URI: 
       # taz.de -- Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Die Definition von Hass
       
       > Linke, Rechte, Liberale, alle schießen gegen das NetzDG. Dabei mischt
       > sich allerdings berechtigte Kritik mit allerlei Missverständnissen.
       
   IMG Bild: Hat er bedacht, dass es wichtig ist, den Kontext von Posts und Tweets zu berücksichtigen?
       
       Es ist die Geschichte einer nicht zuletzt linken Kritik, einer
       Antidiskriminierungsbestrebung, die Gesetz werden sollte – und die jetzt
       als Zensur gilt: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Es geht um
       Hassrede, Meinungsfreiheit und darum, wie viel Macht Netzwerkbetreiber
       haben sollten. Gegen das NetzDG und seinen Erfinder, Justizminister Heiko
       Maas, schießen gerade Rechte wie Linke und Liberale. Immer wieder
       verbreiten sich aber auch Missverständnisse darüber, was dieses Gesetz ist
       – und was nicht.
       
       Das NetzDG soll Konzerne wie Facebook verpflichten, schneller gegen
       strafbare Postings vorzugehen. Kaum trat es am 1. Januar in Kraft, machte
       sich aber die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch das Thema zu
       eigen. Weil die Kölner Polizei vor Silvester Informationen auf Arabisch
       herausgegeben hatte, sprach [1][Storch] in einem Tweet von „barbarischen,
       muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“. Die Kölner Polizei
       erstattete Strafanzeige wegen Volksverhetzung, Storchs Twitter-Account
       wurde zeitweise blockiert. Wenige Tage später war der Fall vom NetzDG nicht
       mehr zu trennen: Hatte Twitter wegen des neuen Gesetzes so reagiert?
       
       „Zensur“ sagt nicht nur die AfD zu dem Gesetz, das Hate Speech, Fake News
       und andere strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken verhindern soll. Der
       FDP-Politiker Wolfgang Kubicki klagt, Maas habe mit dem Gesetz „den
       Rechtsstaat aufgegeben und kapituliert“. Der Deutsche Journalisten-Verband
       spricht von „Zensur“ und „Gaga-Vorschrift“. Anlass für diese Kritik des DJV
       ist allerdings nicht Storchs Tweet, sondern einer des Satiremagazins
       [2][Titanic].Dieses hatte „im Namen von“ Storch geschrieben: „Weshalb
       verwendet eigentlich die deutsche Polizei arabische Zahlen? Ich wehl doch
       nicht 110, wen die Barbarenhorden mich vergewaltigen wollen!“ Auch dieser
       Tweet wurde blockiert, zumindest für alle deutschen Rechner. „Nach
       geltendem Recht und basierend auf unseren Richtlinien“, so die Begründung
       von Twitter – die Satire hatte man offenbar nicht erkannt. Der
       Titanic-Account war zeitweise gesperrt.
       
       Für NetzDG-Gegner*innen ein Paradebeispiel für das, was sie seit jeher
       befürchten: Dass Konzerne darüber entscheiden, was legal ist und was nicht
       – und dass sie unter dem Druck des NetzDGs eher einmal zu oft sperren als
       einmal zu wenig.
       
       ## Die Verwirrung ist groß
       
       Und hier geht die Verwirrung los. Denn das NetzDG sieht das Sperren von
       Accounts nicht vor. Es verpflichtet Betreiber sozialer Medien ab einer
       gewissen Größe, wirksam und transparent mit Beschwerden über strafbare
       Inhalte umzugehen. „Offensichtlich rechtswidrige Beiträge“ müssen innerhalb
       von 24 Stunden entfernt oder gesperrt werden. In allen anderen Fällen gilt
       eine Frist von sieben Tagen, heißt es im Gesetz. „Wird ein derartiges
       Beschwerdeverfahren nicht, nicht richtig oder nicht vollständig
       vorgehalten, prüft das Bundesamt für Justiz, ob ein Bußgeldverfahren
       einzuleiten ist“, so Minister Maas. Verstößt die Plattform gegen diese
       Regelung, drohen millionenschwere Bußgelder. Unklar ist, ob dies schon nach
       einem einzigen, nach wenigen oder regelmäßigen Verstößen zu befürchten ist.
       
       Fraglich ist aber, ob der Storch-Tweet überhaupt zum Thema NetzDG passt.
       Twitter hatte die AfD-Politikerin informiert, dass ihr Tweet einen Verstoß
       gegen die eigenen Regeln zu Hassinhalten darstelle – gegen
       Nutzungsbedingungen also, die schon länger und unabhängig vom NetzDG
       existieren. Facebook hingegen löschte einen gleichlautenden Post Storchs
       mit Verweis auf Paragraf 130 Strafgesetzbuch, also Volksverhetzung – hier
       könnte das neue Gesetz den Ausschlag gegeben haben.
       
