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       # taz.de -- Pro und Contra CSU und Flüchtlinge: Ganz schön vermessen
       
       > Nach der Gewalttat eines Afghanen fordert die CSU, das Alter von
       > Geflüchteten zu überprüfen. Ist das okay? Ein Pro und Contra.
       
   IMG Bild: Medizinische Untersuchungen zur Altersfeststellung. Was soll man davon halten?
       
       Ja, denn in der Politik gibt es ein einfaches Prinzip: Wer für soziale
       Rechte eintritt, muss auch nach Möglichkeiten suchen, ihren Missbrauch zu
       verhindern. Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik.
       
       Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge genießen einen besonderen Schutz.
       Sie werden kaum abgeschoben und haben, wie zuletzt das Verwaltungsgericht
       Berlin entschieden hat, einen bevorzugten Anspruch auf Familiennachzug.
       Selbst die CSU hat nach dieser Entscheidung signalisiert, in den
       Sondierungsverhandlungen der SPD bei einer großzügigeren Regelung des
       Familiennachzugs entgegenkommen zu wollen.
       
       Schon zuvor war es für Familien etwa in Syrien attraktiver, einen
       minderjährigen Sohn auf die Reise nach Deutschland zu schicken und dann auf
       eine Einreisegenehmigung für die Eltern zu setzen, als sich selbst auf den
       Weg zu machen. Aber wenn man dennoch aus humanitären Gründen am Recht auf
       Familiennachzug festhält, gibt es keinen Grund, diesen auch Volljährigen zu
       gewähren, die sich als Minderjährige ausgeben, um unter die günstigeren
       Regeln zu fallen.
       
       Letztlich ist eine Regelung, die Rechte gewährt und Missbrauch verhindert,
       ganz einfach: Wer durch Dokumente nachweisen kann, dass er minderjährig
       ist, braucht keine zusätzliche Untersuchung. Wer keine Dokumente hat und
       dennoch den zusätzlichen Schutz als minderjähriger Flüchtling beansprucht,
       muss sich untersuchen lassen. Und wer keine Dokumente hat und eine
       medizinische Untersuchung ablehnt, gilt als volljährig.
       
       Ob mit einer solchen Regelung die tödliche Attacke des angeblich
       minderjährigen Afghanen auf die 15-Jährige in Kandel hätte verhindert
       werden können, das kann niemand wissen. Aber die Wahrheit ist eben auch:
       Männliche Jugendliche und junge Erwachsene gehören generell zu den Gruppen,
       welche die meisten Straftaten begehen.
       
       Daraus kann man verschiedene Schlussfolgerungen ziehen: sowohl die, für
       eine möglichst schnelle Integration zu sorgen, als auch die, den
       „Pull-Faktor“ durch die Regelungen für minderjährige Flüchtlinge möglichst
       gering zu halten. Sodass im Zweifelsfall der 40-jährige Familienvater statt
       des 18-jährigen Sohns die Reise nach Deutschland antritt.
       
       Sicher ist nur: Wer für die Rechte von Flüchtlingen eintritt, aber es CSU
       und AfD überlässt, die Regeln dafür einzufordern, der spielt Söder und
       Gauland in die Hände. Martin Reeh
       
       ****
       
       Nein, natürlich nicht. [1][Der neueste Vorstoß der CSU] löst kein
       fachliches oder gesellschaftliches Problem, sondern er zeugt von einem.
       Nämlich von einem fragwürdigen Rechtsstaatsverständnis und einer
       stereotypen, rassistisch konnotierten Pauschalisierung. Das Vertrauen in
       die Knochengröße soll also entscheidender sein, als einen Menschen in
       seiner Individualität zu beurteilen, wie es die Jugendämter heute übrigens
       schon tun?
       
       Politiker der CSU fordern eine obligatorische medizinische
       Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen, ergo Ausländern. Die Betonung
       liegt auf medizinisch und obligatorisch. Das Erste ist inhaltlicher, das
       Zweite rechtlicher Unsinn. Hilfreich gegen Unsinn ist, wie stets:
       Differenzierung. An dem Vorstoß der CDU sind zwei Dinge richtig und eines
       grundfalsch.
       
       Erstens ist grundsätzlich richtig: Wer Vorzüge genießen will, die nur für
       Minderjährige gelten, muss sein Alter in der Regel nachweisen. Das gilt
       beim ermäßigten Eintritt ins Freibad und bei der Anwendung des Strafrechts.
       Jeder deutsche Strafrichter hat das Recht, das Alter von Angeklagten
       herauszufinden. Deshalb wird es auch seit Langem getan – wenn es nötig ist.
       Jugendämter haben dieses Recht auch. Deshalb tun sie es. Wenn es nötig ist.
       Das ist gut und richtig so.
       
       Richtig ist, zweitens: Oft ist das für Behörden aufwendig. Für die
       sogenannte Altersfeststellung, die eigentlich nur eine Diagnostik ist,
       existieren keine bundesweit einheitlichen Regelungen. Womit die CSU recht
       hat: Derlei Vereinheitlichung sollte es geben.
       
       Unsinn ist dagegen, dies mit einer obligatorischen medizinischen
       Untersuchung erreichen zu wollen. Kein Fachmann, keine Fachfrau in
       Deutschland würde das unterzeichnen. Warum? Erstens ist eine präzise
       medizinische Altersfeststellung ohnehin nicht möglich , es wird stets eine
       soziale Feststellung bleiben.
       
       Zweitens: Die medizinische und pauschale Vermessung von Körpern unter das
       Diktat des Politischen zu stellen, hat historisch noch nie zu etwas
       Gescheitem geführt. Das ist eine Lehre aus der deutschen Geschichte. Im
       Übrigen entspricht die Standardisierung und Normierung von Körpern nicht
       dem, was wir Individualität nennen.
       
       Zum Glück leben wir in einem Staat, in dem individuelle Freiheitsrechte
       gelten. Diese lassen sich nicht pauschal an eine medizinische Untersuchung
       binden. Das wäre auch noch schöner. Martin Kaul
       
       3 Jan 2018
       
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