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       # taz.de -- Japanischer Animationsfilm: Mit den Augen einer Toten
       
       > „Your Name“ von Makoto Shinkai erzählt vom Körpertausch zweier Teenager.
       > Es ist der bislang erfolgreichste japanische Animationsfilm.
       
   IMG Bild: Das ländliche Itomori ist im Film von einem Meteor zerstört worden
       
       In den 80er Jahren waren Körpertauschfilme ein beliebtes Genre, in Filmen
       wie „Big“, „Ich bin Du“ oder „Peggy Sue hat geheiratet“ imaginierten
       Filmemacher, wie es ist, plötzlich im Körper eines anderen zu erwachen oder
       auch mal im jüngeren oder älteren Ich. Stoff für Komik bietet dieser
       erzählerische Ansatz offensichtlich, aber auch für die Melancholie des
       Wunsches, jemand anderes zu sein, in einer anderen Zeit zu leben. All diese
       Aspekte ziehen sich auch durch Makoto Shinkais Animationsfilm „Your Name.“,
       der sowohl stilistisch als auch erzählerisch modern und traditionell ist,
       geradezu futuristisch, aber auch nostalgisch und dabei vor allem durch und
       durch japanisch.
       
       Nach einem visuell furiosen Prolog, in dem ein Meteor in gleißenden Farben
       über den Himmel zieht, beobachtet von den beiden Hauptfiguren Mitsuha und
       Taki, die auf wundersame Weise durch Raum und Zeit verbunden sind, beginnt
       die Handlung fast klassisch: Mitsuha, Teenager-Mädchen aus dem kleinen
       ländlichen Städtchen Itomori, malerisch an einem Kratersee gelegen, umringt
       von dichten Wäldern, findet sich plötzlich im Körper von Taki wieder, einem
       gleichaltrigen Teenager, der in der Metropole Tokio zur Schule geht. Voller
       Neugier und Lust an der neuen, aufregenden Umgebung streift Mitsuha durch
       Tokio, während Taki, der wiederum im Körper von Mitsuha auf dem Land
       erwacht, die Kleinstadtatmosphäre erlebt.
       
       Ein paarmal wechseln die Teenager die Körper, erleben die Welt des jeweils
       anderen. Doch die Erinnerung an das, was sie dabei erleben, ist nur
       undeutlich. Aufzeichnungen in Notizheften, Nachrichten auf dem Handy geben
       Hinweise, doch als sich Taki bald auf die Suche nach Mitsuha macht, hilft
       ihm vor allem eine Zeichnung von Itomori.
       
       Als er endlich herausgefunden zu haben glaubt, wo Mitsuha lebt, nimmt die
       Handlung endgültig eine Wendung ins Fantastische: Denn Itomori wurde vor
       einigen Jahren von einem Meteor zerstört, viele Bewohner starben, darunter
       auch Mitsuha.
       
       Nicht nur durch den Raum getrennt sind die beiden Teenager also, sondern
       auch durch die Zeit. Aber dies ist ein Hindernis, von dem sich Taki nicht
       in seinem Versuch stoppen lässt, Mitsuha endlich auch in natura
       gegenüberzustehen.
       
       ## Der Wunsch nach etwas Neuem
       
       So abgehoben sich die Handlung auch anhört, so bodenständig ist der Film
       selbst. Typische japanischen Welten und Sujets variiert Makoto Shinkai in
       seinem zweiten Langfilm, der in Japan zum erfolgreichsten einheimischen
       Film aller Zeiten avancierte: Die pulsierende Metropole Tokio, kontrastiert
       mit dem traditionellen, von kleinen Holzhäusern geprägten Itomori, die
       futuristischen Betonwüsten der Stadt mit den moosbewachsenen Wäldern des
       Landes.
       
       Vom Reiz des jeweils anderen sind die beiden Teenager angezogen, ebenso wie
       vom Reiz, im Körper des anderen Geschlechts zu stecken, die Welt mit einem
       anderen Körper zu entdecken als dem eigenen. Der Wunsch nach etwas anderem,
       Neuem, Modernem zieht sich durch den Film und endet in der Erkenntnis, dass
       selbst das andere bald seinen Neuigkeitswert verliert.
       
       Auch stilistisch bewegt sich Shinkai an der Schwelle zwischen Tradition und
       Moderne: Zwar entstehen seine Filme komplett digital, an Tablets und
       Computern, doch dank spezieller Grafikprogramme wirken gerade die
       Hintergrundanimationen wie klassisch handgemalte Bilder, die unverkennbar
       in der Tradition des legendären Hayao Miyazaki und seines Studio Ghibli
       stehen. Auch der Großmeister des Anime, der vor einigen Jahren für sein
       Meisterwerk „Chihiros Reise ins Zauberland“ mit dem Goldenen Bären
       ausgezeichnet wurde, bedient sich inzwischen zwar der Hilfe von Computern,
       doch so weit wie manch andere japanische Regisseure, von
       Hollywoodproduktionen ganz zu schweigen, geht er nicht.
       
       Und auch das Multitalent Makoto Shinkai – der nicht nur das Buch schrieb
       und Regie führte, sondern sogar noch Kamera und Schnitt verantwortete –,
       der in Japan als legitimer Nachfolger Miyazakis bezeichnet wird, versteht
       es auf ähnliche Weise, sich beim Besten vieler Welten zu bedienen, so dass
       es am Ende dann unerheblich ist, ob die überwältigenden Bilder per Hand
       gezeichnet wurden oder im Computer entstanden.
       
       Was am meisten beeindruckt, ist die Leichtigkeit, mit der in „Your Name.“
       zahlreiche Genres vermischt werden: Teeniefilm, Zeitreiseepos,
       Katastrophenfilm. Eigentlich Sujets, die nicht wirklich zueinanderpassen.
       Doch über alle potenziellen Brüche geht Shinkai ebenso entspannt hinweg wie
       über die typischen Paradoxien eines Zeitreisefilms.
       
       11 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Meyns
       
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