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       # taz.de -- Debatte Sexualisierte Gewalt: #MeToo … und jetzt?
       
       > Die #MeToo-Kampagne muss sich mit dem Kampf gegen Belästigung auf
       > internationaler Ebene vernetzen. Erst dann hätte sie wirklich Wirkkraft.
       
   IMG Bild: Ein Zeichen von Hollywood-Größen: Laura Dern, Nicole Kidman, Zoe Kravitz, Reese Witherspoon und Shailene Woodley in Schwarz
       
       Wer am 4. März den Oscar für die beste Hauptdarstellerin bekommt, weiß
       heute noch niemand. Aber den wichtigsten Auftritt gab es ohnehin dieses Mal
       nicht im Film, sondern im realen Hollywood. Nach dem Weinstein-Skandal
       machten etliche Schauspielerinnen mit der Kampagne #MeToo klar, wie
       verbreitet sexuelle Nötigungen und Übergriffe in der Branche sind – und
       befeuerten damit die Debatte über sexualisierte Gewalt in der Arbeitswelt
       wie kaum jemand vorher.
       
       Die große Aufmerksamkeit, die sie dafür bekamen, resultiert aus ihrem Mut,
       aber auch daraus, dass es sich bei den Betroffenen um Frauen mit
       Glamourfaktor handelt, deren Leben Millionen Menschen verfolgen. Dieses
       öffentliche Interesse ist eine große Chance, die genutzt werden muss. Die
       Debatte muss jetzt weitergehen – und reale Folgen haben.
       
       Denn mächtige Männer, die ihre Position in der Arbeitswelt ausnutzen, um
       Frauen (und auch Menschen, deren Geschlecht oder Orientierung nicht der
       Norm entsprechen) sexuell zu belästigen, zu erniedrigen, zu schlagen, zum
       Geschlechtsverkehr zu zwingen, gibt es nicht nur beim Film, nicht nur in
       der Kultur- und Modeszene.
       
       Gewalt und sexuelle Belästigung finden in allen Branchen überall auf der
       Welt statt. Sie gehen von Auftraggebern aus, von Vorgesetzten, Kunden,
       Kollegen. Besonders gefährdet sind Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen,
       wie sie eben in der Kulturszene verbreitet sind – und in der
       Landwirtschaft, in der Schattenwirtschaft, bei Hausangestellten.
       
       ## Aber es ist viel zu wenig
       
       Untersuchungen gibt es auch aus anderen Bereichen: Schwedische
       Gewerkschaften berichten über sexuelle Übergriffe in der Hotellerie,
       brasilianische über Belästigungen von Bankkauffrauen, indische
       Menschenrechtsorganisationen über Vergewaltigungen von Busfahrerinnen,
       Arbeitsrechtlerinnen haben sexualisierte Gewalt gegen Arbeiterinnen in den
       Fischfabriken Papua-Neuguineas oder gegen Verkäuferinnen in Sambia
       aufgedeckt.
       
       Wenn Hollywood-Größen eine Initiative wie „Time’s up“ starten, die
       Betroffenen auch aus weniger privilegierten Berufen wie Kellnerinnen oder
       Zimmermädchen mit zunächst 13 Millionen US-Dollar helfen will, sich
       juristisch zu wehren oder Jobverluste zu kompensieren, geht das in die
       richtige Richtung.
       
       Aber es ist viel zu wenig, zu klein. Und vor allem handelt es sich um eine
       private Initiative – nicht um eine Regelung, aus der sich ein
       Rechtsanspruch ableiten ließe. Deshalb können solche Fonds auch keine
       alleinige Lösung sein.
       
       Denn für Millionen arbeitende Frauen liegt das Problem viel tiefer. Ihnen
       fehlt es nicht nur an Sicherheit und Geld, im Zweifel kennt die
       Gesetzgebung ihres Landes den Straftatbestand der sexuellen Nötigung oder
       bestimmter anderer Formen von Gewalt gar nicht. Oder die Exekutive hat
       keine Möglichkeit oder keine Lust, sie zu ahnden.
       
