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       # taz.de -- Kolumbiens Indigene bedroht: Der gefährliche Frieden von Cauca
       
       > In Kolumbien herrscht Waffenruhe. Doch in der Region Cauca eskaliert die
       > Gewalt. Es geht um Drogen, Landrechte und Bergbau.
       
   IMG Bild: Nur scheinbar eine friedliche Idylle: Kaffeeanbaugebiet im Cauca
       
       Cauca taz | Hernán Castellanos deutet über das Tal unterhalb der kleinen
       Kaffeefarm von Luisa Angela Patina. „Dort drüben, die kleine Ansammlung von
       Baracken und Zelten, das ist das von der Regierung eingerichtete Campamento
       Caldono, wo die Guerilleros der Farc auf ihre Programme zur Reintegration
       warten“, erklärt der kleine, stämmige Mann. Castellanos ist Agrarexperte
       der Genossenschaft Cencoic, die vom Regionalen Indigenen Rat des Cauca
       (Cric) mit dem Auftrag gegründet wurde, Produkte aus den indigenen
       Resguardos, den Schutzgebieten, zu vermarkten. Kaffee, Honig, Waldfrüchte
       und ein paar andere Produkte gehören dazu. In der Region rund um Caldono
       dominieren die Kaffeesträucher. Bis zur Unterzeichnung des
       Friedensvertrages vor gut einem Jahr galt die Region als Hoheitsgebiet der
       Farc, der mittlerweile demobilisierten größten Guerillaorganisation
       Lateinamerikas.
       
       Hier baut Luisa Angela Patina gemeinsam mit ihrem Mann die aromatischen
       Bohnen an. Sie kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als nachts immer
       einmal wieder Schüsse zu hören waren: „Wir haben dann in unseren Betten
       gelegen und gehofft, dass es aufhört“, erinnert sich die 31 Jahre alte
       Kaffeebäuerin. Vor allem in den Nächten griff die Farc damals Polizeiwachen
       an und lieferte sich Gefechte mit der Armee. Die Region um Caldono gehörte
       quasi zum Hoheitsgebiet der Guerilla.
       
       „Das ist Geschichte“, hofft Luisa Angela Patina, die optimistisch in die
       Zukunft blickt. Mit ihrem Mann hat sie gerade ein neues Haus gebaut. Neben
       den Kaffeebohnen verkauft sie auch Schnittblumen in der nahegelegenen
       Kleinstadt Caldono. Aber die Gerüchte, dass sich da unten im Tal, im
       Campamento, immer weniger ehemalige Kämpfer der Farc aufhalten, weil die
       Regierung die Reintegrationsprogramme nicht rechtzeitig hat anlaufen
       lassen, machen ihr doch Sorgen. „Was machen die Guerilleros, wenn sie die
       Lager verlassen? Ich habe Angst, dass sich hier in der Region Banden
       bilden, die rauben und die Leute erpressen“, sagt sie und blickt unsicher
       zu Hernán Castellanos rüber.
       
       Der berät die Kaffeebauern der Region. Doch auch Castellanos weiß diesmal
       nicht weiter, blickt etwas unsicher über das malerische Tal, welches von
       kleinen Höfen und winzigen Kaffeeparzellen gesäumt ist, und schweigt. Kaum
       jemand der indigenen Bauern in der Region hat mehr als ein Hektar Land zur
       Verfügung. Bei Luisa Angela Patina ist es etwas mehr als ein halber Hektar.
       „3.000 Kaffeepflanzen habe ich ungefähr und mein Mann in etwa gleich viel.
       Gemeinsam kommen wir über die Runden und sind froh, dass wir über die
       Cencoic faire Preise für den Kaffee und gute Beratung erhalten“, so die
       selbstbewusste Frau, die unabhängig von ihrem Mann Kaffee anbauen will.
       Dafür hat sie von ihrem Vater gelernt. Er ist ins rund 100 Kilometer
       entfernte Cali gezogen, weil es in und um Caldono kein Land mehr gibt, und
       verwaltet nun dort eine Farm.
       
