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       # taz.de -- Kolumne „Wirtschaftsweisen“: Mit Apps und Papps in der Abofalle
       
       > Immer alles digitaler: Das kostet Arbeitsplätze und lässt die
       > „Servicewüste Deutschland“ immer größer werden. Und es geht nicht immer
       > mit rechten Dingen zu.
       
   IMG Bild: Arbeitslos? Na, dann wirst du eben Friseur oder machst einen Späti auf!
       
       Man geht davon aus, dass die Computerisierung noch weitere
       Arbeitslosigkeitswellen hervorruft. Den entlassenen Arbeitern und
       Angestellten wird wie stets geraten, sich zu „qualifizieren“, umzuschulen
       und selbstständig zu machen.
       
       Einer der Betroffenen erwiderte: „Reparaturwerkstätten, klar! Ich wollte
       eine aufmachen, als ich arbeitslos geworden bin. Jan, Sam und Alf auch. Wir
       haben alle geschickte Hände, also lasst uns alle eine Reparaturwerkstatt
       aufmachen. Für jedes defekte Gerät in Ilium ein eigener Mechaniker.
       Gleichzeitig sahnen unsere Frauen als Schneiderinnen ab – für jede
       Einwohnerin eine eigene Schneiderin.“
       
       Dies ist ein Zitat aus dem 1953 veröffentlichten Buch des
       US-Schriftstellers Kurt Vonnegut: „Das höllische System“ – 1953!
       
       Damals ging es um die Massenarbeitslosigkeit produzierenden Folgen bei der
       Einführung des „Zentralcomputers“. Heute ist es das Internet, und die
       „Coaches“ der Jobcenter raten ihren „Kunden“ nun, Spätis und Friseurläden
       zu eröffnen – in jeder Straße zehn.
       
       ## „Sag zum Abschied leise Service“
       
       Da das aber nicht funktioniert, geht es darum, Zwischenhändler zu werden –
       möglichst im zukunftsoptimistischen Internet: Sei es mit immer neuen Apps
       und Papps, sei es mit Datendiebstahl und -verkauf oder mit erschlichenen
       Dienstleistungen: „Sag zum Abschied leise Service“, wie dazu der
       Netzkolumnist Peter Glaser sagte.
       
       Es vergeht kein einziger Tag, an dem man mir nicht per Mail versichert, ich
       hätte irgendwo 50.000 Euro oder 5 Millionen gewonnen, geerbt oder sonst wie
       verdient, ich müsste nur soundso viel vorschießen, überweisen.
       
       Am schlimmsten ist das vollkommen mafiöse Firmengeflecht des Dr. Klenk aus
       dem Westerwald. Seit drei Jahren bekomme ich von einem seiner vielen
       Callcenter mindestens zwei Mal in der Woche eine unsittliche Aufforderung:
       Ich soll ihnen das Jahresabogeld für die Zeit überweisen, dann soll ich
       endlich die Jahresgebühr für ihren Flugsicherheitsdienst FAS zahlen und
       neuerdings soll ich das Jahresabo für Lotto24 verlängern. Dazu mahnen mich
       auch noch ständig die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Sparkasse an,
       dass da was mit meinem Konto nicht stimmt.
       
       Ich habe aber überhaupt kein Konto!
       
       Klenk und seine comrades in crime sind nicht zimperlich: Einem abtrünnigen
       Geschäftspartner hat Klenk schon mal die Ohren abschneiden lassen. Er bekam
       dafür 2001 eine sechsjährige Haftstrafe. Und einen jungen Abowerber, der es
       in der Drückerkolonne für die Pressevertriebszentrale PVZ nicht mehr
       aushielt und sich absetzen wollte, hielt sein Kolonnenführer bei voller
       Fahrt auf der Autobahn aus dem Fenster, um ihn wieder zu motivieren.
       
       ## Es ist ein Geflecht …
       
       Bei den Juristen der Uni Erfurt hatte man 2015 zusammen mit dem LKA
       angefangen, ein Organogramm vom Klenk-Geflecht anzufertigen, dann
       erstellten sie dort ein zweites Organogramm von einigen der darin
       verflochtenen Firmen und schließlich eine Liste der vielen Branchen, in
       denen Klenk wirkt, mit den jeweiligen Jahresumsätzen.
       
       Das reichte bis zu Videoclubs, Pornoproduktionen, Drückerkolonnenfirmen,
       Hotels, Restaurants und so weiter. Mit der Liste der Geschäftsführer,
       Miteigentümer und Teilhaber dieser ganzen vernetzten Firmen sind sie noch
       immer beschäftigt, was nicht verwundert, denn diese neue „Servicebranche“
       (mit ihren ganzen aus Amerika kopierten Start-ups) verändert sich ständig.
       
       Es ist ein Geflecht, in dem laufend Löcher entstehen (nicht zuletzt durch
       Gerichtsurteile), das sich gleichzeitig aber auch permanent nach außen
       erweitert, durch Verschmelzungen (Rationalisierungen) verdichtet und im
       Inneren Teile wieder liquidiert, weil bei diesen immer schneller überholten
       Technologien und Märkten ganze Branchen plötzlich hinfällig werden: zuletzt
       die Videoclubs … Ach, es wird böse enden.
       
       7 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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