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       # taz.de -- Historiendrama im ZDF: Gleichgewicht des Schreckens
       
       > Drei weitere Teile der Serie „Tannbach“ erzählen vom geteilten
       > Deutschland und vom Kalten Krieg – streng nach Lehrbuch, wie im
       > Freilichtmuseum.
       
   IMG Bild: Martina Gedeck und Anna Loos in „Tannbach“
       
       1960: Da lief in den bundesdeutschen Kinosälen Heinz Erhardt, „Der letzte
       Fußgänger“. Das war natürlich Verdrängung pur, zeugt aber vom unbedingten
       Willen zum Lustigsein in jenem Wirtschaftswunder-Westdeutschland.
       
       Anno 2017 wird jenes ferne Jahr 1960 nun so reimaginiert: Ein kleiner Junge
       stirbt beim Spiel mit einer Handgranate, die keine
       Wehrmacht-Hinterlassenschaft ist, sondern Nato-Neuware, was öffentlich zu
       machen sich für einen Journalisten aber gleich wieder als lebensgefährlich
       erweist.
       
       Das Gleichgewicht des Schreckens wird dadurch wiederhergestellt, dass auf
       der anderen Seite der deutsch-deutschen Grenze ein Bauer so sehr über die
       Sache mit der Kollektivierung verzweifelt, dass er seinen Hof abfackelt und
       seinen verhinderten Retter noch dazu, kurz nachdem dieser endlich die böse
       Wahrheit erfahren hat, dass sein Ziehbruder einst von den eigenen Leuten
       erschossen worden war, ein Maueropfer vor der Mauer. Es ist ein
       Trauerspiel.
       
       Als das ZDF vor drei Jahren die ersten drei Teile „Tannbach“ zeigte – auf
       die ab heute drei weitere folgen sollen (Regie, damals wie heute: Alexander
       Dierbach) – brachte das Dilemma nichts so sehr auf den Punkt wie eine
       Beobachtung des FAZ-Kollegen: Heiner Lauterbach war viel zu braun gebrannt.
       Für einen Deserteur und Deportierten sah er einfach viel zu gesund aus.
       
       ## Erinnerungen an die Karl-May-Festspiele
       
       Und dieses Tannbach an der oberfränkisch-südthüringischen Grenze,
       Mödlareuth in der realen Welt (wo die Menschen, anders als die
       Schauspieler, nicht Bairisch sprechen), in dem sich die Aspekte der
       deutschen Teilung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verdichten sollten
       – es sah doch allzu sehr aus wie ein Freilichtmuseum.
       
       Bei „Babylon Berlin“ war das zuletzt übrigens nicht anders, und man müsste
       vielleicht einmal (an anderer Stelle) überlegen, woran das liegt (am Budget
       offenbar nicht). Warum glaubt man den Amerikanern sofort, dass das New York
       in „The Deuce“ das wirklich echte New York der 1970er Jahre ist, während
       „Tannbach“ Erinnerungen an Besuche der Karl-May-Festspiele weckt?
       
       Das ZDF rühmt seine „filmische Metapher“ als „Laboratorium einer
       gesamtdeutschen Kultur- und Mentalitätsgeschichte“. Und die „Geschichte im
       Kleinen“ lastet schwer auf den Menschen. So schwer, dass jeder einzelne
       zuallererst, streng nach Lehrbuch, als Prototyp mit genau kalkulierten
       Ambivalenzen angelegt ist. Es gibt kein besseres Deutschland, es gibt auf
       beiden Seiten Opportunisten (West: Alexander Held; Ost: Wowo Habdank) und
       Idealisten (West: Maximilian Brückner; Ost: Jonas Nay).
       
       ## Was bisher geschah – vor drei Jahren
       
       Die „Tannbach“-Fortsetzung verhandelt die Jahre 1960 bis 1968. Einige aus
       den ersten drei Teilen bekannte Personen tauchen nicht mehr auf, manche
       sind mit anderen Schauspielern besetzt (Eli Wasserscheid und Robert
       Stadlober statt Maria Dragus und David Zimmerschied). Der Bildungsauftrag
       wird umfassend verstanden, dem Zuschauer soll außer der deutschen Teilung
       auch die Teilungen der Generationen und der Geschlechter gelehrt werden.
       Letzteres wird exemplarisch anhand der neuen Frau an der Seite von Heiner
       Lauterbach durchgespielt, Anna Loos.
       
       Sie: „Du hast nicht das Recht, über mich zu bestimmen!“ Er: „Wir sind
       verheiratet. Natürlich hab ich das.“ Sie: „Ich kann kein eigenes Konto
       eröffnen?“ Bankmensch: „Ja selbstverständlich. Mit Zustimmung Ihres
       Mannes.“
       
       Die vielen hervorragenden Schauspieler (Henriette Confurius, Martina
       Gedeck, Clemens Schick, Rainer Bock, Jürgen Tarrach …) haben sich alle sehr
       bemüht und überhaupt ist „Tannbach“ sehr gut gemeint.
       
       Der Zuschauer wird auch keinesfalls unterfordert – nach drei Jahren Pause
       braucht er wirklich ein Elefantengedächtnis, um sich noch zu erinnern, was
       bisher geschah.
       
       8 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Müller
       
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