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       # taz.de -- Aufstieg und Fall eines Youtubers: Asoziale Medien
       
       > Logan Paul war jung und brauchte das Geld, also gründete er einen
       > Youtube-Kanal. Es lief gut für ihn – bis er einen Selbstmörder filmte.
       
   IMG Bild: Da hatte er noch gut lachen: Logan Paul beim Teen Choice Award in Los Angeles im August 2017
       
       Und die Gottheit sprach: [1][Logan Paul]! Für deine Sünden gegen meine –
       vollkommen vagen, aber darum auch nach Gutdünken durchgesetzten – Community
       Standards erlege ich dir folgende Strafen auf. Ich nehme dir die Teilnahme
       an YouTube Red und „Foursome“. Die Sache mit der Filmhauptrolle kannst du
       vergessen. Aber vor allem bist du aus dem Reich von „Google Preferred“
       verbannt.
       
       Für alle, die gerade erst eingeschaltet haben, muss erklärt werden, worum
       es geht. Die Gottheit ist YouTube – der Kanal, in dem man lebt oder stirbt,
       wenn man den Rest der Welt mit seinen Videos beglücken will. YouTube ist
       kein ungnädiger Gott. Normalerweise lässt er seine Gemeinschaft tun, was
       sie will – auch IS-Enthauptungs-Videos oder Alt-Right-Propaganda
       veröffentlichen. Die Gottheit wird nur ärgerlich, wenn sich jemand laut
       aufregt. Und laut aufgeregt haben sich im Fall von Logan Paul zu viele.
       
       Der 22-jährige Amerikaner ist [2][einer der erfolgreichsten „Influencer“
       auf YouTube], dessen Kanal mehr als 15 Millionen Follower abonniert haben.
       Dann fuhr er nach Japan, um dort einmal mehr zu tun, was ihm solche
       Abonnentenzahlen beschert haben – nämlich vor laufender Kamera Scheiße zu
       bauen. Zu den „Pranks“, die er in Tokio zur Aufführung brachte, gehörte
       unter anderem ein Besuch in einem Tempel, in dem er mit Weihwasser
       herumplanschte.
       
       Eine Runde Pokémon im „Real Life“, bei dem er Autos und Fahrrädern die
       Fahrt verstellte. Nichts davon erzürnte YouTube. Bis er in einem Wäldchen
       nahe Tokio einen erhängten Selbstmörder filmte. Nach einem kollektiven
       Aufschrei des Entsetzens wurde das Video gelöscht – eine Entschuldigung
       sahen am Tag der Veröffentlichung 24 Millionen Menschen. Seither ist Logan
       Paul verstummt.
       
       ## Aus asozialem Verhalten Profit machen
       
       Ende letzter Woche reagierte YouTube nach einer Kunstpause: Logan Paul
       verlor seine Rolle in der Webserie „Foursome“ und seine Show bei dem
       YouTube-Kanal Red. Die Fortsetzung des Films „The Thinning“ wurde auf Eis
       gelegt. Und vor allem verlor er seinen „Google Preferred“-Status, der in
       dem intransparenten YouTube-Entlohnungsmechanismus mehr Teilhabe an den
       Werbeeinnahmen sicher stellt als die eines normalen „Creator“. Das ist
       ungefähr so, als würde man einem hochdekorierten General die Rangabzeichen
       von der Uniform reißen und ihm dann noch die Kreditkarte abnehmen.
       
       Logan Paul, sein Bruder Jake, ihre deutschen Nachmacher wie Apored haben
       aus asozialem Verhalten ein kommerzielles Modell gemacht, mit dem sie viel
       Geld verdienen. Neben den Werbeeinnahmen von YouTube verdient er mit einer
       eigenen Kleidermarke und Auftritten, bei denen ihm zum Teil Tausende
       Teenager zujubeln. In seinen Videos prahlt Logan Paul mit seiner Villa,
       seinen Autos, seiner Rolex. In einem der deprimierendsten Videos bei
       YouTube muss man mitansehen, wie er seine Mutter zu Weihnachten mit 10.000
       Dollar in kleinen Scheinen überhäuft.
       
       Letztlich operieren Prankster wie Logan Paul so wie die Unternehmen des
       Plattformkapitalismus. So wie Amazon, das in Deutschland keine Steuern
       bezahlt, aber seine Transporter trotzdem den mit öffentlichen Mitteln
       gebauten Bürgersteig zuparken lässt. So wie Facebook und Twitter
       Hassbotschaften jeder Couleur eine Plattform boten, bis sie durch
       politischen Druck dazu gezwungen wurden, ihre Inhalte zu moderieren. So wie
       Airbnb eine unregulierte Schattenwirtschaft von privaten Vermietern
       geschaffen hat, die Mieten in die Höhe treibt und ganze Großstadtviertel
       dem Billigheimer-Tourismus ausliefert.
       
       Diese Art der „disruption“ regulierter Geschäftsmodelle findet ihr
       Gegenstück in dem unverschämten und gelegentlich gesetzeswidrigen Verhalten
       von YouTubern wie Logan Paul, die aus ihren Grenzverletzungen Profit
       schlagen. Paul ist – mit seiner bescheuerten Föhnwelle vor dem Selfie-Stick
       – das Gesicht unser algorithmengesteuerten Gegenwart, in der Clicks und
       Likes das Dunkelste unserer Kultur basisdemokratisch in die Sichtbarkeit
       befördern.
       
       ## Billigst produzierendes Medienprekariat
       
       Trottel wie Logan Paul kommen und gehen. Hoffentlich. Er wäre nicht der
       erste YouTuber, der sich durch einen dramatischen Fauxpas ins Nirwana
       katapultiert. Irgendwann rächt sich dann eben doch, dass solche Leute – im
       Grunde ein billigst produzierendes Medienprekariat – ohne Redaktion
       ungebremst vor sich hin wursteln. Aber die Maschinerie, die Trottel wie
       Logan Paul hervorbringt, wird weiter funktionieren.
       
       Das ganze Debakel ist keine bedauerliche Fehlleistung der Sozialen Medien à
       la YouTube, sondern ihre logische Konsequenz. YouTube wurde von einigen der
       Besten und Schlausten ihrer Generation genau zu dem Zweck entwickelt, immer
       noch mehr Clicks und Views zu generieren. So ist eine Dynamik der
       gegenseitigen Unterbietung entstanden, die irgendwann damit endet, dass
       man die Leiche eines japanischen Selbstmörders filmt.
       
       YouTube hat Logan Paul einen Teil seiner Einnahmen – aber nicht seinen
       Kanal – weggenommen. Und promoted die Videos vom nächsten
       Influencer-Trottel als „empfohlen“. Bis der es wieder zu weit treibt.
       
       16 Jan 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/loganpaul
   DIR [2] https://www.youtube.com/channel/UCG8rbF3g2AMX70yOd8vqIZg
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tilman Baumgärtel
       
       ## TAGS
       
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