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       # taz.de -- Autorin Heike Kleen über Menstruation: „Tampons wurden versteckt“
       
       > Heike Kleen hat ein Buch über Menstruation geschrieben. Ein Gespräch über
       > Mythen, Halbwissen und die Frage, wieso das Thema heute wieder tabu ist.
       
   IMG Bild: Heike Kleen hat ein Buch über Menstruation geschrieben
       
       taz: Frau Kleen, haben Sie gerade ihre Tage? 
       
       Heike Kleen: Ja, dritter Tag. Wie Sie sehen, bin ich auf unser Gespräch gut
       vorbereitet.
       
       Und ich habe gerade einen Tabubruch begangen: Über die Menstruation, so
       schreiben Sie in ihrem „Tage-Buch“, spricht man nicht – schon gar nicht als
       Frau mit einem fremden Mann. 
       
       Von einem Mann darauf angesprochen zu werden, ist schon sehr ungewöhnlich.
       Wenn überhaupt, dann sprechen Frauen darüber, die sich gut kennen.
       
       Als Mann darf ich naiv fragen: Ist Menstruation auch zwischen Frauen ein
       Tabuthema? 
       
       Mit einer guten Freundin, der Schwester oder Mutter kann man natürlich
       drüber reden, aber – in der Öffentlichkeit – meist hinter vorgehaltener
       Hand. Es gibt auch Frauen, die sagen: Ich rede da ganz offen drüber. Ich
       glaube nicht, dass das für die Mehrheit der Frauen gilt. Vor allem nicht,
       wenn es um extrem starke Blutungen oder Regelschmerzen geht. Viele Frauen
       kommen gar nicht auf die Idee, einen Arzt aufzusuchen und herauszufinden,
       ob das auch schmerzfreier geht. Auch deshalb muss man über die Tage reden.
       
       … die nach wie vor selten beim Namen genannt werden. 
       
       „Menstruation“ ist auch kein schönes Wort. „Erdbeerwoche“, „Tante Rosa“,
       „Maler im Keller“, „ein Baumwollkamel reiten“ – all das sind gängige
       Euphemismen. Ihre Vielzahl zeigt, dass wir über etwas reden wollen, aber
       die dazugehörigen Begriffe nicht aussprechen mögen.
       
       Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über die Menstruation zu
       schreiben? 
       
       Eine Freundin, die mit einem Dänen verheiratet ist, erzählte mir, dass in
       Dänemark und Schweden ganz offen über die Menstruation geredet wird. Das
       Thema war mir unangenehm und ich dachte: Okay, man blutet alle vier Wochen,
       sieht zu, dass man was dagegen tut, sodass es keiner mitbekommt. Was aber
       gibt’s da zu reden? Dann habe ich angefangen zu recherchieren und gemerkt:
       Da gibt es viel zu besprechen.
       
       Wie haben Ihr Mann und Ihre Freundinnen darauf reagiert, als die erfahren
       haben, dass Sie dieses Thema zu einem Buch machen wollen? 
       
       Mein Mann hat sich erst mal ein bisschen gewundert. Ich habe ihm dann jeden
       Tag erzählt, was ich alles Neues in Erfahrung gebracht habe.
       
       Das wollte er auch alles hören? 
       
       Er musste, er hatte keine andere Wahl. Die meisten meiner Freundinnen
       fanden das Buchprojekt gut, aber eine gute Freundin hat zu mir gesagt: Lass
       es lieber, wer weiß, was da für ein Shitstorm auf dich zurollt. Der ist
       bisher aber ausgeblieben. Bei meinem Vater habe ich mit dem Gespräch
       gewartet, bis ich den Buchvertrag in der Tasche hatte. Nur drei Prozent
       aller Töchter sprechen, nach dem was wir wissen, mit ihren Vätern über das
       Thema und auch ich habe es erst mit Anfang 40 gemacht.
       
       Wie hat er reagiert? 
       
       Aufgeschlossen und auch sehr entspannt. Er wusste bis dato aber nicht
       einmal, dass ich meine Tage bereits mit elf Jahren bekommen habe.
       
       Waren Sie damals eigentlich darauf vorbereitet? 
       
