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       # taz.de -- Langstreckenlauf durch den Iran: Die Frau ist nicht aufzuhalten
       
       > 58 Tage lang durchquerte die schwedische Ultraläuferin Kristina Paltén
       > Wüsten und Schnee: Die Scharia hat sie beachtet und gute Freunde
       > gefunden.
       
   IMG Bild: Mit einem Lächeln auf dem Weg durch die Wüste: Kristine Paltén
       
       Der Kontrollposten lacht, als Kristina Paltén ihre Kopfbedeckung verliert.
       Sie ist notdürftig zusammengestellt, eine Kappe mit einem Tuch. Der Pro
       Hijab eines bekannten Sportartikelherstellers, der jetzt mit wirksamer
       Kampagne weltweit verkauft wird, ist da noch nicht auf dem Markt. Und
       Kristina Paltén hat es sowieso gern bodenständig. Sie mag eine kuriose
       Gestalt abgegeben haben: Eine Ausländerin, die in Kappe, Tuch und langer
       Kleidung allein mit kleinem Handwagen durch die iranische Wüste rennt und
       sich bemüht, im Wind nichts zu verlieren. Die gefürchtete iranische
       Sittenpolizei hat vor allem Spaß.
       
       Die schwedische Ultraläuferin ist heute eine Berühmtheit. Kristina Paltén,
       nebenbei Weltrekordhalterin im 48-Stunden-Lauf auf dem Laufband, hat als
       erste Frau laufend den Iran durchquert. Durch die Wüste, durch den Schnee,
       1.800 Kilometer lang. Bei Minusgraden und Temperaturen von 45 Grad.
       Insgesamt 58 Tage benötigte sie dafür. Im Herbst 2015 war das, und man kann
       sie, wie jeden Abenteurer der Moderne, fürs Erzählen buchen. Gerade ist
       eine Dokumentation erschienen, die ihr eigenes Videomaterial und das
       Filmmaterial eines begleitenden iranischen Fotografen verwendet: „Alone
       through Iran. 1.144 Miles of Trust.“ Meilen des Vertrauens. In welchem Maße
       das Vertrauen gelang, überrascht die Sportlerin selbst.
       
       Das Zelt und den Schlafsack, die Kristina Paltén in ihrem Handwagen
       transportiert, benutzt sie nie. Überall wird sie eingeladen. Auch mit
       Lebensmitteln wird sie reich beschenkt. „Ich habe das Land auf eine andere
       Art und Weise kennengelernt“, erinnert sich die Schwedin heute. „Im Iran
       gilt der Gast als ein Gast Gottes, also lässt man den Gast Gottes nicht
       allein.“ Sie empfindet das als sehr schön und manchmal als anstrengend. Und
       Paltén gelingt, wozu wenige Menschen Gelegenheit haben: die Vielfalt und
       Widersprüche des Iran anhand seiner Bewohner zu erzählen.
       
       Die Schwedin kann kaum Farsi, aber sie hat einen großen Vorteil: keine
       Berührungsängste. Sie übernachtet bei Ehepaaren, die zwei BMWs vor der Tür
       haben, Bier trinken und gerade in Indien einen Yogakurs belegt haben. Und
       in Häusern, die so arm sind, dass die Familie auf Matten auf dem Boden
       schläft. Einmal lehnt der Gastgeber ab, etwas zu essen, weil er nicht
       hungrig sei, und isst hinterher heimlich die Reste ihrer Portion. „Da habe
       ich verstanden, dass seine Familie nicht viel mehr hatte, aber sie haben
       mich an die erste Stelle gesetzt. Es war furchtbar und gleichzeitig sehr
       schön.“
       
       ## Gute Gründe, Angst zu haben
       
       Kristina Paltén ist keine besonders politische Person. Das irritiert
       Kritiker, die einen Haken suchen: Wer ist diese Frau? Eine
       Mullah-Anhängerin, die den Iran verteidigen will? Eine naive
       Weltverbesserin? Aufmerksamkeitsgeil? Paltén formuliert ihre Idee sehr
       simpel: „Ich würde gern mehr Vertrauen auf der Welt sehen. Und wenn ich als
       Frau durch ein muslimisches Land mit Scharia-Gesetzen laufe, fordere ich
       Vorurteile heraus. Ich wollte meinen Landsleuten zeigen, dass es keinen
       Grund gibt, Angst zu haben.“ Trotzdem hat sie selbst vorher eine
       beachtliche Liste von Ängsten. Und es gibt gute Gründe, Angst zu haben.
       
       Die iranische Regierung verfolgt ihren Blog. „Ich habe mir gedacht: Oh
       Gott, Kristina, schreib jetzt bloß keinen Mist. Ich habe nicht über
       Menschenrechte geschrieben oder über Homosexualität. Und das war sehr
       seltsam.“ Paltén macht sich durch ihren äußerst populären Lauf auch zum
       Propagandawerkzeug einer Regierung, der jede gute Nachricht, die sie ins
       Ausland tragen kann, gelegen kommt. Schuldig fühlt sich die Ultraläuferin
       trotzdem nicht.
       
       In ihrer schwedischen Heimat überzeugt der Lauf vermutlich vor allem die,
       die sowieso schon offen sind. Aber erstaunlich ist der Effekt im Iran. Wann
       immer Kristina Paltén von einer Familie aufbricht, erhält sie unterwegs
       besorgte Nachrichten, ob es ihr denn gut gehe. „Es stellte sich heraus,
       dass die Familien im Iran einander nicht vertrauen. Aber als sie sahen,
       dass ich von Familie zu Familie rannte und sicher war, haben sie gesagt:
       Wow, wir sind so gastfreundlich.“ Die Familien verabreden sich schließlich.
       Und feiern gemeinsam ihre Güte. „Sie haben mir einen Brief geschickt, der
       endete mit den Worten: Wenn du als Außenseiterin uns vertrauen kannst,
       können auch wir einander vertrauen. Du hast uns eine bessere Welt gegeben.“
       Paltén weint, als sie das liest.
       
       Die Schwedin will es nicht dabei belassen. Sie will dahin zurückkehren, wo
       der letzte Lauf aufgehört hat: ab Turkmenistan durch Zentralasien. Auch
       dann wird sie vermutlich allein unterwegs sein. Eines nämlich trifft sie im
       Iran kaum: Gleichgesinnte. „Die Menschen treffen sich viel mit der Familie,
       aber ich würde nicht behaupten, dass sie viel trainieren.“ Ausnahmen,
       natürlich, gibt es. Der Mann, der für sie auf das Essen verzichtete, ist
       Sportler. Sie schenkt ihm Laufschuhe.
       
       19 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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