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       # taz.de -- Sea-Watch-Aktivist Ruben Neugebauer: Über die Grenzen
       
       > Er ist einer der wichtigsten Aktivisten der Bewegungsszene. Mit der
       > „Moonbird“ rettet Neugebauer Flüchtlinge aus dem Mittelmeer.
       
   IMG Bild: Aus der Luft sucht Ruben Neugebauer das Meer ab. Ob Schlauchboot oder Schaumkrone ist nicht leicht zu erkennen
       
       Malta/Berlin taz | Ruben Neugebauer hat es eilig. Zusammen mit zwei
       Crewmitgliedern von Sea Watch e. V. läuft er das Rollfeld des Flughafens
       von Malta entlang, hin zu einem kleinen einmotorigen Propellerflugzeug, das
       vor den Hangars parkt. Es ist früh um sieben, für den maltesischen November
       ein warmer Tag. Die drei nehmen die Plane ab, die über der „Moonbird“
       liegt, sie wollen schnell starten, weil noch für den Vormittag Gewitter
       vorhergesagt sind.
       
       Sie ziehen Schwimmwesten über ihre orangen Pilotenanzüge und setzen
       Kopfhörer auf, über die sie den Funk hören und sich während des lauten
       Flugs verständigen können. Als Neugebauer den Motor der „Moonbird“ startet,
       zuckt ein Blitz über den Himmel. Das Gewitter zieht früher und heftiger auf
       als erwartet. Durch so eine Regenfront schafft es das Kleinflugzeug nicht
       hinaus aufs Meer. „Die Scheiße ist“, sagt Neugebauer und macht den Motor
       wieder aus, „in Libyen ist gutes Wetter.“
       
       Von der libyschen Küste aus, von Sabrata oder al-Chums, etwa 360 Kilometer
       südlich auf der anderen Seite des Mittelmeers gelegen, haben in der Nacht
       deshalb viele Boote abgelegt. In Holz- und Schlauchbooten dürften sich
       Hunderte Menschen auf den Weg nach Europa gemacht haben. Sea Watch, die
       NGO, für die Neugebauer fliegen will, rettet Flüchtende aus Seenot. Aber ob
       es heute noch möglich sein wird, mit der „Moonbird“ nach überfüllten oder
       lecken Booten Ausschau zu halten, ist unklar.
       
       Neugebauer, 28, Dreitagebart, gebeugte Schultern, ist die umtriebigste
       Person, die es in der deutschsprachigen Bewegungsszene momentan gibt. Er
       hat Sea Watch mitgegründet und aufgebaut und ist Sprecher, Koordinator und
       Krisenmanager der NGO. Er betreut Kampagnen, fliegt und fährt zur See. Die
       Arbeit wird nicht leichter: Anfangs wurde Sea Watch gefeiert, inzwischen
       kämpft die Organisation um ihren Ruf.
       
       Mit Sea Watch verbringt Neugebauer ehrenamtlich so viel Zeit wie andere mit
       einem Vollzeitjob. Um Geld zu verdienen, arbeitet er als Film- und
       Fotojournalist und recherchiert Kampagnen für NGOs. „Ich hab ein
       Stressleben“, sagt Neugebauer und lacht, weil er hinter fast allen Sätzen
       lacht, die er sagt. „Aber ich war noch nie in der Lage, mich für eine Sache
       zu entscheiden.“
       
       ## Immer unterwegs
       
       Deshalb ist es auch nicht ganz einfach, Ruben Neugebauer zu treffen. „Wir
       können unterwegs sprechen“, sagt er oft, freundlich und mit schwäbischem
       Akzent. Unterwegs, das heißt: im Auto, wenn er auf Malta vom Haus, das Sea
       Watch für die Crew gemietet hat, zum Schiff oder Flugzeug fährt; am Telefon
       im ICE, wenn er von Berlin nach Bonn fährt, wo KlimaaktivistInnen von Ende
       Gelände einen Tagebau besetzen wollen; oder auf dem Weg zum Flughafen
       Berlin-Tegel, bevor er wegen einer Recherche im Irak zwei Wochen kaum
       erreichbar sein wird.
       
