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       # taz.de -- Prozess gegen Freitaler Rechtsextremisten: Wenn der Pizzabote Böller liefert
       
       > Böller ins Auto. Sprengkörper ins Asylheim. Parteibüro verwüstet. Ist das
       > Terror? Der Prozess gegen acht Angeklagte geht in Dresden zu Ende.
       
   IMG Bild: Anschlag in Freital 2015: Die zerborstenen Fenster des Parteibüros der Linken
       
       Dresden taz | Ahmed H. sah die brennende Lunte am Fenster. Mit zwei
       Mitbewohnern saß er in der Küche, spielte Karten. Alle raus, rief einer.
       Dann explodierte der Sprengsatz, Glassplitter flogen durch den Raum, die
       Küchentür flog auf. Auch in zwei Nebenräumen krachte es, einem Mitbewohner
       flogen Glassplitter ins Gesicht.
       
       An diesem Dienstag sitzt Ahmed H. nun im Hochsicherheitssaal des Dresdner
       Oberlandesgerichts, ganz hinten, ganz am Rand. Helles Licht beleuchtet den
       eigens neu gebauten Saal, die breiten Holztische, die fünf Richter, die
       mehr als zwanzig Anwälte. Eine Glaswand schirmt sie von den Zuhörern ab.
       Genau auf der anderen Seite von Ahmed H. sitzen diejenigen, die für die
       Explosion im Oktober 2015 verantwortlich sein sollen: die acht Angeklagten.
       Ahmed H. schaut sie nicht an, er blickt starr zu den Richtern. „Traurig“
       sei der heutige Tag, sagt der junge Mann später. Weil alles wieder
       hochkommt.
       
       Ahmed H. ist trotzdem gekommen. Er will hören, wie seine Anwältin Kristin
       Pietrzyk noch einmal Bilanz zieht, nach einem Jahr im Gericht. Jeden
       Angeklagten geht Pietrzyk durch. Bis auf zwei habe niemand von ihnen
       glaubhafte Reue gezeigt, sagt sie. „Sie bereuen nichts. Ihnen war das
       Schicksal der Menschen völlig egal.“ Fast alle Angeklagten hingen weiter
       ihrer rechtsextremen Ideologie an. Es sei nun Aufgabe des Gerichts, darüber
       ein Urteil zu fällen, sagt Pietrzyk. Eines mit Signalwirkung. Eines, das
       Geflüchtete wie Ahmed H. künftig besser zu schützen vermag.
       
       Die Angeklagten reagieren auf die Ansprachen kaum. Patrick F., ein
       Blondschopf im schwarzen Hemd, angeklagt als Rädelsführer, zieht die Stirn
       kraus. Maria K., die einzige Frau, 29 Jahre, starrt an die Decke. Timo S.,
       der zweite mutmaßliche Anführer, in Hemd und Krawatte, scrollt demonstrativ
       durch seinen Laptop.
       
       ## Der Vorwurf: Rechtsterrorismus
       
       Seit März 2017 geht das so, als der Prozess eröffnet wurde. Es ist ein
       besonderes Verfahren. Der Vorwurf: Rechtsterrorismus. Denn die Attacke auf
       Ahmet H. war Teil einer ganzen Angriffsserie auf Flüchtlinge und Linke im
       sächsischen Freital, direkt vor Dresden, 40.000 Einwohner. Und sie spielte
       sich in einem Jahr ab, als mehr als 1.000 Übergriffe auf Asylheime
       registriert wurden. In Freital aber schritt die Bundesanwaltschaft ein. Und
       setzte mit ihrer Terroranklage ein Fanal.
       
       Auch an diesem Morgen werden die Angeklagten in Handschellen in den Saal
       geführt, je zwei Beamte bewachen sie, auch in den Pausen. Die Ausführungen
       von Kristin Pietzryk gehören zu den Plädoyers der Nebenkläger, der Opfer.
       Ab Mittwoch folgen die Verteidiger, im Februar könnte das Urteil fallen. Es
       könnte eine weitere Zäsur bilden.
       
