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       # taz.de -- Goscinny-Ausstellung in Paris: Jenseits des Lachens
       
       > Die Ausstellung „Au-delà du rire“ beschäftigt sich mit dem Werk des
       > großen Comicautors und Asterix-Erfinders René Goscinny.
       
   IMG Bild: Die Ausstellung „Au-delà du rire“ in Paris zeigt die Werke René Goscinnys
       
       Eine Schreibmaschine dominiert den Eingang zur Ausstellung „René Goscinny.
       Au-delà du rire“. Sie war das wichtigste Arbeitsgerät jenes französischen
       Künstlers, der seit den 50er Jahren zahlreiche Comichelden erfand, die bis
       heute bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt sind. Als Szenarist
       humoristischer Comics vor zumeist historischem Hintergrund ist René
       Goscinny ein Solitär.
       
       Anlässlich seines Todes vor 40 Jahren – Goscinny war gerade 51 Jahre alt,
       als er 1977 unerwartet an einem Herzinfarkt starb – widmet sich das Pariser
       Museum für Kunst und Geschichte des Judentums (mahJ) der Herkunft und dem
       Gesamtwerk des Künstlers. In der Ausstellung „Jenseits des Lachens“ hat es
       viele erhellende Dokumente zu Goscinnys biografisch-familiärem Hintergrund
       zusammengetragen, wartet aber auch mit über 100 Originalen von Comicseiten
       und Auszügen aus den Szenarios auf.
       
       Wenig geläufig ist, dass der 1926 in Paris geborene Goscinny Sohn jüdischer
       Migranten aus Osteuropa war. Die Familie der Mutter Anna Beresniak kam 1905
       aus Kiew nach Paris und eröffnete eine Druckerei. Sein Vater Stanislas
       Goscinny stammte wiederum aus Warschau. Nicht weniger erstaunlich ist, dass
       der so wortgewandte Franzose Kindheit und Jugend in Argentinien verbrachte.
       Als Chemie-Ingenieur war Goscinnys Vater bei der Jewish Colonization
       Association angestellt und führte dort ein landwirtschaftliches
       Unternehmen.
       
       1927 holte er seine Familie nach Buenos Aires, wo René und dessen älterer
       Bruder Claude die französische Schule besuchten. So blieb René Goscinny
       trotz seiner multilingualen Kenntnisse – er sprach Jiddisch, Spanisch,
       Englisch und diverse argentinische Dialekte – der französischen Kultur
       verpflichtet. Später erinnerte er sich an diese Zeit: „In dieser
       abgelegenen Weltgegend lebten wir wie jüdische Gauchos, die mit verklärtem
       Blick nach Frankreich sahen, dem klassischen Land aus den
       Geschichtsbüchern.“ In Argentinien las er erstmals Comics. Ein
       patagonischer Indianerhäuptling namens „Patoruzù“ des Zeichners Dante
       Quinterno eroberte Goscinnys Kinderherz und inspirierte womöglich seinen
       eigenen indianischen Helden „Umpah-Pah“.
       
       ## Plötzlicher Tod des Vaters
       
       Um 1940 begann Goscinny mit dem Zeichnen von Karikaturen bekannter
       Protagonisten der Weltpolitik: Hitler, Stalin oder Churchill. Eine ganze
       Reihe von Zeichnungen widmet sich der fiktiven deutschen „Familie Müller“,
       die er als blonde, vorbildliche Nazis charakterisierte. Goscinnys Familie
       verfolgte trotz der entfernten, südamerikanischen Perspektive aufmerksam
       das Weltgeschehen und den Verlauf des Zweiten Weltkriegs, der von Europa
       aus überall hingetragen wurde. Die Situation der in Europa gebliebenen
       Familien Beresniak und Goscinny verschlechterte sich durch die
       Judenverfolgung dramatisch. Ein Großteil der Beresniaks starb in
       NS-Konzentrationslagern, vom Schicksal der Goscinnys in Polen ist nichts
       bekannt.
       
       Nach dem plötzlichen Tod des Vaters drohte die Familie zu verarmen. Der
       eifrige Zeichner René musste genau wie seine Mutter Jobs annehmen, bis
       beide 1945 zu ihrem Bruder Boris nach New York zogen. René arbeitete für
       eine Werbeagentur, als er eine Clique junger Comiczeichner kennenlernte,
       darunter Harvey Kurtzman – später der Kopf des Humormagazins MAD –, Will
       Elder, Wallace Wood und andere. Zusammen mit Kurtzman illustrierte Goscinny
       Bilderbücher und begann, die narrativen Möglichkeiten des Mediums Comic zu
       erkennen.
       
       In New York machte Goscinny auch die wegweisende Bekanntschaft zweier
       Belgier auf US-Tour: Joseph Gillain (alias Jijé), damals eine Vaterfigur
       der belgischen Comicszene, der für das Magazin Spirou arbeitete, sowie
       Maurice de Bévère (alias Morris), der bereits „Lucky Luke“ zeichnete. „Ich
       erkannte sofort“, erinnerte sich Morris später, „dass er ein geborener
       Humorist ist“. Die Begeisterung der drei Künstler für die US-Kultur und den
       absurden Humor der MAD-Macher sollte später Früchte tragen und Einfluss auf
       den europäischen Comic ausüben.
       