       ## Die Indigenen wollen ihr Land zurückerhalten
       
       Ein Hektar Ackerland kostet mit Glück 7, eher 10 Millionen Peso Colombiano.
       Umgerechnet sind das 2.000 bis 2.800 Euro. Das kann sich in Caldono kaum
       jemand leisten, denn in der von indigenen Resguardos geprägten Region leben
       vorwiegend Angehörige der Nasa, der größten indigenen Ethnie der Region.
       Die engagiert sich gemeinsam mit anderen indigenen Gruppen im Cric, dem
       Regionalen Indigenen Rat des Cauca, um gemeinsame Forderungen durchzusetzen
       und die Regierung an ihre alten Zusagen zu erinnern. Dazu gehört die
       Übergabe von einigen Tausend Hektar Land.
       
       „Die Landfrage ist nicht nur für uns essenziell, sondern für das ganze
       Land“, meint Rafael Enrique Perdomo Pancho, eines von neun Mitgliedern des
       Obersten Rates des Cric. Erst im November hatte der mit einer Minga, der
       Mobilisierung von mehr als 10.000 indigenen Bauern, die Nationalregierung
       an den Verhandlungstisch gezwungen und auf Erfüllung der Verträge gedrängt.
       „Mehr als 1.300 Verträge wurden nicht eingehalten. Wir haben nun
       durchgesetzt, dass unsere Forderungen Gesetzeskraft erhalten und deren
       Implementierung von einer Kommission begleitet wird“, erklärt Perdomo
       Pancho zuversichtlich.
       
       Dieses Gesetz trägt die Nummer 1811 und wurde am 7. November
       unterschrieben. Für den Cric geht es dabei auch um die Übergabe von rund
       48.000 Hektar Land, die die Regierung dem Cric zugesagt hatte. Dieses Land
       wird dringend benötigt, denn das Gros der Flächen im Cauca befindet sich in
       der Hand weniger Familien. Der Cric wurde 1971 auch gegründet, um die
       Ansprüche auf Flächen, die einst gewaltsam enteignet worden waren, endlich
       durchzusetzen. Das ist in Kolumbien alles andere als einfach, wie die
       magere Bilanz der staatlichen Büros für Landrückgabe zeigen. Die Zahl der
       Prozesse, bei denen die ursprünglichen Besitzer ihre Farm tatsächlich
       zurückerhielten, ist überschaubar. „Ein Grund, weshalb wir mit der Minga
       auf mehr Investitionen im sozialen Bereich und die Erfüllung alter Verträge
       gepocht haben“, erklärt der 39-jährige Cric-Vertreter Perdomo Pancho.
       
       Der Cric residiert in Popayán, der für ihre weißgetünchte
       Kolonialarchitektur berühmten Hauptstadt des Cauca. Von dort wird die
       Arbeit in den 125 indigenen Schutzgebieten des Cauca koordiniert.
       Mindestens 200.000 Menschen leben dort; das Gros gehört wie Perdomo Pancho
       den Nasa an. Mehrere Häuser mit Büros, Beratungsstellen und einem
       Medienzentrum unterhält die indigene Organisation am Rande des
       Stadtzentrums.
       
       Zentral für die Zukunft der Resguardos sind Investitionen in das
       Gesundheits- und Bildungssystem, die Verbesserung der Infrastruktur, aber
       auch mehr Engagement der Regierung im Bereich der Menschenrechte. „Wir
       brauchen mehr Sicherheit, denn mit dem Friedensschluss ist die Situation im
       Cauca deutlich komplexer geworden“, sagt Perdomo Pancho.
       
       Früher sei klar gewesen, dass die Farc rund um Caldono oder Toribio den Ton
       angab. Man habe gewusst, wie man sich zu verhalten habe. „Heute sind viele
       bewaffnete Gruppen unterwegs und man weiß nicht, wer zu wem gehört“,
       erläutert Perdomo Pancho und deutet mit seinem Bastón auf die Karte des
       Cauca. Der mit Silber beschlagene und mit weiß-grünen Schnüren verzierte
       Holzstab ist den Würdenträgern des Cric vorbehalten und ein Symbol
       indigener Identität.
       