       ## Das Ziel scheint jetzt erreichbar
       
       Nur ein Beispiel, das eine südafrikanische Gewerkschaft publik gemacht hat:
       Als eine Arbeiterin in einer strukturschwachen Region ihren Vorgesetzten
       anzeigte, der sie vergewaltigt hatte, erklärten ihr die Polizisten, sie
       könnten den Mann nicht festnehmen, weil dieser dann die Firma schließen
       würde und Arbeitsplätze verloren gingen.
       
       Dass sich Regierungen um Gesetze und Maßnahmen herummogeln können, ist auch
       ein Versäumnis der Internationalen Staatengemeinschaft. Denn bislang gibt
       es kein globales Abkommen, das Gewalt und sexuelle Übergriffe in der
       Arbeitswelt zum Thema hat. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO),
       die Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die dafür zuständig ist,
       weltweit menschenwürdige Arbeit durchzusetzen, hat bislang 185 Konventionen
       verabschiedet.
       
       Darin formulieren Regierungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam
       Arbeits- und Sozialstandards wie das Verbot von Zwangs-, Sklaven- oder
       Kinderarbeit, das Recht, Interessenvertretungen zu gründen. Gewalt oder
       sexuelle Belästigung kommen dabei höchstens am Rande vor, und immer fehlt
       eine klare Definition, was genau darunter zu verstehen ist.
       
       Dieses Ziel scheint jetzt erreichbar: Die Debatte über ein eigenes
       Übereinkommen zur Beendigung von Gewalt und sexueller Belästigung in der
       Arbeitswelt steht auf der Tagesordnung der diesjährigen Internationalen
       Arbeitskonferenz, zu der sich die 184 ILO-Mitgliedstaaten im Juni in Genf
       treffen. Wird es verabschiedet und danach von genug Ländern ratifiziert,
       verpflichten sich deren Regierungen auf das Ziel, Gewalt und sexuelle
       Belästigung in der Arbeitswelt zu beseitigen.
       
       ## Vernetzung muss sein
       
       Allerdings ist völlig offen, ob die Konvention eine Chance hat. Die meisten
       Regierungen und Arbeitgeberverbände halten sich bislang zurück. Das liegt
       wohl auch daran, dass die Debatte in den meisten Ländern weitgehend unter
       dem Radar der Öffentlichkeit stattfindet.
       
       Zugleich sieht es so aus, als laufe #MeToo in die Falle, sich zu sehr mit
       sich selbst zu beschäftigen. Damit provoziert die Kampagne eine
       Berichterstattung, die sich lieber mit dem Für und Wider von Outings und
       Beschuldigungen beschäftigt und auf jeden Einzelfall giert, als tiefer zu
       schürfen.
       
       Aber ist es wirklich wichtiger, Catherine Deneuves jüngste Äußerungen zu
       #MeToo zu deuten, als nach Wegen zu suchen, die Widerstandsmöglichkeiten
       einer belästigten Fischarbeiterin in Papua-Neuguinea zu verbessern? Oder
       ist die Internationale Arbeitsorganisation mit ihrer sperrigen Diplomatie
       den #MeToo-Protagonistinnen zu fremd?
       
       Beide Kampagnen müssen sich dringend vernetzen. Damit sich die eine nicht
       totläuft und die andere überhaupt richtig lebendig wird. Es gibt Orte,
       miteinander zu reden und gemeinsame Strategien auszuhecken. Ein guter
       Hashtag mit einer guten Geschichte wäre ein Anfang. Auch ein Auftritt auf
       dem roten Teppich eignet sich, um für eine neue ILO-Konvention zu kämpfen.
       Gern auch schon bei der anstehenden Berlinale.
       
       21 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Beate Willms
       
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