       ## „Warum brennen wir den Kanaken nicht mal an?“
       
       In der letzten Woche hatte die Bundesanwaltschaft ihre Schlussworte
       gehalten. Oberstaatsanwalt Jörn Haustein zeichnete die Gewaltserie noch
       einmal nach. Wie sich die Angeklagten im Sommer 2015 zuerst auf
       Kundgebungen gegen eine Freitaler Asylunterkunft trafen. Wie sie mehr
       machen wollten, erst eine Bürgerwehr gründeten, später eine verschlüsselte
       Chatgruppe, und sich immer weiter anstachelten. „Warum schnappen wir uns
       nicht mal einen Kanacken und brennen den an?“, verliest Haustein eine
       Nachricht. Oder dass man die „Kanacken“ am „nächsten Lichtenmast
       aufknüpfen“ müsse, sie „alle töten, diese elenden Parasiten“.
       
       Die acht Angeklagten lassen diese Worte ungerührt an sich vorbei ziehen. Es
       sind: zwei Busfahrer, ein Pizzabote, ein Altenpfleger, ein
       Gleisbauer-Azubi, ein Paketzusteller, ein Gemüseschnitzer und eine
       Arbeitslose. 20 bis 40 Jahre alt, drei mit wenigen Vorstrafen. Sie sollen
       die Terrorzelle bilden.
       
       Natürlich sei das nicht die RAF, sagt Ankläger Haustein. Aber die Taten
       seien „nicht zu bagatellisieren“. Zuerst traf es das Auto von Michael
       Richter, dem Linken-Fraktionschef in Freital. Mit einem Baseballschläger
       zertrümmerten die Angreifer nachts eine Seitenscheibe, warfen Böller
       hinein. Der Wagen flog auseinander, Totalschaden.
       
       ## Eine Wirkung wie Glassplitterbomben
       
       Beim nächsten Mal legte einer der Angeklagten einen Böller an ein Fenster
       einer Flüchtlingswohnung. Glassplitter flogen durch den Raum, Teile des
       Mauerwerks brachen heraus, Schränke flogen auf. Bei einer späteren Tat
       gegen die Syrer um Ahmet H. waren es gleich drei Böller, die gleichzeitig
       gezündet wurden. Das Freitaler Parteibüro der Linken wurde verwüstet.
       Schließlich attackierte die Gruppe noch ein alternatives Wohnprojekt in
       Dresden.
       
       Wie Glassplitterbomben hätten die Böller gewirkt, teils 130-fach stärker
       als Silvesterfeuerwerk, betont Hauschild. „Die Frage nach dem ersten Toten
       war keine Frage des Ob, sondern eine des Wann.“ Die Gruppe habe sich
       konspirativ abgeschottet, alle Taten seien genau geplant gewesen. Die Opfer
       sollten aus der Region vertrieben, ein „Klima der Angst“ sollte erzeugt
       werden. Genau das, sagt Hauschild, sei Terrorismus.
       
       Elf und knapp elf Jahre Haft fordert der Oberstaatsanwalt schließlich für
       die beiden Rädelsführer Timo S. und Patrick F. Für die anderen Angeklagten
       plädiert Hauschild auf fünf bis neuneinhalb Jahre Haft. Die mutmaßlichen
       Täter zeigen kaum eine Reaktion. Einige verschränken die Arme, einer
       schüttelt den Kopf. Timo S. scherzt schon kurz darauf mit seinem Anwalt.
       Haben sie begriffen, für wie viele Jahre sie hinter Gitter verschwinden
       könnten? Die Bundesanwaltschaft aber hat ihr nächstes Signal gesetzt. Elf
       Jahre, das ist eine Ansage.
       
