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       # taz.de -- Streit bei Rot-Rot-Grün in Berlin: SPD demontiert linke Bausenatorin
       
       > Das nennt man wohl die Dialektik der SPD: Fraktionschef Saleh wirbt für
       > Rot-Rot-Grün im Bund, gleichzeitig zerlegt seine SPD die Politik von
       > Bausenatorin Lompscher.
       
   IMG Bild: Hält Rot-Rot-Grün für die „Anti-Groko“: SPD-Fraktionschef Raed Saleh bei der Klausur der SPD-Fraktion
       
       Klein ist sie geworden, die einstmals über 50 Mitglieder zählende
       SPD-Fraktion. Ihre nur noch 38 Abgeordneten samt Mitarbeitern, Senatoren
       und Staatssekretären passen in einen einzigen Doppeldeckerbus, mit dem sich
       die Fraktion am Freitag auf den Weg nach Hamburg macht. „Klausurtagung“
       heißt diese Art politischer Klassenfahrt, die dazu dient, mal in Ruhe und
       ohne drängenden Anschlusstermin zu diskutieren und auch das ein oder andere
       Bier miteinander zu trinken.
       
       Ziemlich umstritten war vor Fahrtantritt der Reiseleiter, Fraktionschef
       Raed Saleh. Dennoch steht auf der Tagesordnung nichts von einer Aussprache
       über die laut gewordene Kritik an seinem Führungsstil. Würde sie sich
       spontan ergeben? Das ist zu Fahrtbeginn genauso offen wie die Entscheidung
       im Bundestag über das erneute Zustandekommen einer Großen Koalition, die am
       Sonntag in Bonn auf einem Bundesparteitag fallen wird.
       
       ## Die Linke? Ein Hemmschuh
       
       Im Hamburger Tagungshotel, nur ein paar Meter vom noblen Jungfernstieg
       entfernt, gibt es tatsächlich Führungskritik: Es gebe keine nachhaltige
       Strategie, keine ausreichende Prioritätensetzung. Aber diese Vorwürfe
       richten sich nicht an Saleh. Nein, Bausenatorin Katrin Lompscher vom
       Koalitionspartner Linkspartei ist die Adressatin, denn um Stadtentwicklung
       mit all den großen Wohnungs- und Schulbauprojekten geht es unter anderem
       bei der Klausurtagung.
       
       „Bauen, bauen, bauen“ wollen die Sozialdemokraten. Die Linke-Senatorin
       erscheint ihnen dabei wie ein einziger Hemmschuh. Am Samstag liegt der
       Entwurf eines Papiers vor: Die Lompscher-Verwaltung „muss die
       Prioritätensetzung auf den Wohnungsbau erkennbar werden lassen“, ist da zu
       lesen, es werde „zu kurz gedacht“. Und: „Wohnungsbau privater Unternehmen
       darf nicht als Privatinteresse diffamiert werden“; es dürfe keine
       „Partizipation in Endlosschleife geben. Und nach natürlich großartiger
       Arbeit früherer SPD-Bausenatoren drohe unter Lompscher ein Abknicken nach
       unten.
       
       In einer ersten Fassung sollen noch schärfere Formulierungen gestanden
       haben. Aber auch diese Version reicht aus, um Worte aus Salehs Eingangsrede
       im Tagungssaal zu konterkarieren. „Es geht nicht darum, der Senatorin
       Lompscher gegen das Schienbein zu treten“, hatte er da gesagt.
       
       Gemessen an dem, was Saleh zudem ausführt, wäre das auch strategisch dumm.
       Er hat nämlich eine Alternative zur Großen Koalition mit der CDU zur Hand:
       Eine „Anti-Groko“ nennt er es, das Berliner rot-rot-grüne Modell auf die
       Bundesebene zu übertragen. Dumm bloß, dass SPD, Linkspartei und Grüne in
       jüngsten Umfragen nicht auf jene 52 Prozent kommen, die in Berlin 2016 die
       Grundlage für die R2G-Koalition bildeten, sondern bestenfalls auf 42. Und
       Saleh sagt auch nicht, wie binnen wenigen Monaten bis zu Neuwahlen
       zusammenkommen soll, was zuvor über Jahre auf Bundesebene nicht
       zusammengefunden hat.
       
