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       # taz.de -- Kommentar Olympische Spiele: Nicht ohne Russland
       
       > Dem IOC ging es bei seiner Entscheidung weniger um die Integrität des
       > Sports, sondern darum, wie man Russland schnell wieder integrieren kann.
       
   IMG Bild: Systemisches Doping auf Seiten von Russland: IOC-Präsident Thomas Bach und der Leiter der Untersuchungskommission Samuel Schmid bei der Pressekonferenz am Dienstag in Lausanne
       
       Länger hätte das Internationale Olympische Komitee seine Entscheidung nicht
       mehr herausschieben können. Verdammt schwer hat sich das IOC getan, diese
       große Sportnation, die auf Funktionärsebene eng mit der eigenen
       Organisation verwoben ist, abzustrafen. IOC-Chef Thomas Bach vollzog diesen
       Schritt zwar wie ein hoher Priester, nur dass er statt des heiligen den
       olympischen Geist beschwor und mit Pathos vom größten bislang dagewesenen
       Angriff auf die Integrität des Sports sprach, aber sein Unbehagen ob der
       alten und nun beschädigten Seilschaften schimmerte in wenigen besonderen
       Momenten durch.
       
       Gerade einmal 66 Tage vor Beginn der Olympischen Winterspiele im
       südkoreanischen Pyeongchang verkündete Bach in Lausanne der internationalen
       Presse [1][den schon lange ausstehenden Richterspruch]: Russische Athleten
       dürfen bei den anstehenden Winterspielen nur nach einer Überprüfung und
       unter neutraler Flagge starten. Egal ob sie als Einzelsportler oder im Team
       antreten. Auf Hymne und Flagge müssen sie verzichten. Das nationale
       russische olympische Komitee ist suspendiert. Und der ehemalige
       Sportminister Witali Mutko ist lebenslang für Olympische Spiele gesperrt.
       
       Der derzeitige Organisationschef der Fußball-WM 2018 in Russland wurde als
       Drathzieher [2][des systemischen Dopings ausgemacht], das bei den
       Winterspielen 2012 in Sotschi zu zahlreichen Manipulationen führte.
       Insofern war es schon vielsagend, dass der sich als obersterer
       Integritätswächter des Sports so frömmelnd gebende Thomas Bach, nicht
       imstande war, die Frage zu beantworten, ob er nach diesem Urteil eine
       Einladung des ausgemachten Bösewichts Mutko zur Fußball-WM annehmen würde.
       Er habe bislang keine Einladung, beschied Bach. Mit der Frage werde er sich
       erst befassen, wenn es soweit wäre. Durch proaktives Handeln ist der
       oberste Sportfunktionär noch nie aufgefallen. Dass er ein solches Szenario
       rein theoretisch nicht ausschließen wollte, veranschaulicht recht gut die
       Bach'sche Bigotterie.
       
       Fundamentale Bach- und IOC-Kritiker zetern indes, für die Wahrung der
       Integrität des Sports hätte Russland die Höchststrafe erhalten müssen: den
       Totalausschluss von den Winterspielen. Das ist wiederum eine lustige Volte,
       dass diejenigen, die sich am besten im endlosen Dschungel der Sportskandale
       auskennen, offenbar mit Bach die Vision des sauberen Sports teilen.
       
       ## Attraktivität und TV-Markt
       
       Natürlich ging es dem IOC bei seinem Urteilsspruch von Lausanne zuvorderst
       nicht um die Integrität des Sports, sondern darum wie man die große
       russische Sportnation möglichst schnell wieder integrieren kann. Sollten
       die Russen etwa entscheiden, ihr Eishockeyteam nicht unter neutraler Flagge
       bei den Winterspielen in Pyeongchang antreten zu lassen, wird das die
       Attraktivität und den Wert der Spiele auch für den TV-Markt deutlich
       schmälern.
       
       Die sauberen russischen Athleten unter neutraler Flagge könnten eine Brücke
       in die Zukunft sein, sagte Thomas Bach am Dienstag. Das sei besser als eine
       Mauer zwischen dem IOC und Russland aufzubauen. Primär hat das IOC sein
       Urteil auf dieses Ziel hin ausgerichtet: die Verbindung zu Russland zu
       erhalten. Das macht schon allein aus Selbsterhaltungstrieben Sinn. Welchen
       Wert hat die größte internationale Sportveranstaltung ohne eine ihrer
       größten Sportnationen? Im groben ist das schon der richtige Kurs. Bei den
       Feinheiten allerdings wird es heikel.
       
       Wie will die vom IOC geschaffene Institution nur wenige Tage vor den
       Winterspielen die sauberen russischen Athleten aus einem verdorbenen System
       herausfiltern? Der kanadische Sonderermittler Richard McLaren sprach bei
       seiner Untersuchung für die Welt-Anti-Doping-Agentur von etwa 1.000
       russischen Athleten, die Bestandteil des Betrugssystems gewesen sein
       sollen. Das IOC stützte seine Sanktionen zwar auf den Bericht des früheren
       Schweizer Bundespräsidenten Samuel Schmid, der die hohe Zahl in Frage
       stellt, die Auslese wird aber dennoch nicht einfach werden.
       
       Und etwas Grundsätzliches ist noch wichtig: Bei aller Empörung über das
       kollektive russische Vorgehen sollte man die Argumente nicht zu schlicht
       gewichten. Ein Blick in die deutsche Vergangenheit hilft. Sowohl in der DDR
       als auch in der BRD wurde gedopt. Im Osten Deutschlands wurden die hohen
       Erwartungen an die Sportler in einen Staatsplan gegossen, im Westen mussten
       die Athleten die nicht minder hohen Erwartungen individuell schultern. Dass
       dabei gedopt wurde, wussten viele.
       
       Die Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Schuld ist nicht
       einfach. Der Samuel Schmid-Bericht weist darauf hin, dass bei den
       Sommerspielen 2008 in Peking und 2012 in London etwa ein Drittel der
       Dopingvergehen von Russen verübt wurden. Angesicht der staatlichen
       Unterstützung, die diese Sportler erhielten, nimmt sich die Zahl gar nicht
       so besonders heraus. Man sollte die anderen zwei Drittel vielleicht noch
       einmal genauer in Augenschein nehmen. Auch sie sind zumindest Opfer eines
       Kollektivdrucks.
       
       Der einstige deutsche Sportminister Thomas de Maizière forderte für die
       Sommerspiele 2016 in Rio 30 Prozent mehr Medaillen. Auch das kann man
       angesichts der weit verbreiteten Manipulationskultur im Sport als
       staatliche Empfehlung fürs Dopen verstanden werden.
       
       6 Dec 2017
       
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   DIR Johannes Kopp
       
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