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       # taz.de -- Kunstszene in Leipzig: „Wir machen die Türen auf“
       
       > Das Museum der bildenden Künste und die Hochschule für Grafik und
       > Buchkunst stehen unter neuer Leitung. Ein Gespräch über Ideen für Kunst
       > und Kooperationen.
       
   IMG Bild: Der Bildungsauftrag des Museums der bildenden Künste gründet auf der Interaktion mit der Stadt
       
       taz: Herr Locher, Herr Weidinger, Sie beide bekleiden seit dem Sommer
       wichtige Posten. Wie beginnt man so einen Job? 
       
       Thomas Locher: Man staunt. Es hat einem ja keiner erzählt, wie dieser Beruf
       aussieht und dass es neben einer sehr interessanten Aufgabenstellung auch
       ganz absurde Verwaltungsvorgänge gibt. Aber ich will in diesem
       institutionellen Rahmen arbeiten, weil ich eine gewisse Gefahr sehe für die
       Kunst. Sie erlebt so etwas wie einen Relevanzverlust.
       
       Inwiefern? 
       
       Locher: Kunst bietet die Möglichkeit, Dinge zu verhandeln, die etwas mit
       der Vergangenheit zu tun haben. Es gibt neue globale Vergangenheiten, die
       eigentlich neue komplizierte Gegenwarten sind. Die globale Kunstwelt ist
       unübersichtlich, hat neue Begriffe und neue Diskurse. Es ist nicht leicht,
       darin seinen Platz zu finden. Und dann gibt es einen dominierenden
       hochpreisigen Markt, der durch einseitige Berichterstattung sehr präsent
       ist. Es entsteht der falsche Eindruck, Kunst richte sich an eine Elite und
       sei abgehoben vom Rest der Welt.
       
       Herr Weidinger, können Sie den Relevanzverlust der Kunst bestätigen? 
       
       Alfred Weidinger: Bevor ich nach Leipzig kam, habe ich mit Vertretern der
       Kunstszene aber auch mit Menschen auf der Straße gesprochen. Für viele ist
       das Museum ein Elfenbeinturm, weil es taube Ohren für das hat, was auf der
       Straße passiert.
       
       Sie wollen also Ihr Museum weiter zur Stadt öffnen? 
       
       Weidinger: Unbedingt! Unser Bildungsauftrag gründet auf der Interaktion mit
       der Stadt. Es geht immer auch um die Menschen, die hier leben, und um das,
       was hier geschieht. Die permanente Sammlung, die von den Bürgern dieser
       Stadt aufgebaut wurde, soll frei zugänglich werden. Für Sonderausstellungen
       hingegen, die wir mit großem Aufwand produzieren, müssen wir auch weiterhin
       Eintritt verlangen.
       
       Sie haben angekündigt, dass die Leipziger Schule einen eigenen Raum
       bekommt. 
       
       Weidinger: Die Kunst aus Sachsen mit Schwerpunkt Leipzig wird künftig auf
       einem eigenen Geschoss gezeigt. Die Zeit, in der wir nur schöne Bilder an
       die Wand hängten und die Leute waren begeistert, ist vorbei. Heute
       interessieren sich die Besucher dafür, wer die Künstler und wer die
       Personen auf den Bildern sind, wo sie gelebt haben, aber auch für
       zeitpolitische Aspekte.
       
       Gibt es konkrete Pläne der Zusammenarbeit zwischen Ihren beiden Häusern? 
       
       Locher: Es könnte interessant sein, das Verhältnis Hochschule – Museum neu
       zu überdenken. Beide klagen über Budgetmangel, beide sollen forschen. Also
       lasst uns neue Allianzen bilden! Hier und da kluge, einfache Kooperationen
       bei Dingen, die Spaß machen.
       
       Weidinger: Wenn ein Katalog von einem Absolventen der HGB gemacht wird,
       dann lehne ich mich entspannt zurück, weil ich weiß, dass er gut wird. Und
       die Sammlung des MdbK muss auch widerspiegeln, was dort geschehen ist und
       immer noch geschieht, auch etwa, dass ein Herr Locher in der Stadt ist.
       
       Die Leipziger Kunstszene ist unglaublich produktiv, aber schmort
       tatsächlich ein wenig im eigenen Saft. Ist mehr Internationalität eine
       Lösung? 
       
       Weidinger: Bis zu einem gewissen Grad, ja. Es gibt einige internationale
       Künstler, die ich den Leipzigern gern vorstellen würde, und ich kenne
       Künstler, die gern in Leipzig etwas machen würden. Der Museumsbau ist
       atemberaubend. Welches Museum kann schon sechs Tageslichthallen mit
       Raumhöhen von 16 Metern bieten? Bedeutende internationale Künstler werden
       diese Räume künftig genauso bespielen wie junge und noch weitgehend
       unbekannte. Die klingenden Namen bringen uns die Besucher und fördern damit
       die ihnen nachfolgenden Kunstgenerationen.
       
       Locher: Mir schwebt vor, ein internationales Büro zu etablieren, das sich
       auf allen Ebenen mit Kooperationen und Antragstellungen beschäftigt, wenn
       unsere Studierenden an Partnerhochschulen oder ausländische Studierende bei
       uns studieren wollen.
       
       Ziehen Sie in Ihrer Arbeit Konsequenzen aus der Bundestagswahl? 
       
       Locher: Das Wahlergebnis bestätigt meine Entscheidung, aktiv zu sein. Die
       AfD ist nicht allein ein sächsisches Problem. Das zieht sich durch die
       ganze Republik. Ich verstehe nicht, wie man aus Protest eine rassistische
       Partei wählen kann. Da gibt es keine Argumente, die mich überzeugen. Es
       wäre wünschenswert, wenn diese Wählerschaft zur Besinnung finden würde.
       
       Weidinger: Wir überhören, dass diese Stimmung durch eine Politik der Eliten
       entsteht. Die Bedürfnisse der Leute werden nicht mehr erfasst, weil man es
       versäumt, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu sprechen. Das können wir im
       Museum auf einem extrem schmalen Segment: Wir machen die Türen auf und
       reden mit den Leuten. Wir gehen mit der Kunst raus in die Region. Kunst
       will anerkannt, verstanden, wenigstens toleriert werden, dazu wollen wir
       einen kleinen Beitrag leisten.
       
       14 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Alberti
       
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