       Ruben Neugebauers Leben ist voller Projekte, die fast immer mit denselben
       Themen zu tun haben, Umwelt- und Menschenrechte, seit Schulzeiten. Er
       wächst in Reutlingen auf in einem friedensbewegten Haushalt, wird
       Klassensprecher und sitzt im Jugendgemeinderat. Als er 13 ist, wird ein
       Mädchen aus dem benachbarten Tübingen in das Kosovo abgeschoben. Er kennt
       die Jugendliche flüchtig, sie ist gerade zur Schülersprecherin gewählt
       worden. Obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, wird sie
       von einem Tag auf den anderen ausgewiesen. „Aus der Schule raus und weg“,
       sagt Neugebauer. „Dass das jemand macht, war ein Schock für mich.“ Sein
       Vertrauen in den Staatsapparat wird nachhaltig erschüttert. Ein paar Jahre
       später besucht er sie und veröffentlicht ein Porträt von ihr in der Jungle
       World.
       
       Irgendwo im Grenzbereich zwischen Ernst und Klamauk bewegen sich bald erste
       Provokationen gegenüber Gegnern, die größer sind als er. Noch als Schüler
       gründet er den „Polizeifanverein Knüppeldick“, der sich angesichts der
       damals diskutierten restriktiven Novellierung des Versammlungsgesetzes
       Hunderte Kleinstveranstaltungen vom Ordnungsamt genehmigen lässt – und der
       Verwaltung damit stapelweise Formulare beschert, die sie abarbeiten muss.
       Er schließt sich den AktivistInnen von Robin Wood an, die Kletter- und
       Blockadeaktionen für saubere Energie- und Umweltpolitik machen, an
       Atomkraftwerken oder auf Kränen. Nebenbei, sagt er, habe er angefangen,
       „unsere eigenen Aktionen zu fotografieren“.
       
       Als der Grüne Jürgen Trittin während einer Podiumsdiskussion eine Torte ins
       Gesicht bekommt, ist Neugebauer zufällig dort und drückt auf den Auslöser.
       Für das Geld, das er für das Foto bekommt, kauft er eine professionelle
       Ausrüstung. Mit FreundInnen gründet er ein Multimediakollektiv. Sie liefern
       Videos, Fotos und Texte für die taz, den Spiegel, den Guardian oder die ARD
       und berichten aus Syrien, dem Irak und von den Außengrenzen der EU. Während
       einer Recherche im türkischen Diyarbakır werden er und zwei Freunde
       verhaftet, der Vorwurf des Erdoğan-Regimes: Terrorismus und Spionage. Das
       Auswärtige Amt erreicht schnell ihre Freilassung.
       
       ## Helden für ein Jahr
       
       Auf Malta geht am Morgen ein Notruf ein. Neugebauer hat die „Moonbird“
       gerade wieder geparkt, als eine NGO meldet, ein Boot habe das libysche
       al-Chums wohl früh um drei Uhr verlassen. Um die 60 Menschen sind an Bord,
       die Koordinaten bleiben vage. Klar ist: Das Gewitter wird von Norden direkt
       dorthin ziehen. „Wenn das Boot gegen Abend noch nicht gefunden wurde, ist
       die Wahrscheinlichkeit groß, dass Leute sterben“, sagt Neugebauer.
       
       Aber weil er das nicht ändern kann, weil die „Moonbird“ nicht fliegen kann,
       solange das Wetter so bleibt, und weil der Tod hier zum Alltag gehört,
       arbeitet er vorerst eben anderswo weiter. Freiwillige für die
       Aufklärungsflüge warten darauf, eingewiesen zu werden, die Notfallnummer
       für Einsätze funktioniert noch nicht, und schon in zwei Tagen soll das neue
       Schiff, die „Sea-Watch 3“, zum ersten Mal auf Mission fahren.
       
       Die Organisation hat sie erst vor zwei Monaten gekauft. 50 Meter lang und
       blau-weiß-rot gestrichen liegt das Schiff, eine Viertelstunde vom Flughafen
       entfernt, im Hafen von Valletta, wo es nach Salzwasser und Diesel riecht.
       Dass die „Sea-Watch 3“ direkt neben dem grauen Schiff der europäischen
       Grenzwache Frontex ankert, ist Zufall. Kontakt zwischen den Crews gibt es
       nicht.
       
