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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Erektion des Geldes
       
       > Jetzt Bitcoins kaufen! Sofort! Die Kryptowährung ist der allerneueste
       > heiße Scheiß. Aber es gibt sogar noch frischeren Dunkelzaster …
       
   IMG Bild: Alles andere als schnöder Mammon – der strahlende Bitcoin macht Geld erst sexy
       
       „Hamse mal’n Bitcoin?“, spricht der junge Mann mit dem glasigen Blick die
       Passanten am Hauptbahnhof an, doch die zucken schuldbewusst mit den
       Schultern. Die armen Teufel verfügen lediglich über veraltetes Münzgeld
       oder doofes Papiergeld von anno vorgestern. Nicht einmal einen leidlich
       druckfrischen 50-Euro-Schein mag der anspruchsvolle Kryptoschnorrer
       annehmen. „Nicht zu fassen“, schimpft er. „Da können sie einem ja gleich
       Glasperlen andrehen.“
       
       Seit der Kurs der virtuellen Währung Bitcoin in schwindelerregende Höhen
       stieg, ist das Digitalgeld zwar in aller Munde, aber längst noch nicht in
       jedem Portemonnaie angekommen. Mit Neid schaut Otto Normalzahler auf die
       monetären Trendsetter, die sich mit der geheimnisvollen Internetwährung
       eingedeckt haben, als sie in den schummrigen Hinterzimmern des Darknets
       noch für einen Apple und ein Ei zu haben war. Heute, da die große Hausse
       der Bits und Bytes begonnen hat, sind die pickligen Pioniere von einst
       längst gemachte Nerds. Gesetzt den Fall natürlich, dass ihnen jemand die
       Internetjetons zum derzeitigen Kurshoch auch wirklich abkauft.
       
       Am vergangenen Montag wurde ein Bitcoin für fast 16.000 Dollar gehandelt,
       doch schon morgen kann er das Hundertfache oder eben gar nichts mehr wert
       sein. Deswegen warnen seriöse Finanzinstitute wie die Deutsche Bank ihre
       Kunden vor der Kryptowährung, genau wie sie in den Jahren vor der
       Finanzkrise vor ähnlich halbseidenen Produkten wie den toxischen
       Subprime-Krediten gewarnt haben. Finanzguru und Chefökonom der Bank JP
       Morgan Chase, Jamie Dimon, bezeichnete das Onlinegeld gar als „Betrug“. In
       Börsenkreisen gilt ein solch uneingeschränktes Lob aus dem Mund eines
       gewieften Derivateschmieds natürlich als absoluter Kaufbefehl.
       
       ## Schweizer Diskretion
       
       „Der Bitcoin ist der heißeste Scheiß auf dem Finanzmarkt, seit Charles
       Ponzi die Pyramiden erbaut hat“, freut sich auch Hurti Fittner von der
       eidgenössischen Investmentbank Mümpfeli International, und versucht mit
       Schweizer Diskretion und ein paar hektischen Warentermingeschäften eine
       begeisterte Erektion zu kaschieren.
       
       Der Enthusiasmus des Spezialisten für okkulte Geldvermehrung und magischen
       Monetarismus ist nur allzu verständlich, versucht die Finanzindustrie doch
       schon seit Langem, den lähmenden Einfluss der Realwirtschaft vollständig
       abzuschütteln, um noch atemberaubendere Renditen für ihre Produkte zu
       erzielen. „Finanzdienstleistung ist Poesie“, begeistert sich Fittner. „Und
       die gedeiht am Besten, wenn sie die Fesseln der Wirklichkeit abstreifen
       darf.“
       
       Der Wert der Kryptowährungen ist denn auch nicht mehr an eine
       unberechenbare Volkswirtschaft gekoppelt, sondern beruht auf dem Glauben
       seiner Jünger und der Überzeugungskraft seiner Priester. Und beides ist
       zurzeit grenzenlos.
       
       Anders als herkömmliche Währungen, die erst mühselig auf Papier gedruckt
       und von nervösen Politikern für stabil erklärt werden müssen, handelt es
       sich bei Bitcoins um Einträge in ein virtuelles Register auf einem Server,
       der irgendwo im Kinderzimmer eines pubertierenden Nachwuchshackers steht.
       Hier ist das Geld vor der Regulation gieriger Staaten sicher, anders sieht
       es jedoch aus, wenn Mutti beim Saugen versehentlich den Stecker zieht.
       
       ## Libertäres Brimborium
       
       Doch auch Regierungen beginnen langsam, die Segnungen der digitalen
       Penunzen zu entdecken. Als Erster stellte Venezuelas Präsident Nicolas
       Maduro seinen „Petro“ vor, einen lateinamerikanischen Nachbau des Bitcoin
       ganz ohne libertäres Brimborium, dessen Wert sich ganz exakt nach der
       aktuellen Laune des Präsidenten bemessen lässt. Mit der frei flottierenden
       Fantasiewährung will Experimentalökonom Maduro den Umbau des ehemals
       beschaulichen Schwellenlandes zu einer dadaistischen Planloswirtschaft
       weiter vorantreiben.
       
       Auch das notorisch klamme Nordkorea will bald die erste Stufe einer
       virtuellen Währungsrakete zünden und die dekadente Finanzwelt mit der
       „Kimcoin“ knechten. Allerdings bestehen die volkseigenen Volkswirte
       Nordkoreas darauf, dass eine einzige „Kimcoin“ die gesamte
       Wirtschaftsleistung der westlichen Welt aufwiegt, was den Handel etwas
       erschweren dürfte. Der Besitz soll ohnehin dem engsten nordkoreanischen
       Führungszirkel vorbehalten bleiben, der aktuell aus Kim Jong Un selbst und
       seinen beiden Klonen Kim Jong Dos und Kim Jong Tres besteht.
       
       Gescheitert ist dagegen der afrikanische Altautokrat Robert Mugabe mit
       seinem „Roberto“, der die Hyperinflation in Zimbabwe aufhalten sollte. Der
       alte Kämpe konnte der Versuchung nicht widerstehen, den virtuellen Zaster,
       mit dem seit Jahrzehnten ausstehende Lehrergehälter endlich gezahlt werden
       sollten, komplett am heimischen Rechner auszudrucken. Für die Netzgemeinde
       selbstverständlich ein absolutes No-Go.
       
       ## Esoteriker pendeln das Chakra der Währung aus
       
       Doch nicht nur Diktaturen mit Schufa-Eintrag sind von den Möglichkeiten der
       Kryptowährungen fasziniert. Die Gemeinschaftsbank für ganzheitliche
       Energie- und Finanzströme will zum nächsten Vollmond den „Steiner“
       herausbringen, eine feinstoffliche Währung, die ganz ohne computergestützte
       Algorithmen auskommt. Stattdessen kann ihr Kurs ausgependelt oder in den
       äußeren Chakren gespürt werden.
       
       Ohnehin stören sich viele Kritiker an dem gewaltigen Energieverbrauch, den
       die Bitcoinserver bei ihren Rechenschiebereien verschlingen. Hier soll das
       apokryphe Zahlungsmittel „Bogus“ Abhilfe schaffen, das Experten als
       logische Weiterentwicklung der Kryptowährungen gilt. Der „Bogus“ existiert
       allein in der Vorstellungskraft ihrer Besitzer, kann also auch von Bürgern
       ohne Computerkenntnisse im Handumdrehen erfunden und soll vor allem für
       karitative Zwecke eingesetzt werden. Für den jungen Mann am Bahnhof könnten
       also umsatzstarke Zeiten anbrechen.
       
       15 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
       ## TAGS
       
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