       ## Nur ein bisschen Angstmache, sagen die Angeklagten
       
       Gleich am Anfang des Verfahrens hatte Justin S. ausgesagt, der Jüngste.
       Stockend berichtete er, man habe die Flüchtlinge nur „erschrecken“ wollen.
       Es sei Timo S. gewesen, der die Gruppe immer weiter angespornt habe. Später
       folgte Patrick F., der Pizzabote. „Das war die Wut, die jeder in sich
       hatte, die Asylpolitik“, sagte er. Die Chats seien nicht so ernst gemeint
       gewesen, die Taten bereue er. So beteuerte es schließlich auch Rico K., der
       Gemüseschnitzer.Von einem Anschlag habe er abgeraten, wurde aber
       überstimmt. Bei einem anderen habe er nur mit im Auto gesessen, weil er
       nach Hause wollte.
       
       Die anderen Angeklagten schweigen in diesem Prozess, hatten aber zuvor bei
       der Polizei ausgesagt. Der Tenor war immer der Gleiche: Alles sollte nur
       ein bisschen Angstmache sein. Und schuld seien immer die anderen gewesen.
       
       Dabei traten im Prozess auch Polizeibeamte auf, die schilderten, was sie
       bei den Angeklagten alles gefunden hatten: Rechtsrock-CDs,
       „Stahlgewitter“-Pullover, eine Reichskriegsfahne oder zum Hakenkreuz
       geformte Kühlschrankmagneten. Timo S., der mutmaßliche Anführer, besuchte
       schon vor Jahren Neonazi-Aufmärsche. Noch aus der Haft schrieb er an einen
       Mitangeklagten, die Taten seien „nicht klug, aber geil“ gewesen. Der
       Angeschriebene ätzte zurück über die „Juden in der Justiz“. Patrick F.
       wiederum erzählte den Ermittlern ungeniert, in seinem Job habe er natürlich
       keine Pizza an Flüchtlinge ausgeliefert. Vor ihrer Festnahme traf sich die
       Truppe einst zum Gruppenfoto auf einem Berg: vermummt mit Hakenkreuzfahne.
       „Wir sind Nazis bis zum bitteren Ende“, schrieb ein Angeklagter im Chat.
       Zur Gruppe gehörten „ausschließlich die Terroristen“.
       
       Blitzradikalisierte durch die Asyldebatte? In dem Prozess entsteht ein
       anderes Bild. Eines von Angeklagten, die ihr rechtsextremes Weltbild teils
       schon länger mit sich herumtrugen. Die wussten, was sie taten. In Freital
       agierten nicht nur die Mitgerissenen der aufgeheizten Anti-Asyl-Stimmung
       von 2015. Hier agierten auch die Aufheizer selbst.
       
       So zeichnete der Prozess nach, wie Mitglieder der Freitaler Gruppe auch zu
       Pegida nach Dresden gingen. Wie sie nach Heidenau reisten, als dort Rechte
       vor einer Asylunterkunft randalierten. Ein Angeklagter war in
       Leipzig-Connewitz dabei, als Neonazis in einem ganzen Straßenzug Scheiben
       einwarfen. Das linke Hausprojekt Mangelwirtschaft in Dresden griff die
       Freitaler Gruppe gemeinsam mit der örtlichen Kameradschaft an. Auch mit
       einem NPD-Mann stand sie in Kontakt. Offenbar war das Netzwerk der
       Aufheizer eng geknüpft. Man kannte sich, hatte Handynummern, zog gemeinsam
       los, immer wieder, immer woanders. Es erklärt einiges, wie sich die
       Situation 2015 so zuspitzen konnte.
       