       ## Tipps von Udo Lindenberg
       
       Am Abend ist dann aus berufenem Mund zu hören, man solle das mit der Groko
       versuchen. Erst von Olaf Scholz, dem Regierungschef der Hansestadt, dann
       von Hamburgs anderem König oder, genauer, einem Kumpel von ihm: Der
       Kaulsdorfer SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier läuft nämlich bei einem
       Abstecher ins Hotel Atlantic Udo Lindenberg über den Weg, und dessen
       Entourage empfiehlt laut Kohlmeier: Groko machen und die anderen dann nach
       ein paar Jahren rauswerfen.
       
       Scholz geht da etwas eloquenter vor, als er seine Berliner Genossen, deren
       Landesvorstand Anfang der Woche klar gegen eine erneute Groko gestimmt hat,
       für Koalitionsverhandlungen zu begeistern sucht. „Wir hatten ehrgeizige
       Projekte, keine Frage – aber wir haben auch nur 20 Prozent bekommen und
       aktuell in einer Umfrage nur 18“, sagt er im Hamburger Rathaus. Seine
       Sichtweise: Man habe in der Sondierung letztlich zu viel erreicht, um nun
       Nein sagen zu können. Es doch zu tun, würde in dem darauffolgenden
       Wahlkampf nur schwer erläuterbar sein.
       
       Nicht nur still, fast schon andächtig hört die Berliner Besuchergruppe
       seine Worte in dem jahrhundertealten Saal, an dessen Wand Hamburger
       Senatoren noch in spanischer Hoftracht mit hohem Kragen abgebildet sind.
       Als Scholz von seiner SPD mehr Optimismus fordert, lässt sich erkennen,
       dass er für Salehs Anti-Groko – also R2G auf Bundesebene inklusive
       Linkspartei – nicht viel übrig hat: „Für den Pessimismus gibt es jetzt
       politische Angebote rechts von uns – und wenn wir ehrlich sind, auch links
       von uns.“
       
       Scholz hat an diesem Wochenende durchaus Vorbildfunktion. Weniger in Sachen
       Groko, weil kaum einer aus der Berliner Fraktion Delegierter beim
       Bundesparteitag ist und in Bonn mitstimmen darf. Aber sehr wohl beim großen
       Thema Wohnungsbau: Einmal im Monat tagt in Hamburg eine Art
       Steuerungskreis, der die Dinge voranbringt. So etwas soll es in Berlin mit
       Michael Müller an der Spitze bald auch geben. Auf diese Art sollen vor
       allem große Bauprojekte auch gegen die Interessen einzelner Bezirke
       durchgesetzt werden.
       
       Maren Kern, als Chefin des Wohnungsunternehmenverbands BBU eingeladen,
       hatte genau das am Freitagnachmittag gefordert und die Hamburger Politik
       gelobt. Dort gebe es ein „Commitment“ zum Wohnungsbau auf allen Ebenen. In
       Berlin hingegen sei erst jüngst ein Mitgliedsunternehmen gefrustet über die
       Landesgrenze ins brandenburgische Hoppegarten gegangen, erzählt Kern.
       „Dort hat der Bürgermeister einen roten Teppich ausgerollt.“
       
       ## Weiter Kritik an Saleh
       
       Am Sonntag geht Raed Saleh auch als Fraktionschef wieder aus der Klausur
       hinaus. Aber sosehr er Journalisten zu vermitteln versucht, dass eigentlich
       all das verarbeitet sei, was Mitte November zu einer sechsstündigen
       Krisensitzung der SPD-Abgeordneten führte: sie ist noch da, die Kritik am
       Vorsitzenden und seinem Führungsstil. Jene 14 Abgeordneten, die in einem
       Brief an Saleh ihre Kritik formuliert hatten, sind, so ist es aus ihrem
       Kreis zu hören, weiter in Kontakt. Aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt
       für ein Misstrauensvotum – nicht, da bundespolitisch so viel offen und auch
       in der rot-rot-grünen Koalition noch einiges zu regeln ist.
       
       Die reguläre Vorstandsneuwahl findet Anfang 2019 statt. Saleh will seine
       Partei auf neuen Kurs bringen. Er drängt darauf, sich mehr an den kleinen
       Leuten zu orientieren, die traditionell die Basis der SPD bildeten, auch
       wenn es früher „die Bauarbeiterin“ und „die Feuerwehrfrau“ noch nicht gab,
       von denen er spricht. Die Übersetzung der Sozialdemokratie in die heutige
       Zeit nennt er das: „Wenn uns das nicht gelingt, dann sind die 20 Prozent
       von der Bundestagswahl nicht das Tal.“
       
       21 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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