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       # taz.de -- Schulz bei SPD-Parteitag wiedergewählt: Verzagtes „Ja“ zur Groko
       
       > Für Martin Schulz ist das Desaster abgewendet: Er bleibt SPD-Parteichef
       > und soll „ergebnisoffen“ über eine Große Koalition verhandeln.
       
   IMG Bild: Kein Desaster ist bereits ein Sieg: Martin Schulz wurde mit 82 Prozent wiedergewählt
       
       Berlin taz | Um 19 Uhr 41 am Donnerstagabend ist es geschafft. Martin
       Schulz umarmt Andrea Nahles, gibt Elke Ferner einen Wangenkuss, schüttelt
       Hände, und reckt den Daumen kurz in die Höhe. Dann eilt er beschwingt über
       die blau ausgeleuchtete Bühne Richtung Rednerpult. Locker, befreit soll das
       wirken. „Ich danke euch für das Vertrauen“, ruft er. Was wiedergewählte
       Parteivorsitzende eben so sagen. Alles wirkt selbstverständlich, ganz
       normal.
       
       So ist es nicht. Knapp 82 Prozent haben Martin Schulz wiedergewählt. Kein
       gutes Ergebnis. Aber es ist auch nicht das Desaster, das ihm hätte blühen
       können. Denn er hat die SPD in einem schwindelerregenden Zickzackkurs erst
       auf Anti-Groko Kurs gebracht, sie dort noch fixiert als absehbar war, dass
       diese Linie unhaltbar wird – und dann in Windeseile Gespräche mit Merkel
       und Seehofer durchgesetzt. All das nach einer schlimmen Wahlniederlage.
       
       Rückblende: Mittags hatte Martin Schulz in der ästhetisch kühlen City Cube
       Halle in Berlin eine Stunde lang den neuen Kurs verteidigt. Man will mit
       der Union reden, auch über eine Groko, aber „ergebnisoffen“. Schulz
       streichelt immer wieder die wund geriebene Seele der Sozialdemokratie.
       Jünger, weiblicher und vielfältiger müsse die Partei werden, verspricht er
       erneut. Er beschwört die Rettung von Natur und Klima und gibt sich als
       Feminist und Anhänger der #MeToo-Kampagne.
       
       Die EU soll bis 2025 zu einer eng verwobenen Föderation werden. Die Idee
       wirkt kühn, lehnt sich aber an eine alte Idee von Wolfgang Schäuble aus den
       90er Jahren an: Demnach müsse sich Kerneuropa rund um Deutschland und
       Frankreich schneller und stärker verbinden als der Rand. CSU-Mann Alexander
       Dobrindt poltert trotzdem schon mal gegen den „Europaradikalen“ Schulz –
       ein kleiner Vorgeschmack auf den Stil möglicher Koalitionsverhandlungen.
       
       ## „Ergebnisoffen“ als Fetisch
       
       Die SPD, fordert Schulz, müsse sich auf die alte Tugend besinnen,
       leidenschaftlich zu streiten. Weg von gespielter Geschlossenheit, weg vom
       Spin, weg von Taktiererei. Manchmal klingt Schulz fast wie ein deutscher
       Bernie Sanders. Doch obwohl die Rede so ziemlich alle Themen umfasst, ist
       das Echo bescheiden, der Applaus eher nett als euphorisch.
       
       Die Vokabel „ergebnisoffen“ hat an diesem Nachmittag etwas von einem
       Fetisch. Alle, auch solche, die unbedingt eine Koalition wollen, müssen
       erstmal „ergebnisoffen“ sagen. Fünf Stunden reden die GenossInnen über das
       was ihnen auf der Seele liegt. Es ist scheinbar eine offene Schlacht, wie
       es weitergehen soll. Die Jusos, angeführt von ihrem neuen eloquenten Chef
       Kevin Kühnert, wollen die SPD auf ein Nein zur Groko festlegen.
       
       Das ist die zentrale Frage: Würden die Jusos damit eine Mehrheit bekommen,
       wäre Schulz, der erst entschlossen die SPD in auf jeden Fall in der
       Opposition sah und sie jetzt wohl in die Regierung führen will, politisch
       tot. Kühnert, jung, cool, selbstbewusst und rhetorisch sicher, ist der
       heimliche Star des Parteitags und setzt sich als Schulz' Gegenspieler in
       Szene.
       
       Das Gros der Redner ist unglücklich über die Aussicht, dass die SPD schon
       bald wieder über ein Bündnis mit Merkel verhandeln wird. Ein Genosse aus
       Leverkusen rechnet vor, dass die SPD, wenn es bei Wahlen so weitergeht wie
       bisher, 2029 unter fünf Prozent bekommen würde.
       
       Die Tonlage der Debatte bleibt gedämpft. Es gibt 91 Wortmeldungen. Die
       Argumente sind naturgemäß nicht immer neu. Aber wie in therapeutischen
       Sitzungen geht es auch darum, etwas immer wieder auszusprechen, um es
       handhabbar zu machen. Der Frust sitzt tief, aber er hat etwas Diffuses. Und
       es gibt an diesem Donnerstag in Berlin keinen charismatischen
       Machtpolitiker, keinen Oskar Lafontaine und keinen Sigmar Gabriel, der
       diese Enttäuschung kanalisieren und bündeln würde.
       
       ## Die Revolte ist abgesagt
       
       Den Juso-Antrag, eine Groko auszuschließen, lehnen am Abend ungefähr vier
       Fünftel der Delegierten ab. Die Revolte ist abgesagt. Die SPD sendet ein
       Zeichen, ein leises, verzagtes „Ja“ zur Groko.
       
       Jusochef Kevin Kühnert zeigt sich vor der Halle dennoch zufrieden. Man habe
       mit dem zusätzlichen Parteitag vor Beginn von Koalitionsverhandlungen „die
       formale Hürde für eine Groko höher gelegt“. Außerdem habe der Tag gezeigt,
       wie mies die Stimmung an Basis in Sachen Groko ist. Kühnerts Kampf geht
       weiter.
       
       Den Ärger über Wahlniederlage und Chaoskurs bekommen am Ende des Tages die
       Vizevorsitzenden Ralf Stegner und Olaf Scholz ab. Beide erhalten nur um die
       60 Prozent Ja-Stimmen.
       
       Irgendwo muss die Wut hin.
       
       8 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
   DIR Ulrich Schulte
       
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