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       # taz.de -- Die Wahrheit: Zebra, bleib bei deinen Streifen!
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (Teil 46): Wie die
       > Tsetsefliege den gemusterten Huftieren das Überleben sichert.
       
   IMG Bild: Typisch Zebras: Ob von vorn oder von hinten, von rechts oder von links – immer wieder Streifen
       
       Bei den Zebras geht es stets um ihre Streifen. Manche Zoologen nahmen an,
       sie würden den Tieren Abkühlung verschaffen. Für Darwin waren sie ein
       „starkes Argument“ für seine Evolutionstheorie, insofern er Hinweise auf
       Pferde und Esel mit Reststreifen, zum Beispiel an den Beinen, sammelte, was
       ihm zufolge auf eine gemeinsame Abstammung mit den Zebras hinwies (alle
       drei können sich noch untereinander verpaaren). Im Übrigen meinte er, dass
       die Zebrastreifen die Funktion hätten, sie vor Raubkatzen zu tarnen, indem
       damit im hellen Licht ihre Umrisse verschwimmen. Das Gegenteil ist jedoch
       wahr: Gerade wegen ihrer Streifen erkennt man sie im hohen Gras
       beispielsweise der Serengeti deutlicher als die anderen Grasfresser. Und
       das sehen auch die Löwen so!
       
       Es gibt noch drei Arten von Zebras in Afrika (eine wurde ausgerottet), man
       unterscheidet sie an ihren Streifenmustern. Der schottische Embryologe
       J.B.L. Bard ging davon aus, dass sich die Streifen bei allen dreien aus dem
       selben „Grundmuster“ im Embryo entwickeln, nur in unterschiedlichen
       Entwicklungsabschnitten. Außerdem vertrat Bard die These, dass die Zebras
       schwarze Tiere mit weißen Streifen seien.
       
       Wegen ihres weißen Bauches ging man meist davon aus, dass die Streifen
       schwarz sind. Für den Evolutionsbiologen Stephen Jay Gould ist unterdes
       klar: „Wenn die Streifung das Resultat einer Verdrängung von Melanin ist,
       sind Zebras schwarz, wenn sie dagegen aus einer Ablagerung von Melanin
       resultieren, sind ihre Streifen schwarz,“ schreibt er in seiner
       Aufsatzsammlung „Wie das Zebra zu seinen Streifen kommt“ (1986).
       
       ## Interessante Streifenmuster
       
       Zu der von den Buren in Südafrika ausgerotteten vierten Zebraart, den
       Quaggas, erwähnt Gould den Versuch von Lord Morton, mit dem letzten
       Quaggahengst eine neue Population aufzubauen. Da er kein weibliches Tier
       mehr fand, verpaarte er ihn mit einer braunen Araberstute. Das daraus
       entstandene Fohlen wurde „eines der berühmtesten Tiere in der
       Naturgeschichte des 19. Jahrhunderts“ und auch seine Nachkommen wiesen noch
       interessante Streifenmuster auf.
       
       Aber nach dem Tod des Quaggahengstes wurde es noch interessanter: Lord
       Morton verkaufte seine braune Araberstute, und der neue Besitzer ließ sie
       wiederholt von einem schwarzen Araberhengst decken. Dabei kam heraus, dass
       ihre zwei Fohlen eine „auffallende Ähnlichkeit mit den Quaggas“ aufwiesen.
       Wie war das möglich? Da mussten selbst beinharte Verfechter der Genetik
       (wie August Weismann, der nur eine „Kontinuität des Keimplasmas“ gelten
       ließen) „Nachkommen aus der Entfernung“ (Telegonie) für möglich halten,
       denn das Phänomen war nicht einzigartig. Eine Weile war die Telegonie dann
       laut Gould sogar „ein Hauptgegenstand der Forschung“. Für ihn gilt jedoch:
       „Streifen entstehen nicht aus einer geheimnisvollen vorhergehenden
       Zebrabeeinflussung, sie stellen einen möglichen Entwicklungsweg für alle
       Pferde dar.“
       
       Damit sind jedoch noch nicht die Streifen der drei afrikanischen Zebraarten
       erklärt. In den Fünfzigerjahren gab der Frankfurter Zoodirektor Bernhard
       Grzimek den entscheidenden Hinweis. Er kümmerte sich damals finanziell und
       politisch um eine Ausweitung und Absicherung des Nationalparks „Serengeti“
       in Tansania. Dazu zählte er die riesigen Herden, die dort weideten, mit
       einem Flugzeug, dem er wie seinem Landrover Zebrastreifen aufgemalt hatte.
       