       ## Dem Opfer geht es „beschissen“
       
       Und, auch das zeigte der Freital-Prozess, die Taten stießen vielfach auf
       zumindest Gleichgültigkeit. Noch während der Angriffsserie erklärte
       Freitals Bürgermeister Uwe Rumberg, ein CDU-Mann, seine Stadt habe keine
       „nennenswerte Neonazi-Szene“. Anwälte berichten von der Aussage eines
       Nachbar von Michael Richter, der über diesen lapidar sagte: Wer Wind säht,
       werde eben Sturm ernten. Und die Personalchefin eines der angeklagten
       Busfahrer habe beteuert, die Einstellung ihres Angestellten interessiere
       sie nicht, solange dieser freundlich zu Kunden sei. Sie würde den
       30-Jährigen später gerne wieder einstellen.
       
       Auf der anderen Seite sagten Ahmed A. und seine drei Mitbewohner aus. Er
       hätte tot sein können, sagte einer der Syrer. Nervlich sei er nach dem
       Anschlag am Ende gewesen. Kurzzeitig wurden die Geflüchteten verlegt,
       später mussten sie in die Unterkunft zurück. Bis heute seien sie psychisch
       angeschlagen, sagen ihre Anwälte.
       
       Auch Michael Richter, der Linken-Stadtrat, sagte aus. Zu den Angeklagten
       drehte er sich nicht um. „Beschissen“ gehe es ihm, erzählte er dem Gericht.
       Zur Arbeit laufe er immer andere Wege, für sein neues Auto habe er jetzt
       einen Platz in einer Tiefgarage, an Wochenenden meide er seine Stadt. Dann
       brach Richter in Tränen aus. Als ein Oberstaatsanwalt später vom
       gebrochenen „seelischen Frieden“ Richters spricht, huscht ein Lächeln über
       das Gesicht von Maria K.
       
       Lange ging es für die Frauen und Männer auf der Anklagebank gut, zu gut.
       Die Staatsanwaltschaft sah immer nur Einzeltaten, vermochte keine Gruppe zu
       erkennen. Polizisten berichteten im Gerichtssaal, die bei den Festnahmen
       gefundene Rechtsrock-CDs hätten sie nicht beachtet, da nicht
       verfahrensrelevant. Alle Taten, so war es vorgesehen, sollten einzeln
       verhandelt werden, an Amtsgerichten. Doch dann übernahm die
       Bundesanwaltschaft.
       
       Jörn Hauschild, ihr Vertreter, sagt heute, er habe keine Kritik an den
       sächsischen Behörden, dort sei „hervorragend“ gearbeitet worden. „Man kann
       bei der Bewertung von Vorgängen auch mal unterschiedlicher Auffassung
       sein.“ Es ist der Versuch einer Ehrenrettung. Das Urteil der
       Bundesanwaltschaft aber könnte eine Wende einläuten: dass man bei Angriffen
       auf Flüchtlinge nun mit Härte zu rechnen hat, auch in Sachsen.
       
       Er hoffe auf ein „deutliches Signal“, sagt Bürgermeister Rumberg. „Dass
       extremistische Gewalt, gleich welcher Art, mit Recht und Gesetz bekämpft
       wird.“ Vor allem aber wünscht sich der CDU-Mann: dass die Stadt mit Ende
       des Prozesses „wieder zur Ruhe kommen kann“.
       
       Genau das sei das Problem, sagt Richter. Es gehe immer um Ruhe. „Es gibt in
       Freital keinen Widerspruch von oben gegen die rechte Stimmung. Es gab von
       dort auch keinen Rückhalt für mich.“ Im Dezember 2017 hat Richter Freital
       verlassen, jetzt wohnt und arbeitet er in Bayern. Er fühle sich wohl dort,
       sagt der 41-Jährige.
       
       Zum Urteil aber will er noch einmal anreisen nach Sachsen, ins
       Oberlandesgericht. Dann will Richter den Angeklagten auch in ihre Gesichter
       schauen. „Ich will sehen, wie sie vielleicht doch noch begreifen, was für
       einen Bockmist sie gemacht haben.“ Danach wird er zurück nach Bayern
       fahren. Nach Hause. Und sich dort in der Flüchtlingshilfe engagieren.
       
       23 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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