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       # taz.de -- Prozess gegen türkischen Abgeordneten: Selahattin Demirtaş darf auftreten
       
       > Nach 14 Monaten im Gefängnis ist der Vorsitzende der Kurdenpartei HDP
       > erstmals öffentlich zu sehen. Draußen demonstrieren tausende
       > Unterstützer.
       
   IMG Bild: Wichtiges Wiedersehen: Vor dem Gericht demonstrieren zahlreiche Demirtaş-Anhänger
       
       Istanbul taz | Es wurde der erwartete große Auftritt. Als Selahattin
       Demirtaş, der charismatische Vorsitzende der kurdisch-linken HDP am Freitag
       erstmals nach 14 Monaten im Gefängnis wieder in der Öffentlichkeit auftrat,
       hatte er den Beifall auf seiner Seite. Zwar beschränkte sich seine
       Öffentlichkeit auf die Zuschauer in einem Gerichtsaal in Istanbul, doch die
       erhoben sich geschlossen von den Sitzen und klatschten begeistert.
       
       Damit die Begeisterung nicht zu groß wurde, rückte direkt nach Demirtaş
       schwer bewaffnete Gendarmerie in den Saal, um den Angeklagten vom Publikum
       abzuschirmen. Doch die ließen nicht beeindrucken. „Setzen, setzen“, riefen
       sie den Soldaten zu, „wir wollen unseren Vorsitzenden sehen“.
       
       Schließlich ließ sich der Richter von der Verteidigung erweichen und
       erlaubte, dass seine Frau und die gesamte im Saal versammelte HDP-Spitze
       Demirtaş die Hand drücken und ihm teils heftige Küsse auf die Wangen
       drücken durfte. Es waren emotionale Momente des Wiedersehens nach so langer
       Abwesenheit, in der es immer wieder Gerüchte um das Wohlergehen von
       Demirtaş gegeben hatte. Augenscheinlich hat er seine bisherige U-Haft aber
       unbeschadet überstanden: Mit gewohnt strahlendem Lächeln, im dunklen Anzug
       mit weißem Hemd sah er aus wie aus dem Ei gepellt.
       
       Vor dem Gericht demonstrierten unterdessen rund 2.000 HDP Anhänger
       lautstark für seine Freilassung. Hunderte Polizisten in Kampfmontur
       verhinderten, dass sie das Gericht betreten konnten.
       
       ## Bislang gab es nur Videoschalten
       
       Dennoch drängten sich noch dutzende Leute vor den Absperrungen im
       Gerichtssaal, gerade weil Demirtaş bisher bei keinem seiner vielen Prozesse
       persönlich erscheinen konnte. Erst im Dezember, bei der Eröffnung des
       Hauptverfahrens gegen ihn, hatte die Justiz noch darauf bestanden, dass
       Demirtaş lediglich per Video in den Gerichtssaal zugeschaltet werden
       sollte, was dieser ablehnte. Als dann im Verfahren die Staatsanwaltschaft
       142 Jahre Haft forderte, konnte er selbst gar nicht darauf antworten.
       
       Am Freitag ging es dagegen um vergleichsweise wenig. Demirtaş soll wegen
       Beleidigung des Staatspräsidenten belangt werden. Während einer Rede im
       Jahr 2015 soll das geschehen sein, als Demirtaş in seiner Eigenschaft als
       Abgeordneter und Parteivorsitzender vor der Presse sprach.
       
       Demirtaş ließ sich auf den Beleidigungsvorwurf jedoch gar nicht ein. Er bat
       den Richter zuvor noch einige grundsätzliche Bemerkungen machen zu dürfen
       und legte dann los. Zunächst noch verhalten, später immer sicherer werdend,
       wirkte er bald wieder, als hielte er eine Rede im Parlament und nicht als
       Angeklagter vor Gericht. Demirtaş forderte das Gericht auf ihn
       freizulassen, weil die Aufhebung seiner Immunität im Frühjahr 2016
       unzulässig gewesen sei und er deshalb gar nicht vor Gericht stehen dürfte.
       
       „Ich habe nach wie vor meine Immunität wie alle anderen Abgeordneten auch“,
       sagte er. Das Verfahren der Aufhebung seiner Immunität und die weiterer
       HDP-Abgeordneter sei verfassungswidrig gewesen. Er forderte, diese Frage
       dem Verfassungsgericht vorzulegen.
       
       ## Verfahren auf Mai vertagt
       
       Der Richter der Kleinen Strafkammer im Bezirksgericht in Bakirköy, wirkte
       angesichts dieser Strategie von Demirtaş etwas überfordert. Er ließ ihn
       aber seine Argumente vorbringen, forderte dann aber, dem Gericht einen
       schriftlichen Antrag einzureichen und vertagte das Verfahren auf den 17.
       Mai. Das war schon mehr, als die meisten Prozessbeobachter vorher erwartet
       hatten.
       
       „Wenigstens durfte er ungehindert reden, sagte der HDP-Abgeordnete Ertuğrul
       Kürkçü am Rande des Gerichtsverfahrens. Für Demirtaş sei es vor allem
       wichtig gewesen, endlich einmal seine politischen Mitstreiter
       wiederzusehen. Im Gefängnis dürften ihn ja nur seine Anwälte und seine Frau
       besuchen. Selahattin Demirtaş hat allerdings bereits angekündigt, dass er
       bei dem Parteitag nicht mehr für den Vorsitz kandidieren wird.
       
       12 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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