       Sea Watch arbeitet mit nur sieben Festangestellten, im Freiwilligenteam
       sind es zwischen 20 und 40, die das Kernteam bilden. Daneben braucht es
       einen großen Pool von Ehrenamtlichen, momentan rund 400 Menschen aus ganz
       Europa: PilotInnen, die die „Moonbird“ fliegen, und ÄrztInnen,
       MechanikerInnen, SanitäterInnen und KöchInnen, die auf den zweiwöchigen
       Rettungsmissionen auf dem Schiff dabei sind.
       
       Inzwischen regnet es in Strömen. Neugebauer steht telefonierend unter Deck
       auf dem neuen Schiff. Er trägt blaue Kopfhörer, das Handy steckt in der
       Hosentasche, so hat er die Hände frei. Neugebauer ist ständig unterwegs –
       aber wenn er mit jemandem spricht, egal wo oder mit wem, dann nimmt er sich
       Zeit. Er arbeitet mit einer ruhigen, stetigen Energie – was dazu führt,
       dass seine Tage lang und die Nächte oft nur fünf, sechs Stunden kurz sind.
       Er ist der Erste, der morgens die Fluggenehmigungen und Strömungsfilme des
       Mittelmeers checkt. Und der Letzte, der nachts am Tisch im Bauch des
       Schiffes sitzt und das Stück Pizza vergisst, das neben seinem Laptop liegt,
       weil ihm die Mails wichtiger sind. „Im Krisenmodus ist das okay“, sagt er.
       Das Problem ist nur, dass Sea Watch seit fast drei Jahren überhaupt nicht
       mehr aus dem Krisenmodus herauskommt.
       
       ## Risiken eingehen
       
       Prägnante Ideen, eine gewisse Bereitschaft zum Risiko und die Fähigkeit,
       Menschen Sicherheit zu geben, das ist, was Neugebauer schon früh
       auszeichnet. Neben dem Bachelor in Geochemie, den er in Berlin macht,
       gründet er 2013 Peng! mit. Das Kollektiv aus AktionskünstlerInnen schleicht
       sich unter anderem in eine PR-Veranstaltung des Ölkonzerns Shell ein,
       inszeniert eine Ölfontäne auf der Bühne und ruft den Konzern dazu auf, die
       Verantwortung für Umweltzerstörungen im Nigerdelta zu übernehmen.
       
       Neugebauer arbeite schnell und präzise, sagen Menschen, die mit ihm
       befreundet sind, mit denen er fliegt, mit denen er in Berlin in einer
       Sechser-WG zusammenwohnt. Er sei oft zwei, drei Schritte voraus, wenn es
       darum gehe, Aktionen zu besprechen. Und trotzdem komme es ihm nicht darauf
       an, in der ersten Reihe zu stehen. „Wenn er merkt, dass es ohne ihn läuft“,
       sagt einer, „lässt er andere machen.“ Mit ihm zu arbeiten sei allerdings
       einfacher, als mit ihm befreundet zu sein: „Er ist sehr schnell sehr weg.“
       
       Erst 2014 erzählt ein Freund Neugebauer von Harald Höppner. Das Mittelmeer
       ist zur gefährlichsten Fluchtroute der Welt geworden, fast 4.000 Menschen
       ertrinken in diesem Jahr. Höppner will einen Fischkutter kaufen – um Europa
       dazu zu bringen, nicht nur die Schlepper zu bekämpfen, sondern die
       Flüchtenden zu retten. Die Idee ist, für drei Monate aufs Meer zu fahren,
       „Fotos zu machen und zu zeigen, was da abgeht“, sagt Neugebauer. „Wir
       wollten die EU unter Druck setzen. Wir hatten nie den Plan, eine NGO zu
       gründen.“
       
       Doch die EU kümmert es wenig, ob die Crew eines kleinen Schiffs um Hilfe
       schreit, weil Menschen an ihren Grenzen sterben. Höppner und Neugebauer
       sehen keinen anderen Weg, als zu bleiben. „Wir haben gemerkt, dass wir
       einen Unterschied machen“, sagt Neugebauer. Weil sie einfache
       Rettungsinseln und Schwimmwesten dabeihaben, weil sie sich mit anderen
       Schiffen vernetzen und die Menschen aus dem Wasser ziehen. „Wir hatten
       plötzlich eine Verantwortung, moralisch und humanitär.“
       
       Heute hat Sea Watch zwei Schiffe und ein Flugzeug. Die Organisation war in
       den vergangenen Jahren an der Rettung von rund 35.000 Menschen im zentralen
       Mittelmeer beteiligt und an der von 15.000 weiteren in der Ägäis.
       