       Ich war so gar nicht vorbereitet. Ich hatte eine vier Jahre ältere
       Schwester, von deren Menstruation ich überhaupt nichts mitbekommen habe,
       ebenso wenig wie bei meiner Mutter. Tampons wurden bei uns zu Hause sorgsam
       versteckt. Als ich zum ersten Mal meine Tage bekommen hatte, konnte ich das
       nicht einordnen. Meine Mutter hat dann Binden aus einer Ecke des Hauses
       hervorgezaubert, die ich nicht kannte und mich dann aufgeklärt. Erst da
       erfuhr ich, dass ich jetzt jeden Monat meine Regel haben werde – willkommen
       im Leben.
       
       Haben Sie daraus etwas im Umgang mit Ihren eigenen Kindern gelernt? 
       
       Zunächst nicht. Als mein Sohn als Dreijähriger mit einem Tampon in der Hand
       vor mir stand und fragte „Mama, was ist das?“ habe ich geantwortet: „Wenn
       man mal ganz doll Nasenbluten hat, kann man den benutzen.“ Was eine
       ziemlich bescheuerte Antwort war. Ich hatte keine Lust, dieses ganze Fass
       aufzumachen. Im Zusammenhang mit meinen späteren Recherchen, habe ich einen
       Aufklärungscomic aus Schweden bestellt. Da wird die Menstruation ganz
       sachlich beschrieben. Meine Kinder sind inzwischen völlig unaufgeregt bei
       dem Thema.
       
       Welchen Aufklärungsgrad stellen Sie bei Männern fest: Wo gibt es da
       Bildungslücken? 
       
       Ich habe Männer zu diesem Thema interviewt. Die meisten wissen schon, dass
       da einmal im Monat was los ist, dass viele Frauen dann doof drauf und
       zickig sind und dass das was mit Blut zu tun hat …
       
       Das klingt jetzt aber nicht nach wirklichem Hintergrundwissen. 
       
       Hintergrundwissen existiert da auch eher wenig. Was da genau passiert und
       warum, das wissen die wenigsten Männer.
       
       Wie wäre es denn, wenn Männer die Tage bekämen? 
       
       Da hat Gloria Stein, eine amerikanische Feministin, bereits in den
       1970-Jahren einen wunderbaren Artikel geschrieben: „If Man could
       menstruate“. Sie sagt, wenn Männer menstruieren könnten, würden sie sich
       dafür abfeiern. Und die größten Tampons benutzen, sie würden sagen, die
       kleinen sind was für Anfänger, ich habe drei Tage geblutet und es überlebt.
       Es würde Erholungstage und vermutlich auch extra Sitzplätze im Bus für
       menstruierende Männer geben. Die Hygieneartikel würden ganz sicher von der
       Krankenkasse bezahlt werden.
       
       Was sollten Männer unbedingt über die Menstruation wissen? 
       
       Die sollten wissen, dass sie sinnvoll für den weiblichen Körper ist, was
       sie mit Fruchtbarkeit zu tun hat, dass sie kein bisschen eklig ist und dass
       sie nicht stinkt. Wenn Frauen schlecht drauf sind oder launig, könnten sie
       ein bisschen einfühlsamer und verständnisvoller sein. Wir können nichts
       dafür, es sind die Hormone!
       
       In der Werbung ist das Thema ja nicht tabu: Dort menstruieren Frauen mit
       sehr viel Schwung. 
       
       Die Frauen in der Tampon-Werbung sind extrem gut drauf und aktiv, tanzen
       die ganze Nacht oder springen gutgelaunt morgens aus dem Bett und fliegen
       nur so durch den Tag. Wenn das der Effekt wäre, würde ich jede Nacht einen
       Tampon tragen. Es wird aber nicht erklärt, wozu die Produkte wirklich da
       sind und überall ist eine merkwürdig blaue Testflüssigkeit allgegenwärtig,
       deren einzige Aufgabe es ist, sich vollständig aufsaugen zu lassen. Was die
       Werbung verschweigt: Viele dieser Produkte sind nicht unbedenklich.
       
       Warum? 
       
       Binden haben die gleichen Grenzwerte für Giftstoffe wie Taschentücher.
       Einen Tampon aber habe ich mehrere Stunden im Körper direkt an den
       Schleimhäuten. Wir Frauen benutzen solche Produkte zusammengerechnet sechs
       Jahre unseres Lebens. Wenn ich mir so lange Chemiebomben in meinen
       Unterleib schiebe, kann das nicht wirklich gut sein. Es gibt seriöse
       Untersuchungen über einen Zusammenhang zwischen Gebärmutterhalskrebs und
       der Benutzung von Tampons.
       