       Andererseits sind soziale Medien nicht erst seit dem 1. Januar
       verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen, wenn sie von diesen
       Kenntnis haben: Das Telemediengesetz regelt genau das schon seit zehn
       Jahren. „Daran haben sich die Betreiber sozialer Netzwerke allerdings nicht
       gehalten“, sagt Maas zur Verteidigung seines Gesetzes. Ziel des NetzDGs sei
       schlicht, „bereits vorher geltendes Recht wirksam durchzusetzen“.
       
       Anlass zur Kritik am Gesetz gibt es in der Tat reichlich; sie kommt nicht
       nur von rechts außen, sondern auch vonseiten derer, die Hass im Netz
       durchaus etwas entgegensetzen wollen. „Die aktuellen Entwicklungen
       bestätigen unsere Befürchtungen“, sagt Tobias Gostomzyk, Professor für
       Medienrecht an der TU Dortmund. Zusammen mit einem Kollegen ist er 2017 in
       einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Entwurf des NetzDGs
       verfassungsrechtliche Probleme aufweist, insbesondere mit Blick auf die
       Meinungsfreiheit. In Auftrag gegeben hatte diese Untersuchung Bitkom, der
       Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche.
       
       ## Viel zu wenig Bearbeitungszeit
       
       „Gerichte diskutieren oft über mehrere Instanzen hinweg, ob eine Äußerung
       rechtswidrig ist oder nicht“, sagt Gostomzyk. Mit dem NetzDG müssten solche
       Entscheidungen aber sehr schnell fallen. Bußgelder hätte zudem nur zu
       befürchten, wer vermeintlich rechtswidrige Inhalte stehen lässt – nicht
       aber, wer legale Äußerungen löscht. So steige die Gefahr, dass zu oft
       gelöscht wird. „Das unterläuft die Redefreiheit im Netz.“ Ähnlich sieht das
       die Linken-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg: „Bei
       einem so hohen Gut wie der freien Meinungsäußerung hat eine Privatisierung
       der Rechtsdurchsetzung nichts zu suchen.“ Für die Hunderttausenden von
       Meldungen pro Woche stünden im Schnitt nicht mal 30 Sekunden
       Bearbeitungszeit zur Verfügung, in vielen Fällen durch juristisch
       ungeschultes Personal, kritisiert die Politikerin.
       
       Positiv bewertet sie aber, dass laut NetzDG jeder Netzwerkbetreiber einen
       Ansprechpartner für die deutschen Behörden haben muss – sowie transparente,
       gut erreichbare und effektive Beschwerdeprozesse. Zudem müssen die
       Plattformen alle sechs Monate in einem Bericht öffentlich Rechenschaft
       darüber ablegen, wie sie gegen rechtswidrige Inhalte vorgehen. „Damit
       schaffen wir immerhin ein wenig Transparenz“, sagt Domscheit-Berg.
       
       Denn nicht nachvollziehbares Sperren und Löschen sind ein Problem, das
       nicht erst mit dem NetzDG in die Welt der sozialen Medien gekommen ist.
       Schon immer löschte Facebook Posts, entfernte YouTube Videos, blockierte
       Twitter-Beiträge. Meist auf Grundlage eigener Regeln, die sehr vage
       formuliert sind. Oft ging es dabei um Nacktheit, aber nicht nur. „Du wirst
       keine Inhalte posten, die […] bedrohlich oder pornografisch sind“, heißt es
       etwa in den allgemeinen Geschäftsbedingen von Facebook. Was genau
       „bedrohlich“ heißt, erfahren die betroffenen Nutzer*innen nicht.
       
       Ausgerechnet die linken Berliner Rapper*innen Sookee und Spezial-K., die
       sich regelmäßig gegen Hassrede aussprechen, wurden erst kürzlich Opfer
       einer solchen Löschung, und zwar noch vor dem NetzDG. Der Clip zum Song
       „Zusammenhänge“ – online seit 2013 – wurde von der Videoplattform YouTube
       im Oktober plötzlich gesperrt. Er verstoße „gegen die YouTube-Richtlinie
       zum Verbot von Hassrede“, bekam nun zu sehen, wer den Song aufrufen wollte.
       
       ## Reaktion rechter Trolle
       
       „Ein absurder Vorwurf“, sagt Sookee, die 2015 Botschafterin der
       Antidiskriminierungstelle des Bundes war. „Zumal die schlimmste
       Formulierung im Text wohl ist, dass ich fordere, auf den Staat zu pinkeln.“
       Nach Medienberichten wurde das Video entsperrt, der YouTube-Pressesprecher
       entschuldigte sich per Mail für den „Fehler“.
       
