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       # taz.de -- Kommentar Ost- und Westdeutschland: Skepsis und Misstrauen nehmen zu
       
       > Nach Phasen der Annäherung steigt die Entfremdung zwischen Ost und West
       > wieder. Begegnung und Ermunterung sind dringend nötig.
       
   IMG Bild: Kulturelle Begegnung: Viele Westdeutsche empfinden eine Reise in den Osten nach wie vor als Wagnis
       
       Es braucht einen Schüler*innenaustausch zwischen Ost- und Westdeutschland.
       Unbedingt! Der Vorschlag Helmut Holters, thüringischer Kultusminister und
       Präsident der Kultusministerkonferenz, ist überfällig. Denn die Menschen in
       Ost- und Westdeutschland driften nach Phasen der Annäherung derzeit wieder
       auseinander, die wechselseitige Skepsis und das Misstrauen nehmen zu. Das
       gilt vor allem auch für Jugendliche.
       
       Diese These mag wissenschaftlich noch nicht belegt sein, aber sie ist
       empirisch unterfüttert: Seit zwölf Jahren organisiert Schule ohne Rassismus
       Ost-West-übergreifende Projekte mit Jugendlichen in Weimar, um mit 25
       Vertreter*innen aus Ost und West, Nord und Süd, Stadt und Land, mit und
       ohne Hintergrund die Zeitung Q-rage zu produzieren. Zehn Jahre lang haben
       daran überproportional viele Jugendliche aus Ostdeutschland teilgenommen.
       Seit 2015 kommt keiner mehr. 2016 nicht und auch 2017 nicht.
       
       Warum der Osten sich verschließt, ist noch nicht abschließend geklärt. Auf
       jeden Fall korreliert diese Entwicklung mit dem Auftauchen von Pegida & Co,
       die dort seit 2015 das öffentliche Klima dominieren.
       
       Vor Kurzem war die Neugierde der Menschen aus dem Osten am Westen noch
       größer als umgekehrt, zumindest haben Ostdeutsche den Westen häufiger
       besucht als andersherum. Aber was sie auf diesen Reisen erleben und zu
       hören bekommen, macht nicht unbedingt Lust auf mehr: Wer möchte schon gern
       als Mensch zweiter Klasse, als multikultureller Hinterwäldler und als
       Mensch mit minderer postsozialistischer Vergangenheit denunziert werden?
       
       Umgekehrt gilt, dass viele Westler mit Migrationshintergrund, und das sind
       bald ein Viertel aller Westler, eine Reise in den Osten nach wie vor als
       Wagnis empfinden. Zu viele haben aufgrund ihres Andersseins schlechte
       Erfahrungen gemacht oder kennen jemanden, dem etwas widerfuhr.
       
       Von allein wird sich die Entfremdung zwischen Ost und West nicht richten.
       Es braucht organisierte Begegnung, Konzepte und Ermunterung für ein
       west-östliches Palaver.
       
       16 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eberhard Seidel
       
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