       Was ist da alles drin? 
       
       Baumwolle wird oft mit Glyphosat behandelt und dann mit Chlor gebleicht –
       konventionelle Baumwolle gilt als die am meisten mit Pestiziden und
       Insektiziden behandelte Pflanze. Zellulose wiederum wird mit Natronlauge
       behandelt. In vielen Produkten schlummert zudem Dioxin, Formaldehyd lauert
       in den Verpackungen und die Klebestreifen strotzen nur so vor
       gesundheitsgefährdenden Phthalaten. Zudem machen die Tampons die Klärwerke
       kaputt, weil immer noch viele Frauen die Dinger ins Klo schmeißen. Die
       müssen extra rausgefischt werden.
       
       Gibt es Alternativen? 
       
       Ja, Biotampons. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Ich
       brauche wirklich nicht noch Öko-Tampons mit dem Siegel vegan, lactose oder
       glutenfrei. Als ich mich näher mit dem Thema beschäftigt habe, hat sich
       diese Haltung verändert. Ich habe Biotampons und Stoffbinden ausprobiert.
       Und natürlich gibt es die Alternative Menstruationstasse aus Silikon: Die
       kauft man einmal, kann sie zehn Jahre lang benutzen und belastet den
       eigenen Körper und die Umwelt deutlich weniger.
       
       Sie kennen aus Ihrem beruflichen Hintergrund viele Talkshow-Redaktionen.
       Wurden Sie da mit offenen Armen empfangen? 
       
       Viele Talkshow-Redaktionen waren zunächst sehr offen und fanden, das ist
       ein Super-Thema, für das die Zeit reif ist. Aber fast immer setzten sich in
       den Redaktionen dann die Männer durch, die meinten: Dieses Thema können wir
       unseren Zuschauern nicht zumuten, Man talkt über die Psyche von
       Serienmördern, aber öffentlich über die Menstruation zu sprechen, ist
       offenbar zu schwierig.
       
       Sie schreiben auch über Mythen in Bezug auf die Menstruation. Existieren
       die noch in der Gegenwart? 
       
       Schon bei den alten Griechen stand Blut für Krankheit – da war also was
       nicht richtig bei den Frauen. Sie wurden als schadhafte Männer begriffen.
       In fast allen Religionen findet sich der Grundgedanke, dass die Frau
       während ihrer Tage unrein ist. Diese Mythen haben sich über Jahrtausende
       gehalten und sind noch immer nicht ganz aus allen Köpfen raus. Noch bis in
       die 1970er-Jahre wurde in Deutschland diskutiert, ob Frauen während ihrer
       Tage Blut spenden oder im Röntgenlabor arbeiten dürfen.
       
       Dabei waren die 70er-Jahre die Zeit der sexuellen Revolution.
       
       Ich habe auch den Eindruck, das Thema war damals weniger tabuisiert als
       heute. Die Frauen haben sich sexuell eher ausgelebt, und waren entspannter
       mit ihrem Körper. Botox, Schlankheitswahn und die richtige Intimfrisur
       waren noch keine Themen. Gleichzeitig hatten sie noch stärker mit
       alltäglichem Sexismus zu kämpfen.
       
       Sie fordern einen entspannteren Umgang mit dem Thema Menstruation. Sind sie
       denn selbst auch entspannter geworden? 
       
       Ja. Dass ich mit einem Mann, den ich kaum kenne, so entspannt wie gerade
       jetzt über dieses Thema spreche, hätte ich mir vor zwei Jahren kaum
       vorstellen können. Wenn ich über etwas rede, kann ich lernen, und als Frau
       auch Tipps bekommen. Die nächste Generation wird davon sicher profitieren
       können. Wenn meine Tochter so unverkrampft nach einem Tampon fragt wie nach
       einem Taschentuch, ist es entspannt. Und nur wenn wir über die Menstruation
       reden, interessieren sich auch die Forschung und die Wirtschaft für uns
       Frauen – und es bewegt sich etwas zu unseren Gunsten.
       
       16 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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