       „Auf meine Frage, wie die Sperrung zustande kam, habe ich nie eine Antwort
       erhalten“, sagt Sookee. Sie vermutet, dass rechte Trolle das Video
       reihenweise gemeldet haben. Aktuell berichten immer mehr
       Netzaktivist*innen, dass ihre Tweets gemeldet oder in Deutschland gesperrt
       worden seien. Auch NetzDG-Gegner*innen haben die „Melden“-Funktion als
       Sabotagewerkzeug entdeckt; selbst ein Tweet von Maas wurde gemeldet und
       gelöscht – 2010 hatte Maas Thilo Sarrazin einen „Idioten“ genannt.
       
       Fragen, die Verfechter*innen freier Rede im Netz berechtigterweise stellen:
       Inwiefern sind Löschentscheidungen algorithmengestützt? Welche
       Qualifikation bringen die Mitarbeiter*innen mit, die solche Entscheidungen
       treffen? Werden die eigenen Nutzungsbedingungen mit Inkrafttreten des
       NetzDGs ebenfalls schärfer durchgesetzt? Die Konzerne halten sich, wie
       gewohnt, mit Informationen zurück. Zur aktuellen Debatte wollen sich weder
       Facebook noch Twitter zitieren lassen. Diese Undurchsichtigkeit der
       Betreiber war mit Grund dafür, dass dieses Gesetz entstanden ist.
       
       Wie also weiter? Wird das NetzDG gleich wieder ersatzlos abgeschafft, wie
       nicht wenige jetzt fordern? Regierungssprecher Steffen Seibert hat am
       Montag angekündigt, es werde „sehr genau evaluiert werden, wie sich das
       Gesetz auswirkt und welche Erfahrungen mit ihm gemacht werden“. In den
       Jamaika-Sondierungen hatte man sich bereits darauf verständigt, das NetzDG
       zu überarbeiten. Jetzt aber sondieren wieder die Fraktionen, die es
       gemeinsam verabschiedet haben.
       
       11 Jan 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Volksverhetzender-Tweet/!5473777
   DIR [2] /Staatsanwaltschaft-Hamburg-ermittelt/!5469864
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
   DIR NetzDG
   DIR Soziale Netzwerke
   DIR Heiko Maas
   DIR Hate Speech
   DIR Wolfgang Kubicki
   DIR Hate Speech
   DIR Youtube
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR NetzDG
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Schwerpunkt Meta
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kampagne gegen Hate Speech: Hasskommentare sind #NichtEgal
       
       YouTube will mit Workshops an Schulen junge Menschen für das Thema Hassrede
       im Netz sensibilisieren. 21 Stars der Plattform machen mit.
       
   DIR Wolfgang Kubicki vor dem FDP-Parteitag: „Sie müssten Amerika besetzen“
       
       Kubicki weiß auch nicht, wie man von Deutschland aus Facebook beeinflussen
       soll. Frauen sind ihm in der Politik oft zu unengagiert. Aber die Grünen,
       die mag er wieder.
       
   DIR Medienanstaltsleiter über Hate Speech: „Das Problem ist nicht unlösbar“
       
       Tobias Schmid will mit einer neuen Initiative nicht nur erreichen, dass
       Hasskommentare gelöscht werden. Eine juristische Ahndung soll folgen.
       
   DIR Aufstieg und Fall eines Youtubers: Asoziale Medien
       
       Logan Paul war jung und brauchte das Geld, also gründete er einen
       Youtube-Kanal. Es lief gut für ihn – bis er einen Selbstmörder filmte.
       
   DIR AfD im Bundestag: Keine Bedenken bei rechten Gedanken
       
       Der Geschäftsführer des rechten Think Tanks „Institut für Staatspolitik“
       hat einen neuen Job: als Mitarbeiter der AfD-Fraktion.
       
   DIR Kritik am Netzdurchsetzungsgesetz: Maas verteidigt NetzDG
       
       Seit Jahresbeginn müssen Online-Netzwerke stärker gegen Hassreden vorgehen.
       Kritiker sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. Der Justizminister nicht.
       
   DIR Volksverhetzender Tweet: Strafanzeige gegen Beatrix von Storch
       
       Gegen die AfD-Bundestagsabgeordnete wurde Anzeige erstattet – von der
       Polizei. Von Storch hatte über einen arabischsprachigen Tweet gehetzt.
       
   DIR Facebooks Umgang mit Fake News: Grundlos gelöscht – und dann?
       
       Selbst die Union fordert einen Anspruch auf Wiederherstellung zu Unrecht
       gelöschter Äußerungen auf Facebook. Das Justizministerium schweigt.