URI: 
       # taz.de -- 1. Jahrestag Breitscheidplatz-Anschlag: „Ich bitte Sie um Verzeihung“
       
       > Das Abgeordnetenhaus wird während der Gedenkstunde schwer gesichert.
       > Drinnen kritisiert der Regierende Bürgermeister Ermittlungspannen.
       
   IMG Bild: Tag der Stille: Michael Müller im Abgeordnetenhaus
       
       BERLIN taz | Die Polizeisperre steht gleich hinter der Zufahrt zum
       Finanzministerium, leer liegt die Niederkirchner Straße da, durch die sonst
       viele Touristenbusse fahren. Ein lauter Motor lässt einen aufschrecken auf
       dem Weg zum Abgeordnetenhaus gegenüber dem Martin-Gropius-Bau. Von der
       Stresemannstraße her kommt das Geräusch.
       
       Ein dunkler, schwerer Wagen, der röhrend heranprescht? Das kann nicht sein,
       nicht jetzt, kurz vor der Gedenkfeier zum ersten Jahrestag des
       Terroranschlags, als Anis Amri mit einem Lkw zwölf Menschen tötete und
       viele schwer verletzte. Es ist dann nur eine Regierungslimousine mit
       Blaulicht – und doch ein Schreckmoment an diesem Tag, der nicht nur wegen
       des nasskalten Wetters in die Knochen geht.
       
       Die Gedenkstunde im Landesparlament setzt die Feierlichkeiten fort, die am
       Vormittag auf dem Breitscheidplatz begonnen haben. Betroffene und Helfer
       sind dort kurz nach zehn Uhr angekommen, teils in Bussen der Bundespolizei.
       Die stehen wie ein zweiter Sichtschutz vor dem abgesperrten
       Weihnachtmarktgelände, auf dem heute nur die „Hirschstube“ geöffnet ist –
       sie dient als Sicherheitsschleuse.
       
       ## Die Wunden des Attentats
       
       Ungestört sollen die Angehörigen als Erste die Gedenkstätte betrachten
       können, die vor der Gedächtniskirche entstanden ist, mit den Namen der
       zwölf Getöteten auf den Stufen zur Kirche hoch und einem 14 Meter langen,
       mit goldglänzendem Metall ausgefüllten Riss im Boden. Er steht für die
       Wunden, die der Anschlag hinterlassen hat.
       
       Ruhe liegt über dem Platz, mehr Grabes- als innere Ruhe. Auf dem Dach des
       neunstöckigen Hauses am südlichen Marktzugang am Ku’damm ist ein vermummter
       Scharfschütze der Polizei zu sehen, Kollegen von ihm sollen auf anderen
       Dächern postiert sein. Nördlich und südlich des Platzes stehen zwei
       panzerartige Wasserwerfer, von Touristen wie eine Attraktion fotografiert.
       Auf dem leeren Markt ist nur die Kirche mit Leben gefüllt, in der ab 11 Uhr
       Angehörige und Helfer mit den hochrangigsten Politikern der Republik eine
       Andacht feiern.
       
       Der Regierende Bürgermeister Michael Müller redet anschließend vor der
       Kirche, Politiker wie Angehörige zünden Kerzen an dem am Wochenende wie
       jedes Jahr aus Bethlehem nach Europa gebrachten Friedenslicht an.
       Bundeskanzlerin Angela Merkel geht dabei Bundestagspräsident Wolfgang
       Schäuble zur Hand.
       
       Das Abgeordnetenhaus wirkt eine halbe Stunde später fast noch schwerer
       gesichert. Vor dem Gebäude steht eine Gruppe vermummter Bewaffneter mit
       übergroß wirkenden Maschinengewehren, die mit Helmen und grüner Uniform
       mehr an Soldaten erinnern. Eine Spezialeinheit der Berliner Polizei sei
       das, erzählt ein Polizist.
       
       Drinnen im Plenarsaal, wo zuvor auch ein Sprengstoffspürhund zu sehen war,
       sitzen Landespolitiker, Bundestagsabgeordnete und zudem drei
       Bundesminister. Kurt Beck ist auch da, der frühere rheinland-pfälzische
       Ministerpräsident, der nach dem Anschlag Opferbeauftragter der
       Bundesregierung wurde. Wie in der Kirche schon Bundespräsident Frank-Walter
       Steinmeier kritisiert er Fehler der Sicherheitskräfte und teils mangelnde
       Sensibilität mit den Angehörigen. Höhere Entschädigungen fordert er, und
       dass das schnell passiert – die Betroffenen „können von uns erwarten, dass
       wir nichts auf die lange Bank schieben“.
       
       Michael Müller hat vor Beck ein zweites Mal an diesem Tag zu den
       Angehörigen gesprochen, ist auch auf Ermittlungspannen und fehlende
       Anteilnahme eingegangen. Manches lasse sich mit einer nie dagewesenen
       Ausnahmesituation erklären, aber nicht entschuldigen, sagt er. „Ich bitte
       Sie als Regierender Bürgermeister um Verzeihung.“
       
       19 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Michael Müller
   DIR Gedenken
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar Mahnmal Breitscheidplatz: Kein Riss. Eine Narbe
       
       Die Lesart des Terrormahnmals als Riss spaltet. Eine Narbe verheilt, auch
       wenn sie schmerzt.
       
   DIR Demonstrationen am Breitscheidplatz: Mit der AfD gegen Islamismus
       
       Am Dienstagabend fanden am Breitscheidplatz auch mehrere politische
       Kundgebungen statt – mit teils äußerst kruden Inhalten.
       
   DIR Mahnmal am Berliner Breitscheidplatz: Das Leben auf dem Riss
       
       Es ist ein Denkmal, das sich in die Stadt einfügt, behutsam, aber dennoch
       nachdrücklich: Zum Jahrestag des Attentats wird am Dienstag das Mahnmal
       eingeweiht.
       
   DIR Feuerwehrmann über Berliner Attentat: „Wir funktionieren“
       
       Warum vor einem Jahr bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz nicht noch
       mehr Menschen starben, erklärt Rolf-Dieter Erbe von der Berliner Feuerwehr.
       
   DIR 1. Jahrestag Breitscheidplatz-Anschlag: Und dann waren sie alleine
       
       Vor einem Jahr tötete Anis Amri zwölf Menschen und verletzte über 70.
       Kanzlerin Angela Merkel traf nun erstmals die Betroffenen.
       
   DIR Innensenator Geisel zum Breitscheidplatz: „Da wurde ich ins Amt katapultiert“
       
       Nur elf Tage war Andreas Geisel Innensenator, als der Anschlag in Berlin
       verübt wurde. Ein Interview über jene Nacht und ihre Lehren für die
       Sicherheitspolitik.