       Für den „größten Naturschützer Afrikas“ hielt er jedoch nicht sich, sondern
       die Tsetsefliege. Dieser Blutsauger überträgt mit seinem Speichel einen
       Parasiten, der die Schlafkrankheit bei Menschen und die Nagana-Seuche bei
       ihren Nutztieren verursacht, weswegen man ein großes Gebiet, das sich
       halbmondförmig um das Kongobecken erstreckt, den Wildtieren überließ, die
       zwar auch infiziert werden, aber so gut wie immun dagegen sind.
       
       ## Versuch der Ausrottung
       
       Immer wieder versuchten die Kolonialregierungen die Fliege auszurotten:
       Indem sie Prämien für den Abschuss der Wildtiere und die Rodung von
       Plantagen zahlten, die Bevölkerung umsiedelten, die Erkrankten auf Anraten
       von Robert Koch in „Konzentrationslager“ sperrten, riesige
       Naturschutzgebiete auswiesen oder alle Bäume und Büsche an den Flüssen
       abholzten und mit Flugzeugen großflächig DDT versprühten.
       
       Neuerdings versucht es die Wissenschaft mit männlichen Tsetsefliegen, die
       man mittels Gammastrahlen sterilisierte. Bis jetzt wurde jedoch keine
       Schutzimpfung gegen den Erreger (ein Einzeller) entwickelt. Der Grund: die
       jährlich 70.000 dahinsiechenden Afrikaner sind kein lukrativer Markt, ein
       Pharmakonzern, der ein brauchbares Medikament entwickelte, vermarktet es
       nun als Enthaarungsmittel.
       
       Bernhard Grzimek experimentierte in der Serengeti mit Attrappen –
       aufblasbare Huftiere in Originalgröße, damit wollte er testen, inwieweit
       die Angehörigen ihrer Art, aber auch Raubtiere, auf die bloßen Umrisse
       eines Tieres reagieren. Der englische Veterinär Jeffrey Waage
       experimentierte dann ebenfalls mit solchen Attrappen, schwarze, graue,
       weiße und schwarzweiß gestreifte. Er wollte damit jedoch die Reaktion von
       Tsetsefliegen testen: „Die dunklen Attrappen gegen den hellen Horizont
       lösten die stärksten Anflüge aus, die zebragestreiften aber nahezu keine“,
       schreibt der Ökologe Josef Reichholf in seinem Buch „Naturgeschichten“
       (2011).
       
       ## Natur der Augen
       
       „Der Grund liegt in der Natur der Fliegenaugen. Sie sind aus Tausenden von
       Einzelaugen zusammengesetzt. Damit erfassen sie sehr schnell, sehr viel
       besser als wir Menschen, schnelle Bewegungen. Aber sie bilden Körper
       dementsprechend weniger genau ab und im Flug erst recht. Nähert sich eine
       Tsetsefliege einem auf der Savanne grasenden Zebra, löst sich beim Anflug
       der Körper optisch in Streifen auf, die nichts mehr besagen.“
       
       Woraufhin die Tsetsefliege abdreht und gleich daneben zum Beispiel ein
       graues Gnu anfliegt, denn die Zebras grasen gern zwischen ihnen. Das
       Streifenmuster tarnt sie also nicht vor Löwen, aber vor Fliegen. Deswegen
       haben Zebras auch die wenigsten Erreger der Nagana-Seuche in sich. Und
       jetzt versteht man auch, warum das Quagga nur wenige Streifen am Hals und
       an den Vorderbeinen besaß: „Seine Vorfahren hatten den Lebensraum der
       Tsetsefliege nach Süden hin verlassen. Die Streifen scheinen nun keinen
       Vorteil mehr gehabt zu haben und nahmen vermutlich von Generation zu
       Generation ab“, wie das Berliner „Museum für Naturkunde“ schreibt.
       
       Im Jahr 2013 erschien eine Aufsatzsammlung der Landschaftsplanerin der TU
       Dresden, Catrin Schmidt: „Eine Fliege macht Landschaft“. Darin weist sie
       nach, dass im Bestreben, die Fliege auszurotten und ihr Verbreitungsgebiet
       gleichzeitig den Wildtieren, unter anderem 250.000 Zebras, zu überlassen,
       eine „Kulturlandschaft“ von der Größe der DDR allein in Tansania entstand,
       das zu den „Perlen unseres Weltnaturerbes“ zählt. Damit gehört die
       Tsetsefliege „zweifellos zu den größten Hindernissen der Kolonisierung
       Afrikas“, mehr noch: „Alle bisherigen Versuche sie auszurotten, endeten mit
       einer weiteren Ausdehnung des Herrschaftsbereiches der Fliege“, die so auch
       das Überleben der Zebras sichert.
       
       22 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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