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       # taz.de -- Kommentar SPD-Parteitag: Wer glaubwürdig ist, hat den Schaden
       
       > Schulz steuert die Genossen in Richtung Groko-Konsens. Gut für die
       > politische Stabilität, aber für die SPD wird das schlimme Folgen haben.
       
   IMG Bild: Oh Captain, my Captain: Steuert Martin Schulz die SPD in den Hafen der Großen Koalition?
       
       Martin Schulz hat in den letzten elf Monaten einige kühne Wendungen
       vollzogen. Erst war er Retter der SPD, dann der verzagte Kanzlerkandidat,
       der an Merkel verzweifelte. Er hat die Partei scheinbar nach links
       geschoben, dann die Agenda-Korrektur jäh abgebrochen. Nach der Wahl schwor
       er: „niemals Groko“, nun steuert der Kapitän, in rhetorische Nebelkerzen
       gehüllt, wohl [1][den Hafen Große Koalition an]. Das sind ziemlich viele
       Schwenks in kurzer Zeit.
       
       Kann jemand mit so wenig strategischem Weitblick die SPD retten? Wohin will
       Schulz eigentlich? Vielleicht nach Europa? Der SPD-Chef hat auf dem
       Parteitag in Berlin eine verwegene Vision skizziert. Aus der Europäischen
       Union sollen in ein paar Jahren die Vereinigten Staaten von Europa werden:
       eine föderale Union mit gemeinsamer Verfassung, allerdings ohne die
       Nationalstaaten auszuhebeln. Bisher ist das eine Skizze, die noch im Detail
       auszumalen ist. Die europäische Einigung soll womöglich der neue Leitstern
       für die SPD werden. Und eine überwölbende Erzählung für die nächste Große
       Koalition, die neben purem Machterhalt plus Sozialpolitik auch ein
       sinnstiftendes Narrativ braucht.
       
       Vielleicht. Vielleicht ist dieser Traum von Europa aber auch nur noch eine
       weitere schnell vergessene Finte, noch eine Kurve auf dem windungsreichen
       Weg, die Martin Schulz ins politische Nirgendwo führt. Politiker müssen
       flexibel sein und auf Stimmungen reagieren. Willy Brandt, Heldenfigur der
       SPD, war einst berüchtigt für seine taktische Finessen. Bei Schulz ist
       indes manchmal nur noch Flexibilität zu erkennen, aber kein
       Koordinatensystem mehr.
       
       Zudem scheint die Schulz-SPD seit Monaten Opfer der Verhältnisse zu sein.
       Im Wahlkampf war man sauer auf Merkel, die einfach SPD-Forderungen
       übernahm. Auf die Idee, dass das vielleicht an den SPD-Forderungen liegen
       könnte, kam niemand. Nach der Wahl erklärte Schulz, dass „der dramatische
       Appell des Bundespräsidenten“ Grund für seinen jähen Umschwung Richtung
       Groko war. Zudem drängt der französische Staatspräsident Macron die SPD in
       eine neue Große Koalition. Irgendwie sind immer andere verantwortlich für
       die Wendemanöver. Die sozialdemokratische Erzählung ist unter Schulz zu
       einer aus lauter Passivsätzen geworden. Das ist, angesichts der
       fundamentalen Krise der SPD, beunruhigend.
       
       Nun bewegt sich die SPD in zögerlichen Schritten auf eine Große Koalition
       zu. Der Parteitag hat offen wie selten über die vertrackte Lage diskutiert.
       Allerdings wurde auch, begleitet von treuherzigen Bekundungen, auf Taktik
       zu verzichten, viel taktiert. So ist Schulz' Beteuerung, die Gespräche mit
       Merkel und Seehofer seien ergebnisoffen, eher Schwindel. Die
       Minderheitsregierung ist auch für die SPD-Spitze nur rhetorisches
       Spielzeug, um die Partei an das Unvermeidliche zu gewöhnen. Die SPD ist auf
       Macht und Staatsräson fixiert – und nicht für Experimente gemacht.
       
       ## Die SPD braucht mehr
       
       Die nächste Groko ist wahrscheinlich, aber nicht sicher. Die Lage ist
       jedenfalls fragiler als 2013. Damals hatte die Union mehr als 40 Prozent
       und konnte generös sein. Jetzt ist Merkel angeschlagen. Sie kann der SPD
       weniger geben. Aber die SPD braucht mehr, zumal ihr ein Symbol wie der
       Mindestlohn fehlt. Außerdem wird die CSU den starken Mann markieren, und
       der CDU-Wirtschaftsflügel bei Rente und Bürgerversicherung Schnappatmung
       bekommen.
       
       Andererseits ist der Druck, sich zu einigen, hoch. Gewerkschaften und
       Arbeitergeber wollen Stabilität. Zudem werden sich im Januar bei den
       Sondierungen ja Vertreter einer sozialdemokratisierten Union und einer
       christdemokratisierten Sozialdemokratie am Tisch gegenübersitzen. Und
       allesamt sind sie gewiefte Techniker der Macht, die wissen, wie man Konsens
       produziert.
       
       Falls es so kommt, wird der Schaden für die SPD erheblich sein – und auf
       jeden Fall eine effektive Mitgliederwerbung für die Linkspartei. Martin
       Schulz ist anders als die stromlinienförmigen Polittechnokraten. Er kann
       über Politik reden wie der Kumpel in der Eckkneipe. Sein Kredit ist
       Glaubwürdigkeit. Doch dieses Konto hat er inzwischen überzogen.
       Glaubwürdigkeit ist schnell zerstört, aber nur sehr langsam
       wiederherstellbar. Die SPD müsste das eigentlich wissen.
       
       8 Dec 2017
       
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   DIR Stefan Reinecke
       
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