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       # taz.de -- Hilfestellung für die freie Szene: Und wie die Miete zahlen
       
       > Das Kreuzberger Produktionsbüro „ehrliche arbeit“ managt vom
       > Mariannenplatz aus seit mehr als 10 Jahren Künstler in der freien
       > Theaterszene Berlins.
       
   IMG Bild: Der Ort von „ehrliche Arbeit“: Bethanien am Mariannenplatz
       
       „Tief einatmen“, sagt Dasniya Sommer zu ihrem Kollegen Florian Loycke vom
       Theaterkollektiv „Das Helmi“, während sie ihn kopfüber gefesselt an einem
       mobilen Eisengerüst auf Rollen hochzieht. Die beiden spielen eine sehr
       eigenwillige Fassung von Shakespeares „Hamlet“ im Ballhaus Ost. Loycke
       stöhnt und ächzt: „Ich kann nicht mehr lange.“ Aber er hält durch, das
       Gerüst bleibt stabil.
       
       So anstrengend wie diesen athletischen Akt muss man sich wohl das
       Kunstmachen in der freien Theaterszene generell vorstellen. Und wer ist
       jetzt das Gerüst? Zum Beispiel das Produktionsbüro „ehrliche arbeit“, das
       es sich zur Aufgabe gemacht hat, freie Künstlergruppen wie „Das Helmi“ beim
       Produzieren zu unterstützen. Elena Polzer und Janina Benduski haben das
       Büro seit 2006 aufgebaut. Über die Jahre haben sie Zuwachs erhalten, jetzt
       sind sie zu acht, mit wechselnden Praktikantinnen, die manchmal auch im
       Team bleiben.
       
       „Wir arbeiten nach einem sozialistisch-solidarischen Prinzip. Alles kommt
       in einen Topf und jede nimmt sich ihren Anteil. So können wir uns
       gegenseitig auch Auszeiten und Mutterschutz ermöglichen“, erklärt Elena
       Polzer. Als „ehrliche arbeit“ angefangen haben, gab es vergleichsweise
       wenige Produzent*innen in der freien Theaterszene. Sie sind sozusagen in
       eine Marktlücke gestoßen. Pro Woche erhalten sie nun zwei bis drei Anfragen
       von Gruppen, die sich von ihnen produzieren lassen wollen.
       
       ## Erschwerte Bedingungen
       
       Freie Theaterguppen arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Wo an Stadt-
       und Staatstheatern eine Struktur von Dramaturg*innen, Öffentlichkeitsarbeit
       und Verwaltungsbüros gegeben ist, die sich um möglichst ideale Bedingungen
       kümmern, Pressearbeit erledigen und das Geld verwalten, gibt es in der
       freien Szene zunächst nur verschiedene Fördertöpfe, um die man sich
       initiativ bemühen muss. Um diese finanziellen Angelegenheiten kümmern sich
       Elena Polzer und ihre Kolleginnen nun schon seit 10 Jahren.
       
       Arbeitet man ohne ein Produktionsbüro, fällt oft die künstlerische Leitung
       mit der Produktionsleitung in eine Gesamtleitung zusammen. Arbeiten
       Künstler*innen auf diese Weise, haben sie kaum mehr Zeit, künstlerisch zu
       arbeiten, sondern stecken selbst bis zum Hals in Projektförderanträgen,
       Abrechnungen, Beantragungen und der Informationsbeschaffung, was man denn
       jetzt eigentlich abrechnen darf und was nicht. Florian Loycke von „Das
       Helmi“ ist demnach heilfroh, dass er sich nicht zusätzlich um die Finanzen
       kümmern muss.
       
