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       # taz.de -- Neue Ermittlungen im Fall Oury Jalloh: „Zwölf Jahre verwirrt und vertuscht“
       
       > Der Fall Oury Jalloh wird neu aufgerollt: Nun soll eine dritte
       > Staatsanwaltschaft prüfen, warum der Flüchtling in einer Polizeizelle
       > verbrannte.
       
   IMG Bild: „Endlich den Weg für Aufklärung freimachen“: Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding ist unter Druck
       
       BERLIN taz | Der Fall Oury Jalloh wird nochmals neu geprüft. Am
       Donnerstagnachmittag bat Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding
       (CDU) die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, das Verfahren an sich zu
       ziehen. Es gebe einen Konflikt in der Einschätzung des Falls zwischen der
       Staatsanwaltschaft Halle und der zuvor zuständigen Staatsanwaltschaft
       Dessau-Roßlau. Um diesen Konflikt aufzulösen, werde die
       Generalstaatsanwaltschaft nun eine „eigenständige“ Bewertung durchführen,
       teilte Keding mit.
       
       Zuvor waren weitere Details aus einem Gutachten des Dessauer
       Oberstaatsanwalts Folker Bittmann bekannt geworden. Dieser hatte im April,
       nach Vorlage neuer Gutachten, eine Kehrtwende vorgenommen: Jalloh, ein
       Flüchtling aus Sierra Leone, habe sich 2005 doch nicht selbst mit einem
       Feuerzeug in der Zelle angezündet, sondern müsse von Polizisten getötet
       worden sein – da der 36-Jährige vor dem Brand bereits bewusstlos gewesen
       sei. Dafür spreche der niedrige Adrenalinspiegel Jallohs, der eine
       Todesangst ausschließe, und die geringen Rußspuren in dessen Lunge. Jalloh
       war zudem an eine Matratze gefesselt.
       
       Das mögliche Motiv der Beamten: Diese hätten durch eine Verletzung Jallohs,
       einen Nasenbeinbruch und dessen Zusammenbruch in der Zelle erneute
       Ermittlungen gegen ihre Wache befürchten können.
       
       Bereits 1997 war ein Mann nach einer Gewahrsamnahme an inneren Verletzungen
       gestorben. Ein Zweiter starb 2002 mit einem Schädelbasisbruch im Revier.
       Die Sorge vor einer neuerlichen Untersuchung „mag zu dem Entschluss geführt
       haben, mit der Brandlegung alle Spuren zu verwischen, die den Vorwurf
       unterlassener Hilfeleistung gegen die diensthabenden Polizeibeamten
       begründen könnten“, zitiert die [1][Mitteldeutsche Zeitung] das
       Bittmann-Gutachten.
       
       ## Noch am Vormittag Einstellung verteidigt
       
       Bittmanns Staatsanwaltschaft war das Ermittlungsverfahren zu Oury Jalloh
       kurz nach der Kehrtwende im April entzogen worden. Die dann zuständige
       Staatsanwaltschaft Halle hatte das Verfahren im Oktober eingestellt – und
       noch am Donnerstagvormittag neue Ermittlungen abgelehnt. Es fehle weiter an
       neuen Ansätzen dafür, sagte eine Sprecherin der taz. Die bekanntgewordenen
       Gutachtendetails seien bereits seit April aktenkundig.
       
       Gleichzeitig hatte die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ am
       Donnerstag nach eigener Auskunft Anzeige wegen Mordes gegen den
       Expolizisten Andreas S. bei der Bundesanwaltschaft gestellt. S. hatte
       Jalloh festgenommen und in die Zelle gebracht. Bis heute fehle ihm ein
       belastbares Alibi für den Zeitraum des Brandes, so die Initiative. Auch
       habe bereits 2013 ein Justizvollzugsangestellter Andreas S. als Mörder von
       Jalloh bezeichnet.
       
       Zudem hatte die Linke Sachsen-Anhalt den Rücktritt von Keding und einen
       Untersuchungsausschuss gefordert. Es brauche „endlich juristische
       Aufklärung“ des Falls. Keding müsse den Weg dafür freimachen, sagte
       Linken-Fraktionschef Thomas Lippmann.
       
       ## „Skandalöse Nicht-Aufarbeitung“
       
       Auch die mitregierenden Grünen äußerten deutliche Kritik. „Die skandalöse
       Nicht-Aufarbeitung durch Polizei und Staatsanwaltschaft muss aufgeklärt
       werden“, erklärte Landeschefin Susan Sziborra-Seidlitz. Oury Jalloh müsse
       endlich als Opfer von Polizeigewalt anerkannt werden. Und Justizministerin
       Keding müsse erkären, „was sie wann wusste“.
       
       Der Druck wurde damit für Keding offenbar zu groß – am Nachmittag
       verkündete sie ihre Weisung. Es werde „alles unternommen, was
       rechtsstaatlich möglich und geboten ist, um die Umstände des Todes von Oury
       Jalloh aufzuklären“. Schon zuvor hatte sie den Landtagsabgeordneten
       Einsicht in die Ermittlungsakten im Fall Oury Jalloh zugesagt.
       
       Beate Böhler, Anwältin der Familie Jallohs, nannte die Übertragung der
       Ermittlungen auf die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg „bahnbrechend“.
       „Auch die Ermittler kommen jetzt nicht mehr um die Erkenntnis herum, dass
       hier vertuscht wurde und sich Oury Jalloh nicht selbst angezündet haben
       kann.“ Böhlers Kollegin Gabriele Heinecke forderte, nun müsse endlich mit
       Nachdruck ermittelt werden, wer damals alles Zugang zu Jallohs Zelle hatte.
       Die Polizei habe zuvor „zwölf Jahre lang verwirrt und vertuscht“.
       
       7 Dec 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.mz-web.de/dessau-rosslau/fall-oury-jalloh-wollten-dessauer-polizisten-weitere-todesfaelle-vertuschen--29252922
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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