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       # taz.de -- SPD und Neuwahl: Vorwärts, Zwerge!
       
       > Gegen eine Große Koalition spricht eigentlich nichts – für eine Neuwahl
       > aber alles. Das Beste, was die SPD derzeit hat, ist ihr Zwergenaufstand.
       
   IMG Bild: Sollten sie nicht vielleicht zurücktreten? Martin Schulz, Andrea Nahles und Olaf Scholz
       
       Es war vor ziemlich genau fünf Jahren, als das Ungeheuerliche geschah. In
       der morgendlichen Redaktionskonferenz der taz war aus irgendeinem Grund der
       Wunsch aufgetaucht, über die Vorgänge – beziehungsweise den Stillstand – im
       Vatikan unter Papst Ratzinger zu berichten. Auf mir ruhten dabei ein paar
       Blicke, hatte ich doch drei Wochen lang als Austauschjournalist bei Radio
       Vatikan arbeiten und den stillen Protest bewundern dürfen, mit dem meine
       Kollegen in den Dienstzimmern das Bild des verehrten Papstes Johannes Paul
       II. hatten hängen lassen, anstatt es durch das des ungeliebten Deutschen zu
       ersetzen: Der polnische Papst an der Wand war das, was vielen
       SPD-Mitgliedern noch heute ihr Willy-Brandt-Porträt ist.
       
       An diesem 11. Februar 2013 in der taz sagte ich, es täte mir leid, aber
       derzeit sei aus dem und über den Vatikan absolut nichts Neues,
       Zukunftsweisendes zu sagen. Solange Ratzinger der Sache vorstünde, sei die
       Sache heillos. Dass Ratzinger an ebendiesem Tag dann tatsächlich noch
       seinen Rückzug verkündete, hatte gewiss mehr mit dem Heiligen Geist als mit
       meiner Prognosefähigkeit zu tun – aber wir können uns doch merken: Es gibt
       historische Momente, wo das Alte schlicht wegmuss, wenn das Neue, das
       unbestimmt Erwartete, das Riskante und durchaus auch Gefährliche eine
       Chance bekommen soll.
       
       Womit wir bei der SPD sind, die als 20-Prozent-Partei inzwischen im
       Wesentlichen eine Angelegenheit der SPD-Mitglieder ist. Natürlich kann die
       SPD in eine Große Koalition eintreten, aus Staatsräson oder aus
       Besitzstandsdenken ihrer Funktionäre. Eine Katastrophe wäre eine solche
       Regierungsbeteiligung überhaupt nicht – außer für die SPD selbst.
       
       Sollte die Partei aber aus der Leichenstarre herauskommen und in den
       Aufbruch eintreten wollen, darf sie es nicht tun. Wenn sogar die absolute
       Monarchie im Vatikan das Risiko Neuwahlen nicht scheute, gibt es keinen
       Grund für den Tanker SPD, dieses Wagnis nicht auch einzugehen.
       
       Was dazu fehlt, sind eben die Rücktritte: Mit Schulz und Scholz, mit
       Gabriel, Nahles, Kahrs und Stegner an den Schalthebeln kann es keinen
       Aufbruch in der SPD geben. Diese Leute haben abgewirtschaftet und müssen
       sich andere Betätigungsfelder suchen. Das Beste, was die Partei derzeit
       hat, ist ihr Zwergenaufstand. Wenn der Erfolg hat, wird es keine Groko
       geben, und eine andere SPD wird bei Neuwahlen wenn schon nicht die
       Wählerinnen und Wähler, so doch wenigstens sich selbst wiedergefunden
       haben.
       
       ## Lehren aus den Fehlern bei der Wahl 2017 ziehen
       
       Andererseits ist es ja nun so: Die katholische Kirche und die SPD sind
       gewiss altehrwürdige und mächtige Institutionen. Aber wenn sie sich selbst
       zerlegen, anstatt sich zu erneuern, geht die Welt auch nicht unter.
       
       Neuwahlen in Deutschland böten allen die Chance, Lehren aus ihren Fehlern
       und ihrer Passivität bei der Wahl 2017 zu ziehen – um dann in erster Linie
       einen Wahlkampf und eine Wahlkampfberichterstattung zu machen, die die
       wirklichen Zukunftsthemen Klima, Bildung, Integration, Zukunft der Arbeit
       und ein Europa ohne deutsche Diktate in den Vordergrund stellen, anstatt
       den Völkischen von der AfD hinterherzuhetzen. Die Grünen übrigens, auf die
       man immer gut schimpfen kann, müssten da am wenigsten ändern.
       
       Und die soziale Gerechtigkeit? Ja, was ist eigentlich mit der sozialen
       Gerechtigkeit, die der Martin ebenso sehr beschworen hat, wie er nicht
       fähig war, den eigenen Slogan mit Inhalten zu füllen? Auch hier ist die
       frohe Botschaft eher unbequem: Soziale Gerechtigkeit ist ein Verb. Sie wird
       nicht durch Wahlen erreicht, sondern muss erkämpft werden.
       
       Wenn die deutsche Bevölkerung wirklich einen nicht nur lächerlichen Anteil
       am Boom, wenn sie ein Ende des Hartz-Regimes und eine Bürgerversicherung
       will, dann mal los, auf die Straße, in den Streik oder, warum nicht, in die
       neue Zwergen-SPD.
       
       „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“, war
       die Botschaft des geliebten polnischen Papstes Wojtyła. Wenn wir das
       säkularisieren, willybrandtisieren, dann ist das genau richtig – als Slogan
       für die Bundestagswahl 2018.
       
       16 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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