URI: 
       # taz.de -- Vor der Wahl in Tschechien: Präsident zum Anfassen
       
       > Bei der Präsidentschaftswahl in Tschechien hat der Amtsinhaber Miloš
       > Zeman gute Chancen. Er punktet vor allem bei Wählern auf dem Land.
       
   IMG Bild: Tritt volksnah auf: der tschechische Präsident Miloš Zeman
       
       Prag taz | Das Jahr 2018 mag noch jung sein. In Tschechien gilt es schon
       jetzt als ein besonderes. Zum einhundertsten Mal jährt sich die Gründung
       der Tschechoslowakischen Republik. Die Tschechoslowakei gibt es, ein
       weiteres rundes Jubiläum, inzwischen seit 25 Jahren nicht mehr.
       
       Überdauert hat sie seit 1918 eines: die heimliche Sehnsucht vieler
       Tschechen nach einem Kaiser. Oder zumindest nach einer Art Lichtgestalt,
       die als Väterchen der Nation vom Prager Hradschin-Hügel aus über die
       Geschicke des Staates wacht. Wie einst Tomáš G. Masaryk, der bis heute
       verehrte wie verklärte „Befreier-Präsident“ mit seinem weißen Kinnbärtchen.
       Von ihm wird gerne behauptet, er sei ein illegitimes Kind Franz Josefs I.
       gewesen.
       
       Im Gegensatz zur Monarchie dürfen sich die Tschechen ihr Väterchen selbst
       auswählen. Ein Mütterchen ist nicht unter den neun
       Präsidentschaftskandidaten, die sich an diesem Freitag und Samstag um das
       höchste Amt im Staat bewerben. Fünf davon, unter ihnen der ehemalige
       Škoda-Chef Vratislav Kulhánek, haben so gut wie keine Chance, auf dem
       Hradschin einzuziehen.
       
       Die Wahl wird zwischen vier Kandidaten entschieden. Sollte keiner die
       erforderliche absolute Mehrheit erhalten, wird es am letzten
       Januarwochenende eine Stichwahl geben.
       
       In die zweite Runde wird auf jeden Fall Amtsinhaber Miloš Zeman einziehen,
       der mit knapp 43 Prozent in den Umfragen führt. Auf einen Wahlkampf, so
       betont er, habe er verzichtet. Auch in den unzähligen Kandidatendebatten
       glänzte Zeman durch Abwesenheit. Stattdessen tingelte er durch die
       böhmischen und mährischen Dörfer und gab den Präsidenten zum Anfassen.
       
       ## Bewunderung für die starken Männer in Russland und China
       
       Denn dort und nicht vor den Fernsehern oder Computern in den Städten sitzen
       seine Wähler: schlecht ausgebildete und vom Leben enttäuschte
       Geringverdiener jenseits der 40. Mit seinen Schimpftiraden gegen Städter,
       Intellektuelle, Aktivisten und Journalisten, seinem volksnahen Auftreten
       und seiner erklärten Liebe zu allem Mehr- oder Minderprozentigen punktet er
       bei all denen, die von Unsicherheit und Ängsten getrieben werden.
       
       Über ein Drittel der Tschechen, so belegen verschiedene Umfragen seit 2014,
       halten eine Diktatur unter bestimmten Umständen für der Demokratie
       überlegen. Sie werden wieder Zeman wählen, der seine Bewunderung für die
       starken Männer in Russland und China immer wieder ostentativ zur Schau
       stellt.
       
       Für die Zeman-Gegner, die mit dessen Anhängern zahlenmäßig gleichauf
       liegen, sind diese Präsidentschaftswahlen längst zu einem
       Anti-Zeman-Volksbegehren geworden. Heiß wird diskutiert, welcher der drei
       aussichtsreichen Gegenkandidaten Zeman am ehesten besiegen könnte.
       
       Favorit ist der ehemalige Präsident der Tschechischen Akademie der
       Wissenschaften, Jiří Drahoš. Der Chemiker hat in seinem Berufsleben
       weltweit mehr Universitäten besucht als der Durchschnittstscheche Kneipen.
       In der hohen Politik wirkt er aber wie eine graue Maus, sein
       Lieblingsargument in Kandidatendiskussionen und -interviews lautet: „Das
       weiß ich nicht.“ Drahoš bemüht sich sehr, sich den Wählern als der
       Anti-Zeman zu empfehlen.
       