       ## Von World Press gefeuert
       
       Als Illustrator und Comiczeichner konnte sich Goscinny in New York nicht
       durchsetzen. „Das Klinkenputzen bei den Verlagen mit der Zeichenmappe unter
       dem Arm war für mich eine Tortur“, äußert sich Goscinny 1974, „ich kam mir
       vor wie ein Clochard, der ein anderes Universum betritt.“
       
       Erst 1951 kehrte der „Weltbürger“ René Goscinny nach Paris zurück und
       arbeitete dort für die belgische Agentur World Press, die zahlreiche
       Magazine des Verlags Dupuis mit Texten und Bildern belieferte. Nun kam
       Goscinnys Karriere in Schwung, er schrieb unter verschiedenen Pseudonymen
       Texte aller Art und zeichnete weiterhin Illustrationen. In Paris lernte er
       den bereits etablierten Comicszenaristen Jean-Michel Charlier kennen sowie
       den Zeichner Albert Uderzo (ebenfalls Einwandererkind mit italienischen
       Wurzeln), einen Seelenverwandten. Doch nachdem sich Goscinny für eine
       bessere Bezahlung von Szenaristen einsetzte, wurde er von World Press
       gefeuert.
       
       Goscinny gründete seine eigene Agentur, konzentrierte sich fortan auf das
       Schreiben und erfand ständig neue Comicserien für befreundete Zeichner.
       Allein für Albert Uderzo konzipierte Goscinny vor dem „Asterix“-Erfolg 1959
       bereits fünf weitere Serien.
       
       ## Großerfolg mit „Der kleine Nick“
       
       1955 begann die Zusammenarbeit mit Jean-Jacques Sempé an den Erzählungen
       vom „Kleinen Nick“, die Kindheitserlebnisse beider Künstler verarbeiteten
       und in den Sechzigern zum Großerfolg führte. Als Comicszenarist konnte
       Goscinny mit den ersten „Lucky Luke“-Szenarios (ab 1955) sein Können als
       Storyteller unter Beweis stellen: Erst durch seine Zuarbeit wurde Morris’
       Serie zum Klassiker. Der geistreiche Humor, den seine besten Arbeiten
       auszeichnet, kam hier schon zur Geltung und verband sich mit der
       Begeisterung des Duos Morris/Goscinny für US-Mythen und Western-Parodien.
       
       Ähnlich erfolgreich wurde die 1962 zusammen mit dem Zeichner Jean Tabary
       erdachte Serie „Isnogud“ um den orientalischen Großwesir, der „Kalif sein
       will anstelle des Kalifen“ – eine vor allem in der französischen Politik
       bis heute beliebte Redewendung. In den „Asterix“-Comics schließlich konnte
       Goscinny seinen humoristischen Erzählstil mit seiner Vorliebe für die
       Historie verknüpfen. Zahlreiche Bücher aus seiner Privatbibliothek liegen
       in der Ausstellung unter passenden Comicoriginalen aus, die vertiefte
       Kenntnisse in Geschichte, Literatur und Kultur belegen.
       
       ## Gebrüll unter Galliern oder Lautmalerei
       
       Neben den kongenialen Partnerschaften mit Zeichnern wird daran erinnert,
       dass Goscinny von 1959 bis 1974 auch leitende Funktionen innerhalb des
       innovativen Comicmagazins Pilote innehatte. Zunächst als französische
       Antwort auf MAD von ihm mitgegründet, machte der erwachsene Humor von
       „Asterix“ darin bald Schule. Als Chefredakteur bewies Goscinny Gespür für
       neue Talente: Jean Giraud, Marcel Gotlib, Claire Bretécher, Jean-Marc
       Reiser, das Duo Pierre Christin/Jean-Claude Mézières und viele andere
       debütierten, bis in den Siebzigern radikalere Konkurrenten Pilote den Rang
       abliefen.
       
       René Goscinny, so zeigt die Ausstellung in Paris, war ein kreativer Hans
       Dampf, der in einer Blütephase europäischer Bildergeschichten wichtige
       Impulse setzte und dem Comic zu breiter Anerkennung verhalf. Seine
       leichtfüßige wie geistreiche Art des Geschichtenerzählens wurde quer durch
       alle sozialen Schichten verstanden und nahm dabei oft philosophische Züge
       an.
       
       Vielleicht kommen aufgrund seiner tragischen Familiengeschichte Juden in
       Goscinnys Comics nicht vor. Die Ausstellung verweist auf das Druckhandwerk
       der Beresniak-Familie, in der der „Zetser“ (Setzer) eine große Rolle
       spielte. Goscinny, der multilinguale Wort-Jongleur, hat diese Tradition
       womöglich verinnerlicht: In seinen Comics wird die Typografie zum
       narrativen Element, die ganze Vielfalt der menschlichen Sprache wird Teil
       der Bilder – ob als Parodie von Kommunikationsformen, als Gebrüll unter
       Galliern oder als Lautmalerei.
       
       24 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralph Trommer
       
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