       ## Die Neutralität der Indigenen
       
       Die indigenen Ethnien des Cauca agieren pazifistisch und selbst die Guardia
       Indigena, der indigene Ordnungsdienst, der in den Schutzgebieten
       Polizeifunktion innehat, ist nur mit dem Bastón ausgerüstet – Waffen sind
       auf indigenem Territorium nicht erwünscht. Aus gutem Grund, denn der Cric
       hatte sich in dem Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg für neutral erklärt.
       Allerdings wurde das von den bewaffneten Akteuren, ob Paramilitärs,
       Guerilla oder den offiziellen Sicherheitskräften, nie wirklich akzeptiert.
       Entsprechend gerieten auch immer wieder indigene Territorien in den Fokus
       des Konflikts.
       
       In dem bergigen, von tiefen Tälern zerschnittenen Terrain auf rund 1.800
       Meter Höhe wird vorwiegend Kaffee angebaut. Doch in den Dörfern geht die
       Angst um, dass die Bergbaukonzerne kommen könnten. „In Suárez am Río
       Mondomo, nur eine Fahrtstunde entfernt, werden bereits Edelmetalle wie Gold
       illegal gefördert“, erklärt Kaffeebauernberater Hernán Castellanos.
       Ähnliche Befürchtungen hegt der Cric. Der Run auf die Ressourcen des Cauca
       ist in vollem Gange: Nicht nur internationale Bergbauunternehmen drängen in
       die Region, auch Stromkonzerne wittern gute Geschäfte an ihren Flüssen und
       haben längst Pläne für gewaltige Staudämme in der Tasche. Die Resguardos
       interessieren sie weniger.
       
       Indizien deuten darauf hin, dass sie sich bei der Durchsetzung ihrer
       Vorstellungen lokaler bewaffneter Banden bedienen. „Die Zahl der Morde an
       sozialen, politischen und Umweltaktivisten im Cauca steigt. Darunter sind
       viele unserer Leute, Landrechtsaktivisten genauso wie Umweltschützer“,
       kritisiert Perdomo Pancho. Das bestätigt auch die
       Menschenrechtsorganisation Cima. Die teilt ihr Büro schräg gegenüber der
       Zentrale des Cric mit einem halben Dutzend weiterer sozialer und
       politischer Organisationen aus dem Cauca.
       
       „Wir leben in der gefährlichsten Region Kolumbiens. Letztes Jahr wurden 40
       Aktivisten im Cauca ermordet, in diesem Jahr waren es bis Mitte November
       31“, erklärt Miguel Fernández. Gemeinsam mit seiner Kollegin Marcela
       Cabrera gibt er dreimal im Jahr einen Bericht zur Situation der
       Menschenrechte im Cauca heraus. Mit Unterzeichnung des Friedensabkommens
       zwischen Regierung und Guerilla habe die Gewalt gegen politisch und sozial
       aktive Organisationen im Cauca sogar noch zugenommen. „Hier gibt es
       strukturelle Probleme, die der Staat lösen muss. Die sind die eigentlichen
       Ursachen der Gewalt“, mahnt Fernández. Armut und Perspektivlosigkeit sind
       damit vor allem gemeint. Das sollte sich mit dem Friedensabkommens
       eigentlich geändert haben.
       
       ## Nur zwei Drogenexperten für ein riesiges Gebiet
       
       „Doch die staatlichen Sicherheitskräfte sind weder in die von der Farc
       kontrollierten Regionen des Cauca nachgerückt, noch sind die anvisierten
       sozialen Programme auf den Weg gebracht worden“, moniert Fernández.
       Fehlende Vorbereitung, administrative Defizite und zu wenig Fachleute sind
       Gründe dafür, aber es gibt auch handfeste politische Versäumnisse. So sind
       für den gesamten Cauca gerade zwei Experten für die Programme zur
       Substituierung von Koka und Marihuana zuständig. „Wenn man weiß, dass der
       Cauca genauso wie das benachbarte Nariño zu den Hauptanbaugebieten zählt,
       versteht jeder Laie, dass das nicht funktionieren kann“, lästert Miguel
       Fernández desillusioniert. Der 59-Jährige mit der Baseballkappe und dem
       grau melierten Kinnbart lehrt an einer Bildungseinrichtung in der
       Cauca-Stadt Popayán und engagiert sich für den Schutz des Macizo
       Columbiano.
       
