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       # taz.de -- Staatsbürgerschaft im Steuerparadies: Zweitpass zum Schnäppchenpreis
       
       > Tropenstürme haben manche Karibikstaaten zerstört. Diese betreiben nun
       > mit dem Verkauf von Staatsbürgerschaften den Wiederaufbau.
       
   IMG Bild: 7. Oktober 2017: Codrington auf Baruda nach dem Hurrikan „Irma“
       
       Weil der Karibikinsel Barbuda nach dem Tropensturm „Irma“ im Herbst das
       Geld auszugehen droht, sucht Premierminister Gaston Browne dringend nach
       ausländischen Investoren und bietet ihnen die Staatsbürgerschaft an – zu
       einem regelrechten Schnäppchenpreis.
       
       Der Hurrikan hatte die Insel im September verwüstet und zeitweise
       unbewohnbar gemacht. 1.800 Bewohner mussten evakuiert werden. Die Schäden
       beziffert Browne, der Regierungschef von Antigua und Barbuda ist, auf rund
       85 Millionen Euro. Der Wiederaufbau muss schnellstens passieren, denn 70
       Prozent des BIP werden normalerweise mit den Einnahmen aus dem Tourismus
       erwirtschaftet. Weil kaum jemand versichert ist, ist aber von den
       Assekuranzen kaum Geld zu erwarten. Ökonomisch ist die „Insel über dem
       Wind“, die zum britischen Commonwealth gehört, am Ende.
       
       Premier Browne wirbt deshalb um Investoren. Wer mindestens 100.000
       US-Dollar (etwa 85.000 Euro) mitbringt, versprach er in einer Ansprache im
       Parlament von St. John’s, der soll im Gegenzug die Staatsbürgerschaft des
       Landes bekommen. Für viele Reiche ist das attraktiv: Auf den meisten
       Karibikinseln gibt es keine oder kaum Vermögens- oder Erbschafts-, manchmal
       noch nicht einmal Einkommenssteuern. Zudem kann man als Staatsbürger
       visafrei in mehr als 120 andere Länder reisen. Und manch einer hat
       vielleicht einfach gerne einen Zweitpass als Absicherung für schlechtere
       Zeiten.
       
       Tatsächlich gibt es das Angebot „Pass gegen Kohle“ schon länger, aber
       bisher mussten die um Diskretion bemühten Geldgeber deutlich mehr Geld auf
       den Tisch legen: mindestens die doppelte Summe. Plus eine
       Bearbeitungsgebühr von fast 50.000 US-Dollar, plus 300 Dollar für den Pass
       selbst.
       
       Aber derzeit scheint es einen Dumping-Wettbewerb zu geben. Nachlässe gibt
       es derzeit nicht nur auf Barbuda. Die Nachbarinsel St. Kitts hat den Preis
       für ihre Staatsbürgerschaft halbiert, Dominica und St. Lucia wollen
       nachziehen.
       
       ## 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
       
       Warum, ist offensichtlich: Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt,
       dass der Verkauf von Staatsbürgerschaften in St. Kitts 2014 rund 14 Prozent
       zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen hat. Derzeit gehe es auf einzelnen
       Inseln um bis zu 19 Prozent, „bei insgesamt stark steigender Tendenz“.
       Schätzungen anderer Quellen belaufen sich sogar auf bis zu 30 Prozent.
       
       Karibikökonomen halten nichts von den Preissenkungen. Berater Madhi
       Mohammed kritisierte, dass St. Kitts und Nevis versuche, die
       Wettbewerbsfähigkeit ihres Staatsbürgerschaft-gegen-Geld-Programms „auf
       Kosten seiner karibischen Nachbarn“ zu verbessern. Dominica habe bereits
       jede andere Einnahmequelle verloren, sagte der Vorstandsvorsitzende von
       Guide Consultants, einer Beratungsfirma für „Citizenship by Investment“.
       
       Keines der Länder reagiert auf Presseanfragen zu diesem Thema. Und selbst
       der IWF klagt über zunehmend fehlende Transparenz über die genauen
       Einnahmen: Wer möchte schon gerne als finanzkräftiger Kapitalnomade mit
       Drang zum Zweitpass, dass Hinz und Kunz weiß, dass man sich für alle Fälle
       noch andere Ausweispapiere erkauft hat.
       
       Die Karibikinseln sind nicht die einzigen Länder, die solche Programme
       anbieten. Außer in Antigua und Barbuda, Dominica, Grenada, St. Kitts und
       Nevis, St. Lucia ist es auch in Europa möglich, die Staatsbürgerschaft zu
       kaufen – in Österreich, Zypern und Malta.
       
       ## Staatsbürgerschaft als Ware
       
       „Staatsbürgerschaft wird damit zu einer Ware auf dem Weltmarkt“, kritisiert
       Bert Hoffmann. Der Politikwissenschaftsprofessor an der FU Berlin leitet
       das Berliner Büro des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien.
       Mit Geld verschafften sich Reiche das „Privileg eines hochwertigen
       Zweitpasses“.
       
       Während früher die Staatsbürgerschaft durch Abstammung – ius sanguinis –
       oder Geburt in dem Land – ius solis – definiert war, spreche man inzwischen
       von einer neuen Form, eine nationale Staatsbürgerschaft und die damit
       verbundenen Privilegien zu bekommen: dem ius pecuniae, dem Recht des
       Geldes.
       
       Zur prekären ökonomischen Basis und der Tourismusmonokultur kommt auf den
       Kleinen Antillen noch die Verwundbarkeit durch Hurrikans. Von Mai bis
       November ist das halbe Jahr lang mit furiosen Stürmen zu rechnen.
       
       Verwüstungen wie zuletzt in Antigua und Barbuda und Dominica seien nicht
       nur eine momentane humanitäre Katastrophe, gibt der Politikwissenschaftler
       zu bedenken. Sie bedeuteten auch über Jahre hinaus enorme „Schäden für die
       wirtschaftlichen Perspektiven der Insel“. Zudem seien Hurrikans kein
       einzigartiger Schicksalsschlag. „Der Klimawandel wird diese Probleme noch
       verschärfen“, sagt Hoffmann.
       
       18 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hans-Ulrich Dillmann
       
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