       Auf die Burg mag es sogar reichen. Denn obwohl Drahoš mit 27,5
       Prozentpunkten weit hinter dem Amtsinhaber hinterherhinkt, werden ihm große
       Chancen zugesprochen, die Stichwahl zu gewinnen. Denn dann würde er die
       Stimmen der anderen Anti-Zeman-Wähler erhalten, die in der ersten Runde
       noch andere Kandidaten wählen.
       
       ## Nur ein professioneller Politiker unter den Kandidaten
       
       Michal Horáček zum Beispiel. Der Musikproduzent stammt aus dem
       tschechoslowakischen Bürgeradel. Sein Großonkel Jaroslav Heyrovsky erhielt
       1959 den Nobelpreis für Chemie, sein Vater war ein bekannter
       Theaterdramaturg. In der breiten Öffentlichkeit berühmt wurde Horáček,
       ein passionierter Spieler, vor allem als Juryvorsitzender von „Die
       Tschechoslowakei sucht den Superstar“. Ob er in die nächste Runde kommt,
       ist allerdings fraglich.
       
       Neben Miloš Zeman befindet sich nur ein professioneller Politiker unter den
       neun Kandidaten. Überraschend und in letzter Minute hat sich
       Ex-Ministerpräsident Mirek Topolánek aufstellen lassen. Mit
       symbolträchtigem Kinnbärtchen à la Masaryk verspricht er, im Falle seines
       Wahlsieges die Nation zu einen. Kritiker befürchten, der wiedergeborene
       Christ, der seit seinem Abschied aus der Politik als Lobbyist im
       Energiesektor arbeitet, sei ähnlich servil gegenüber Russland und China wie
       Miloš Zeman.
       
       Mehr als ein Bauchgefühl scheint da allerdings nicht dahinterzustecken. In
       seiner Amtszeit als Regierungschef hat Topolánek strategische Investitionen
       der Russen vereitelt. Neben Zeman ist Topolánek aber auch der
       EU-kritischste der vier Top-Kandidaten. So erklärte er, die geplante
       Erweiterung des AKW Dukovany in Südmähren sei, sollte sie notwendig werden,
       einen EU-Austritt wert.
       
       11 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
       ## TAGS
       
   DIR Tschechien
   DIR Milos Zeman
   DIR Präsidentschaftswahl
   DIR Tschechien
   DIR Tschechien
   DIR Tschechien
   DIR Tschechien
   DIR Tschechien
   DIR Tschechien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Präsidentschaftswahl in Tschechien: Kübelweise Dreck
       
       Staatschef Milos Zeman will bei der Stichwahl am Freitag und Samstag sein
       Amt verteidigen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht.
       
   DIR Präsidentenwahl in Tschechien: Miloš Zeman muss in die zweite Runde
       
       Amtsinhaber Zeman bekommt die meisten Stimmen. Dennoch könnte es für seinen
       Herausforderer Jiří Drahoš in der Stichwahl reichen.
       
   DIR Präsidentenwahl in Tschechien: Jiří Drahoš zieht's auf die Prager Burg
       
       Der tschechische Wissenschaftler will Präsident werden. Er könnte
       Amtsinhaber Miloš Zeman beim zweiten Wahlgang in zwei Wochen ausstechen.
       
   DIR Journalist über die tschechische Regierung: „Babiš hat sich den Staat gekauft“
       
       Pavel Safr sieht in der neuen Regierung unter dem Oligarchen Andrej Babiš
       eine Gefahr für die Demokratie. Dessen Liberalität ist eine Maske für den
       Westen, sagt er.
       
   DIR Parlamentswahl in Tschechien: Erfolg für Betrugsverdächtigen
       
       Der Oligarch Andrej Babiš gewinnt mit seiner Partei die Wahl. Trotz eines
       Betrugsverdachts gegen ihn, wird er wohl Ministerpräsident werden.
       
   DIR Oligarch in Tschechien ohne Immunität: Mit EU-Geldern reich geworden
       
       Das Parlament hebt die Immunität des Milliardärs Andrej Babiš auf. Trotzdem
       wird er im Oktober wohl zum Regierungschef gewählt.