist. Statt Solidarität für sich selbst
       einzufordern, stellen sie ihre voraussichtliche Räumung in den Kontext der
       Kiez-Aufwertung und allgemeinen Verdrängungsangst. Mit Erfolg: Bizim Kiez
       und Zwangsräumungen verhindern demonstrieren mit, ebenso Black Lives Matter
       Berlin.
       
       Adam, der den Sprung in ein normales Leben geschafft hat, kritisiert:
       „Niemand will verantwortlich sein, Bezirk und Senat schieben sich die Bälle
       hin und her.“ Bis vor einem Jahr stand CDU-Innensenator Frank Henkel einer
       Lösung im Wege, doch von Rot-Rot-Grün sei auch nichts gekommen, so Adam.
       „Wenn die Politik nicht für 20 Leute eine Lösung findet, wie soll sie dann
       die Probleme der Stadt lösen?“
       
       Aus Koalitions- und Bezirkskreisen war in den vergangenen Monaten immer
       wieder zu hören, dass man versuchen wolle, der kleinen Gruppe einen legalen
       Aufenthalt zu verschaffen. Das würde auch den Zugang zu Unterbringungs- und
       Versorgungsleistungen ebnen. Doch äußern will sich dazu partout niemand.
       „Die Schule ist das einzige Faustpfand, den wir haben“, sagt Njanj. Es ist
       eine Kampfansage. Aber auch ein letzter Rest Hoffnung.
       
       15 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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