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       # taz.de -- Pädagogin über Antisemitismus: „Überall dient ‚Jude‘ als Schimpfwort“
       
       > Kürzlich brannten in Berlin Israelflaggen. Saba-Nur Cheema von der
       > Bildungsstätte Anne Frank über Antisemitismus unter Muslimen und
       > Gegenmaßnahmen.
       
   IMG Bild: Demonstrierende verbrennen eine selbstgemalte Fahne mit Davidstern am 10.12.2017 in Neukölln
       
       taz: Frau Cheema, was empfinden Sie, wenn Sie brennende Israelflaggen in
       Berlin sehen?
       
       Saba-Nur Cheema: Erschütterung. Es hat mich schockiert, so etwas erneut zu
       sehen. Das war ja nicht das erste Mal.
       
       Lassen Sie das Argument gelten, es gehe bei dieser Art von „Protest“ „nur“
       um Kritik am Staat Israel? 
       
       Nein. Eine Flagge zu verbrennen, ist ein hetzerischer Akt, es geht darum,
       etwas auszulöschen. Mit der Ideologie, dass Juden vernichtet werden
       sollten, sehen sie sich seit Jahrhunderten konfrontiert. Das Existenzrecht
       Israels zu hinterfragen, speist sich aus genau dieser antisemitischen
       Logik.
       
       Einige Medien titeln derzeit mit der Frage, wie gefährlich der muslimische
       Antisemitismus sei. Was würden Sie darauf antworten? 
       
       Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, es gibt
       nicht den muslimischen Antisemitismus. Was wir aber beobachten, ist, dass
       es spezifische Artikulationsformen von Antisemitismus gibt, und genau mit
       diesen müssen wir uns viel intensiver auseinandersetzen. Jugendliche mit
       muslimisch-arabischem Background äußern oftmals einen stärkeren
       Israelbezug, haben eine deutlich emotionalere Verbindung zu dem Staat. Da
       spielt die geografische Nähe zu dem Konflikt eine entscheidende Rolle, auch
       wenn sie selbst gar keine Migrationsgeschichte mehr haben.
       
       Also existieren diesbezüglich Unterschiede zwischen der muslimischen und
       nichtmuslimischen Community? 
       
       Antisemitische Feindbilder existieren überall auf der Welt, in jeder
       Community. „Du Jude“ wird allerorts als Schimpfwort verwendet, unabhängig
       von Herkunft oder Religion. Gerade deshalb ist es aber so wichtig, die
       spezifischen Anknüpfungsmomente zu lokalisieren. Aktuell werden die Muslime
       zu einer homogenen Gruppe stilisiert, die sie schlichtweg nicht sind.
       Natürlich werden in muslimisch-arabischen Familien andere Narrative und
       Geschichten weitergegeben als in nichtmigrantischen Familien. Was ich
       wahrnehme, ist etwa, dass Jugendliche mit muslimischem Background weniger
       Hemmungen zeigen, als diejenigen, die aufgrund der deutschen Vergangenheit
       vorsichtig sind. Doch sollte man das nicht identitätspolitisch begründen,
       sondern die Person vom Problem entkoppeln.
       
       Wie kann das funktionieren? 
       
       Indem klar wird, dass man Antisemitismus und Rassismus nur zusammendenken
       kann. Wer behauptet, muslimische Araber seien per se antisemitisch, bedient
       sich eines rassistischen Vorurteils. Das ist die gleiche Verdachtslogik und
       Homogenisierung wie bei den Behauptungen, Muslime seien generell
       sexistisch, homophob und gewalttätig. Es geht darum, die spezifischen
       Artikulationsformen des Antisemitismus in der muslimischen Community zu
       benennen, ohne Muslime zu diffamieren oder Applaus von rechts zu bekommen.
       Das ist ein ständiger Balanceakt.
       
       Haben Sie Empfehlungen, wie das gelingen kann? 
       
       Die pädagogische Kompetenz in Schulen muss diverser werden. Ich selbst habe
       einen muslimischen Background und kann mit muslimischen Jugendlichen ganz
       anders ins Gespräch kommen. Wir brauchen muslimische Verbände als
       Verbündete, aber auch die Mitarbeit der Mehrheitsgesellschaft. Ich werde
       von Personen der Mehrheitsgesellschaft häufig gefragt, wie es denn sein
       könne, dass ich in der Bildungsstätte Anne Frank arbeite, obwohl ich das
       doch gar nicht „müsse“, weil es nicht „meine Geschichte“ sei. Doch die
       Schoah ist Teil der Menschheitsgeschichte.
       
       14 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanna Voß
       
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