       In dieser bergigen Region im Grenzgebiet der drei Verwaltungsbezirke Cauca,
       Nariño und Huila entspringen mit dem Cauca und dem Río Magdalena nicht nur
       zwei der größten Flüsse Kolumbiens, auch rund siebzig Prozent des
       Trinkwassers werden dort generiert: „Ohne das Wasser aus dem Macizo sitzt
       Kolumbien auf dem Trocknen. Doch dreißig Prozent der Region sind bereits
       mit Bergbaukonzessionen belegt“, kritisiert Umweltschützer Fernández.
       Bergbau und Drogenkriminalität seien die größten Gefahren für den
       Friedensprozess. Trotzdem gehe die Regierung weder gegen paramilitärische
       Drogenbanden vor, noch komme sie ihren im Friedensvertrag mit der Farc
       eingegangenen Verpflichtungen nach.
       
       So sind die Camps, wo die Guerilleros der Farc ihre Waffen abgegeben haben
       und wo sie auf dem Weg zurück in die Zivilgesellschaft vorbereitet werden
       sollen, nicht rechtzeitig fertig geworden. Auch die Versorgung der
       Guerilleros verlief bisher alles andere als reibungslos. „Hier haben die
       Regierungsvertreter aus Bogotá versucht, Nahrungsmittel und Brennholz mit
       Kreditkarte und Quittungsblock einzukaufen“, lacht Miguel Fernández bitter.
       Wenn man die von Armut und miserabler Infrastruktur geprägte Region kennt,
       zeugt schon die Vorstellung, bargeldlos zu zahlen, von Ignoranz.
       
       „Oder von Kalkül“, wie Raúl Mahecha meint, der bis zum September aufseiten
       der Farc für die Überwachung der Waffenabgabe zuständig war und nicht nur
       im Cauca gesehen hat, wie schlampig beim Aufbau der 23 Farc-Camps
       gearbeitet worden ist. „Neben den zu spät fertig gewordenen Unterkünften
       gab es in einigen Camps massive Probleme mit der Trinkwasserversorgung. So
       ist es kein Wunder, wenn die Compañeros dann die Nase voll haben und
       gehen“, meint der 61-Jährige Farc-Aktivist, der sich mittlerweile in Bogotá
       um den Aufbau der Partei kümmert.
       
       ## Im Cauca überwiegt die Hoffnung auf Frieden
       
       Rund 55 Prozent der Guerilleros der Farc sollen sich mittlerweile abgesetzt
       haben. Die Vereinten Nationen haben mittlerweile öffentlich an die
       Regierung appelliert, die Reintegrationsprogramme für die Guerilleros
       endlich einzuleiten. Das wünschen sich auch die Bauern in den Regionen,
       weil sie wie Luisa Angela Patina befürchten, dass die ehemaligen
       Guerilleros sich von anderen bewaffneten Gruppen anwerben lassen könnten.
       In Guatemala und in El Salvador ist so etwas im Anschluss an die
       Friedensabkommen aus den 1990er Jahren vorgekommen, im Cauca überwiegt noch
       die Hoffnung, dass sich die früheren Kämpfer schlicht zu Verwandten und
       Bekannten abgesetzt haben könnten.
       
       Doch wie schnell sich das ändern kann, zeigt die Vertreibung von 166
       Familien in der Nähe von Suárez im Norden des Cauca. Dort kam es Anfang
       Dezember zu Gefechten zwischen Guerilleros der Volksbefreiungsarmee EPL und
       Dissidenten der Farc. Angeblich, so die Tageszeitung El Colombiano, ging es
       dabei um die Kontrolle von Drogenrouten. Unstrittig ist, dass der Cauca
       sich nicht wie erhofft zum „Friedenslaboratorium Kolumbiens“ entwickelt
       hat.
       
       31 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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