# taz.de -- Verfassungsklage gegen Norwegen: Klima verliert die erste Runde
> Hält der „Umweltartikel“ in Norwegens Verfassung, was er verspricht?
> Greenpeace hat geklagt, doch die Vergabe von Ölförderlizenzen war
> rechtens.
IMG Bild: Bye bye, Eisbären. Bald gibt es in der Arktis vielleicht Ölplattformen statt Eisschollen
Stockholm taz | Das „historische Urteil“ ist für die Kläger schlecht
ausgefallen. Klima- und Umweltschutzorganisationen hatten gegen den
norwegischen Staat geklagt – und zunächst verloren. Der Vorwurf: Oslo habe
mit der Vergabe von Ölförderlizenzen in arktischen Territorialgewässern
gegen die Verfassung verstoßen. Am Donnerstagnachmittag um 15 Uhr wiesen
die Richter [1][die Klage] ab. Der „Prozess des Jahrhunderts“
(Morgonbladet) war mit Spannung erwartet worden und fand unter großen
Medieninteresse statt.
Konkret ging es um einen Beschluss vom 10. Juni 2016. Nur wenige Tage
nachdem Oslo das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und sich damit zum
Ziel bekannt hatte, den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2 Grad zu
begrenzen, hatte die konservativ-rechtspopulistische Regierung 10 neue
Ölfelder im Barentsmeer zur Erkundung und möglichen Förderung an 13
Ölkonzerne zugeteilt. Die Ölfelder liegen viel weiter im Norden als die
bislang erschlossenen.
Neben der skandinavischen Sektion von Greenpeace hatte auch die norwegische
Umweltschutzorganisation Natur og Ungdom (Jugend und Umwelt) geklagt, beide
unterstützt von Besteforeldrenes Klimaaksjon, übersetzt: die Klimaaktion
der Großeltern. Die drei Organisationen repräsentieren zusammen rund 30.000
Mitglieder. In einer Unterschriftenaktion hatten weltweit fast eine halbe
Million Menschen diesen ersten Klimaprozess vor einem norwegischen Gericht
unterstützt.
Die Umweltschützer stützten sich juristisch auf den sogenannten
Umweltartikel, den Norwegen 2014 als eines der ersten Länder weltweit in
seine Verfassung aufgenommen hat. Artikel 112 konstatiert, dass „jedermann“
das Recht zu einer Umwelt habe, „die der Gesundheit und einer natürlichen
Umgebung förderlich“ ist. Er verpflichtet den Staat ausdrücklich zu einem
Umgang mit natürlichen Ressourcen, „der dieses Recht auch für zukünftige
Generationen sichern wird“.
Aus diesem Artikel könnten tatsächlich konkrete individuelle Rechte
hergeleitet werden, stellt das Gericht nun in seinem Urteil fest.
Allerdings könne man Oslo nicht pauschal für die globale Klimaerwärmung
verantwortlich machen. Der Artikel 112 umfasst nach Meinung der Richter
nämlich nicht die Folgen des CO2-Ausstoßes von Öl oder Gas, die Norwegen
exportiere. Denn Oslo habe keine Möglichkeit, auf ausländische
Klimaschutzgesetzgebung Einfluss zu nehmen: „Es ergibt sich aus dem
Völkerrecht, dass jedes Land für den Klimagasausstoß seines eigenen
Territoriums verantwortlich ist.“ Auch das Kyotoprotokoll und das Pariser
Klimaabkommen stellten nicht etwa auf die Verantwortung von
Produktionsländern fossiler Brennstoffe ab, sondern auf Begrenzungen des
CO2-Ausstoßes auf nationaler Ebene.
## Unklar, ob es für Berufung finanzielle Mittel gibt
Ingrid Skjoldvær, Vorsitzende von Natur og Ungdom beklagte in einer ersten
Stellungnahme die „begrenzte Sicht des Gerichts“: „Es übersieht, dass die
Klimakrise keine Landesgrenzen kennt.“ Auch die Vorsitzende von Greenpeace
Norwegen, Truls Gulowsen, und Steinar Høibeck von der Besteforeldrenes
Klimaaksjon kritisierten, keine zusätzliche Ölförderung in der Arktis sei
mit dem Ziel einer Beschränkung des Anstiegs der globalen Temperaturen auf
maximal 2 Grad in Übereinstimmung zu bringen.
Man werde [2][das Urteil] genau prüfen und dann entscheiden, ob man in
Berufung gehen werde, erklärte Gulowsen. Dazu muss auch geklärt werden, ob
überhaupt ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Das Gericht
erlegte den Klägern schon für die erste Instanz Kosten von umgerechnet
60.000 Euro auf.
4 Jan 2018
## LINKS
DIR [1] http://www.greenpeace.org/norway/Global/norway/Arktis/Dokumenter/2016/legal_writ_english_final_20161018.pdf
DIR [2] https://www.domstol.no/contentassets/245fe83b43884de5ab937c8fe6557dcb/16-166674tvi-otir---dom-04012018.pdf
## AUTOREN
DIR Reinhard Wolff
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