       ## Im Scheinwerferlicht
       
       Anfangs fragen Zeitungen, ob Sea Watch überhaupt ernst gemeint sei.
       Journalist, Aktivist, Aktionskünstler – Neugebauer hat zu viele Rollen, um
       sie den Medien verständlich zu machen. Aus dem Peng!-Kollektiv, das bei
       Aktionen häufig mit Humor arbeitet, zieht er sich zurück. Denn die
       Öffentlichkeit ist plötzlich da: Im Sommer der Migration 2015 wird Sea
       Watch ins Scheinwerferlicht katapultiert.
       
       Die Flüchtlingszahlen steigen. Die Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer sind
       dramatisch, die Bilder gehen um die Welt: HelferInnen hieven erschöpfte
       Menschen aus überfüllten Schlauchbooten an Bord der „Sea Watch“. Höppner
       wird in Günther Jauchs Talkshow eingeladen und erzwingt dort eine
       Schweigeminute für die Toten – Neugebauers Idee. „Im ersten Jahr“, sagt
       Neugebauer, „waren wir die Helden.“
       
       Doch das ändert sich schnell. Immer wieder provoziert die sogenannte
       libysche Küstenwache Konfrontationen. Auch die EU, die mit Libyen
       zusammenarbeitet, macht bald klar, dass sie das Anliegen der NGO nicht nur
       ignorieren, sondern aktiv bekämpfen wird. Seit Anfang 2017 kritisieren der
       deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der italienische
       Staatsanwalt Carmelo Zuccaro und der damalige österreichische Außenminister
       Sebastian Kurz (ÖVP) die Rettungseinsätze: Sea Watch locke Flüchtlinge
       regelrecht aufs Meer hinaus. Manche werfen der Organisation vor, mit
       Schleppern zusammenzuarbeiten. „Die EU betreibt eine
       Kriminalisierungskampagne gegen uns“, sagt Neugebauer.
       
       Die NGO kämpft um ihr Image. Neugebauer, mittlerweile Kopf und Herz von Sea
       Watch, professionalisiert die Öffentlichkeitsarbeit. Dass er weiß, welche
       Wirkung Bilder haben und welche Fakten es braucht, um nicht angreifbar zu
       sein, ist ein Vorteil für die Organisation. Es ist gleichzeitig ein
       Nachteil für ihn selbst: einmal Aktivist, immer Aktivist. Obwohl er seine
       Arbeitgeber beim Multimediakollektiv transparent mache und nicht zur
       Seenotrettung arbeite, sei er als Journalist für manche Medien verbrannt.
       Verlogen sei das: „Jeder hat eine Meinung. Es ist ehrlicher, das
       offenzulegen, als einen auf objektiv zu machen, es aber nicht zu sein.“
       
       ## Es gibt weniger Tote
       
       Die Kritik an Sea Watch zeigt Wirkung. Zwar haben Wissenschaftler der
       Universität Oxford Rettungsaktionen im Mittelmeer über Jahre miteinander
       verglichen und nachgewiesen, dass die Vorwürfe, die Missionen führten zu
       höheren Flüchtlingszahlen, nicht zu halten sind. Der einzige Zusammenhang,
       den die Studie fand: Wenn mehr Retter unterwegs sind, gibt es weniger Tote.
       
       Die Spenden für die Organisation brechen trotzdem ein. Die EU ist ein
       mächtiger Gegner, und viele Menschen glaubten ohnehin, das Problem auf dem
       Mittelmeer sei erledigt, weil die Medien kaum noch berichten würden,
       vermutet Neugebauer. „Momentan wissen wir noch nicht, wie wir das nächste
       Jahr schaffen sollen“, sagt er. „Aber die Menschen flüchten weiter, und für
       die macht es keinen Unterschied, ob sie 2015 ertrinken oder 2018.“
       
