URI: 
       # taz.de -- Pflichtbesuch im ehemaligen KZ?: Druck erzeugt Gegendruck
       
       > Der Vorschlag von Staatssekretärin Sawsan Chebli, dass Schüler
       > obligatorisch eine KZ-Gedenkstätte besuchen sollen, leuchtet nur auf den
       > ersten Blick ein.
       
   IMG Bild: Ein Muss für SchülerInnen? Eingang zum ehemaligen KZ Sachsenhausen
       
       Da ist er also wieder: der gute alte Vorschlag, Besuche von
       KZ-Gedenkstätten obligatorisch zu machen. Immer wieder fordert der
       Zentralrat der Juden in Deutschland dies, neuerdings macht sich auch
       Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) dafür stark. Wobei sie als Tochter
       palästinesischer Flüchtlinge auf die jüngsten israelfeindlichen
       Demonstrationen in Berlin Bezug nimmt: Mehr muslimisches Engagement gegen
       Judenfeindlichkeit in Deutschland hat sie auch schon gefordert.
       
       Tatsächlich möchte man Chebli im ersten Moment vielleicht reflexhaft
       zustimmen, sind in den letzten Jahren in diesem Land doch tatsächlich
       wieder diese dumpfen Stimmen lauter geworden, die meinen, sie hätten nichts
       mit dem Tun und der Verantwortung ihrer Groß- oder Urgroßeltern zu tun.
       Auch gibt es Gedenkstätten wie die in Sachsenhausen (Oranienburg), die über
       weniger Besuche von Schülergruppen klagen. Aber: Sachsenhausen steht mit
       diesem Problem wohl einigermaßen allein da – es liegt angeblich vor allem
       an konkurrierenden Orten der Erinnerung in Berlin, der Topographie des
       Terrors beispielsweise oder dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.
       Andere wie die in Buchenwald (Weimar) geben an, die Zahlen seien stabil, im
       Gegenteil könne man „gar nicht allen Nachfragen nachkommen“, so
       Rikola-Gunnar Lüttgenau von der Pressestelle.
       
       Alarmismus ist also absolut fehl am Platz. Man muss sich nur auf den
       eigenen Gedenkstellenbesuch besinnen, um wieder klarer zu sehen.
       Selbstverständlich stellte es unser Lehrer allen Schülern frei mitzukommen.
       Natürlich waren wir gerade deshalb allesamt dabei – selbst der Bauernsohn
       in damals noch eindeutig rechtsradikaler Lonsdale-Springerstiefel-Uniform,
       der übrigens immer gründlich den Kopf gewaschen bekam von der türkischen
       Mitschülerin, wenn er ihr zu antisemitisch daherkam. Wäre der Besuch von
       vorneherein als obligatorisch annonciert worden: Der Junge hätte nur mit
       einer Abwehrhaltung teilnehmen können, die es ihm unmöglich gemacht hätte,
       diesen Ort erst einmal auf sich wirken zu lassen.
       
       ## Erschütterung dank Freiwilligkeit
       
       Allein auf Basis seiner Freiwilligkeit konnte er sich ebenso ehrlich
       erschüttert zeigen wie wir – die Berge von Schuhen, die Erschießungsanlage,
       die Schwarzweißfotos, Briefe und Tagebücher. Und selbst wenn er nach dieser
       fast schon physisch einschneidenden Erfahrung nicht für alle Zeit geläutert
       gewesen sein mag: Das „Tagebuch der Anne Frank“ hat er später auch noch
       gelesen, und zwar auch auf freiwilliger Basis.
       
       Druck erzeugt Gegendruck, und das gilt für Teenies und junge Erwachsene mit
       und ohne Migrationshintergrund. Darum ist der Vorschlag von Sawsan Chebli
       de facto völliger Quark.
       
       9 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Gedenkort
   DIR NS-Gedenken
   DIR Sachsenhausen
   DIR Sawsan Chebli
   DIR Anne Frank
   DIR Sawsan Chebli
   DIR Antisemitismus
   DIR Holocaust
   DIR Gedenkstätte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Anne Frank-Ausstellung für Jugendliche: „So konstant ist die Erinnerung nicht“
       
       „Alles über Anne“ will Jugendliche für Antisemitismus auf dem Schulhof
       sensibilisieren, erzählt Veronika Nahm vom Anne Frank Zentrum.
       
   DIR Diskussion um Sawsan Chebli und die Uhr: Immer wieder reduziert
       
       Auf Facebook ist ein Foto der Staatssekretärin aufgetaucht. Die Aufnahme
       datiert aus dem Jahr 2014, sie zeigt die Politikerin mit einer Rolex. Ein
       Wochenkommentar
       
   DIR Antisemitische Angriffe in Deutschland: Jeden Tag vier Straftaten
       
       Bei der Mehrheit aller Delikte gehen die Behörden von rechts motivierten
       Tätern aus. Zudem ist eine hohe Dunkelziffer anzunehmen.
       
   DIR Gedenkstätten-Leiter über Pflichtbesuche: „Die nicht wollen, müssen nicht“
       
       Pflichtbesuche sind kein Allheilmittel: Jens-Christian Wagner von der
       KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen setzt auf Freiwilligkeit und Betreuung statt
       Führungen im Akkord.
       
   DIR Gedenkstätte Sachsenhausen: Oranienburg sucht den Königsweg
       
       Weil immer mehr BesucherInnen in die Gedenkstätte Sachsenhausen kommen,
       würden einige AnwohnerInnen gern deren Eingang verlegen