       „Das Schönste bei ‚ehrliche arbeit‘ ist aber, dass wir auf Augenhöhe
       werkeln“, sagt er, „wir stemmen die Projekte zusammen.“ Den stärkeren
       Zusammenhalt und die gemeinsame Identifikation mit dem Theaterprojekt hebt
       auch Elena Polzer besonders hervor. „Die Kommunikation ist besser und
       direkter als zum Beispiel am Stadttheater. Das liegt auch daran, dass wir
       in viel kleineren Strukturen arbeiten.“ Diese Freiheit bezahlen die
       Theatermacher*innen mit einem hohen Risiko. Im Unterschied zum Stadttheater
       gibt es in der freien Szene keine Rücklagen. Dabei ist die Menge an
       Fördermitteln, die für die freie Szene bereitsteht, im Vergleich zu 2006
       gewachsen. „Es ist zum Beispiel so, dass es wahnsinnig viel Geld für
       internationale Projekte gibt. Aber es ist unmöglich kompliziert, das
       abzurechnen, vor allem wenn die Künstler*innen nicht in Deutschland
       versteuern.“ Das führe dazu, dass die Kunstprojekte oft hinter ihren
       Möglichkeiten zurückblieben.
       
       ## Professioneller, komplizierter
       
       Die Arbeit von „ehrliche arbeit“ hat sich über die Jahre verändert, ist zum
       einen professioneller geworden, zum anderen auch sehr viel komplizierter.
       „Früher haben wir laxer gearbeitet. Das geht jetzt nicht mehr so ohne
       Weiteres. Wir sind ein bisschen zum Bürokratietanker mutiert. Das habe ich
       eigentlich nie gewollt. Wir verbringen mehr Zeit als früher mit
       Abrechnungen“, beklagt Polzer. Besonders hinderlich seien die Finanzprüfer,
       die Abrechnungen bis zu fünf Jahre später kontrollieren dürfen, oft nicht
       vom Theaterfach seien und somit das spezifische freie Arbeiten nicht
       unbedingt nachvollziehen könnten.
       
       Für komplizierte Abrechnungen und Finanzprüfungen hat auch Florian Loycke
       kein Verständnis. „Künstler in der freien Szene leben meistens am
       Existenzminimum. Dazu müssen wir noch Steuerprüfungen überstehen. Das ist
       echt toxisch für das künstlerische Arbeiten. Jede verdammten fünf Euro
       werden geprüft, jede Cola-Flasche.“
       
       Das kostet Zeit. Zeit, die woanders fehlt. „Manchmal schaffe ich es kaum,
       zu Proben meiner Künstler*innen zu gehen“, sagt Polzer. Und das ist
       wichtig: Mit der Beobachtung des künstlerischen Arbeitsprozesses kommt das
       Verständnis für den Verbrauch an Kosten. Außerdem ist die Freude am Theater
       der Grund, weshalb Elena Polzer und ihre Kolleginnen ihre eigene prekäre
       Bezahlung in der Branche in Kauf nehmen. Es ist eine emotionale Bezahlung,
       ein fertiges Bühnenstück am Ende des Probenprozesses sehen zu können. Das
       zahlt aber nicht die Miete.
       
       „Wenn einem etwas nicht gefällt, muss man es eben ändern“, sagt Polzer
       optimistisch, „deshalb begreifen wir unser Tun auch als politische Arbeit.
       Meine Kollegin Janina ist zum Beispiel im Vorstand vom Landesverband freier
       Theater (LAFT).“ Der Druck auf die Behörden zahlt sich aus, inzwischen
       bewege sich einiges. „Und wir haben mit Klaus Lederer (Linke) endlich mal
       einen vernünftigen Kultursenator“, freut sich Polzer. Das sei aber kein
       Grund, sich nun entspannt zurückzulehnen. „Ohne Druck auf die Politik geht
       es meistens nicht. Da waren in den letzten Jahren viele Seiten schwer
       beteiligt. Zum einen die Produktionsseite, ein anderes Büro namens
       Björn&Björn, aber auch Häuser wie die Sophiensæle und das Ballhaus Ost, die
       Performancegruppe She She Pop, Kulturjournalisten und aufmerksame Jurys,
       die Druck gemacht haben. Kulturpolitische Entscheidungen setzen oft aufs
       Ehrenamt. Wir müssen klarmachen, dass Kultur Arbeit ist.“ Und wie Menschen
       arbeiten, muss immer wieder neu erfunden und erstritten werden.
       
       20 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daphne Weber
       
       ## TAGS
       
   DIR Freie Szene
   DIR Theater Berlin
   DIR Finanzen
   DIR Politisches Theater
   DIR Klaus Lederer
   DIR Theater Berlin
       
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