       Ruben Neugebauer sagt, er sei ein glücklicher Mensch. Er bewegt sich mit
       Leichtigkeit in Umständen, die anderen die Kraft rauben würden. Er macht
       weiter, auch wenn ihm Menschen unter der Hand wegsterben, vor eineinhalb
       Jahren ein 16-jähriges Mädchen, von dem er öfter erzählt. Per
       Herzdruckmassage und noch auf dem Schnellboot hat er versucht, sie
       wiederzubeleben. Ob sie in dem überfüllten Boot, mit dem sie kam, erdrückt
       wurde oder letztlich an Entkräftung starb, ist nicht klar. „Die Leute
       fragen immer, ob mich das traumatisiert“, sagt er. „Aber krank wäre doch
       nur, so etwas zu sehen und nichts zu tun.“
       
       ## Der Himmel klart auf
       
       Und trotzdem ist der Druck auf Dauer auch für ihn kaum auszuhalten. „Die
       letzten drei Jahre haben unglaublich viel Energie gekostet“, sagt
       Neugebauer. „Ich brauche langsam mal eine Pause.“
       
       Während Menschen mit Neugebauers Pensum Arbeit und Privates oft streng
       trennen, geht bei ihm lange alles ineinander über – auch weil viele, mit
       denen er arbeitet, gute FreundInnen sind. Erst seit Kurzem fängt er an,
       Grenzen zu ziehen. Ihm sei inzwischen bewusst, dass er darauf achten müsse,
       neben Sea Watch noch ein eigenes Leben zu leben. Ab und zu geht er
       Gleitschirmfliegen, an einer Fernuni macht er einen Master in
       Katastrophenmanagement. Per Telefon und Chatgruppe hält er Kontakt mit
       seiner WG und seiner Freundin – auch wenn er vermutet, dass seine
       Kommunikation abgehört wird.
       
       Politisch legt sich Neugebauer mit vielen an, Streit mit FreundInnen kann
       er nicht gut ertragen. „Im Privaten taugt er nicht zur Konfliktpartei“,
       sagt einer, der ihn gut kennt.
       
       Die Bedingungen, unter denen Neugebauer arbeitet, werden nicht leichter:
       Während Sea Watch legale Einreisewege fordert, gibt es in der EU und in
       Deutschland einen Backlash, das Asylrecht wird deutlich verschärft. „Wir
       dachten: Wenn wir zeigen, wo die EU versagt, können wir die EU ändern. Das
       war total naiv.“
       
       Gegen Mittag klart der Himmel über Malta unerwartet auf. Wenn Neugebauer es
       schafft, mit der „Moonbird“ bis 14 Uhr zu starten, gibt es für die Suche
       nach dem vermissten Boot noch eine Chance. Der Flug ins Einsatzgebiet vor
       Libyen dauert mehr als eine Stunde, im Gebiet selbst bleiben etwa drei
       Stunden Zeit, um zu suchen – dann muss die „Moonbird“ umdrehen, weil der
       Sprit nicht länger reichen würde.
       
       Das Cockpit des Flugzeugs ist verglast, die Sicht auf Schäfchenwolken und
       das Meer frei. Neugebauers Laune ist blendend angesichts der Möglichkeit,
       doch noch nach dem Boot suchen zu können – obwohl der Notruf nun Stunden
       alt ist und Glück nötig ist, um ein Schlauchboot, das je nach Flughöhe
       aussieht wie Schaumkronen auf dem Meer, auf dem Wasser zu finden.
       
       Kurz vor der Zwölfmeilenzone, dem Hoheitsgebiet von Libyen, fliegt die
       „Moonbird“ Schleifen, wo die Crew das Boot vermutet. Ein Militärschiff
       taucht auf, dann eine kleine Fischerflotte. Plötzlich ruft Neugebauer:
       „Target!“ Die „Moonbird“ fliegt tiefer, dreht Kreise, und tatsächlich
       schwimmt dort unten ein offenbar voll besetztes Schlauchboot.
       Wahrscheinlich ist das nächstgelegene Schiff, das für eine Rettung infrage
       kommt, die „Aquarius“, die einer befreundeten Organisation gehört.
       Neugebauer setzt den Notruf ab. Die „Moonbird“ winkt mit den Tragflächen,
       um den Menschen im Boot zu signalisieren, dass Hilfe kommt. Dann dreht sie
       ab, zurück nach Malta.
       
       Es ist schon dunkel, als von der „Aquarius“ die Nachricht kommt, dass die
       Besatzung das Boot gefunden und rund 60 Menschen an Bord genommen hat.
       
       26 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
       
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