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       # taz.de -- Der Weltaneigner
       
       > Vom Anderen fasziniert: Das Bucerius-Kunst-Forum widmet sich dem
       > Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff und seiner Affinität zu Masken und
       > Figuren aus Afrika und Ozeanien
       
   IMG Bild: Fasziniert von Afrika und Ozeanien: Schmidt- Rottluffs „Stillleben um Glaskugel“ von 1952
       
       Von Hajo Schiff
       
       Die außereuropäische Kunst hat Anfang des vergangenen Jahrhunderts die
       Künstler der Moderne nachdrücklich beeinflusst. Doch dies war nur selten
       direktes Thema von Ausstellungen. Nun geht es im Bucerius-Kunst-Forum um
       einen der wichtigsten deutschen Expressionisten und seine Affinität zu
       Objekten aus Afrika und Ozeanien: Karl Schmidt-Rottluff.
       
       Alles beginnt 1909 mit einem Postkartengruß an Erich Heckel, einen Freund
       aus der 1905 gegründeten Künstlergruppe „Brücke“: Neben das Adressfeld
       skizziert der 25-Jährige eine in Hamburg gesehene weibliche Statuette aus
       Kamerun. Die Faszination solcher Figuren wird ihn lebenslang begleiten,
       während der glorreichen Jahre der „Brücke“, über zwei Weltkriege und seine
       Verfemung als entarteter Künstler bis hin zu seiner Nachkriegsprofessur an
       der Kunsthochschule in Berlin, seiner Präsenz auf der ersten Documenta und
       seinem Tod 1976.
       
       Masken und exotische Figuren prägen knapp zwei Drittel der Bilder dieser
       hauptsächlich aus Beständen des 1967 eröffneten Berliner Brücke-Museums
       zusammengestellten Ausstellung. Vier seiner Holzplastiken zeigen, wie stark
       Schmidt-Rottluff auch dreidimensional die afrikanischen Anregungen
       verarbeitete.
       
       Aber was wird damals in den außereuropäischen Artefakten gesucht? Die
       Faszination gilt weitgehend den zugleich stilisierten und ausdrucksstark
       überhöhten Formen, nicht der Komplexität einer fremden Kultur und ihren
       Ritualen. Erlebt wird die Projektion eines wilden und primitiven
       menschlichen Ausdrucks, gefunden eine antiklassische, ursprüngliche, ja
       antizivilisatorische Vision. Doch seltsamerweise wird dieses so sehr Andere
       als etwas betrachtet, dass sich durchaus aneignen und in die eigene Welt
       integrieren lässt: Die Geheimnisse der Form und die Dämonie der Dinge
       findet Schmidt-Rottluff ebenso in Muscheln oder exotischen Grünpflanzen,
       gar in Landschaftsdetails.
       
       Doch zum Frust eines jeden Sammlers liegt die Magie, die potenzielle
       Fähigkeit, eine Brücke zur Transzendenz zu sein, nicht in den Dingen
       selbst, sondern im individuellen und zeitspezifischen Blick des Betrachters
       auf die Dinge. Schmidt-Rottluff hat außereuropäische Kunst gesammelt, aber
       unsystematisch und höchst bürgerlich auf dem Regal gereiht, wie Fotos aus
       seiner Wohnung zeigen. Die Objekte werden nicht inszeniert, wie
       beispielsweise bei den französischen Surrealisten, sie dringen weit weniger
       als etwa bei Picasso in die eigene Kunst ein, ihre bildliche Darstellung
       bleibt trotz glutvoller Farbvarianten stets sehr stilllebenhaft. Es besteht
       bei Schmidt-Rottluff auch kein Wunsch, wie Gauguin oder Pechstein selbst in
       die Tropen zu reisen.
       
       Dafür hat der gebürtige Chemnitzer so manche Beziehungen zu Hamburg. Hier
       erwarb er seine exotischen Objekte, hier hatte er Sammler und Freunde wie
       den Dichter Richard Dehmel. Hier richtete er für die bedeutende Förderin
       der modernen Kunst, die Kunsthistorikerin und Sammlerin Rosa Schapire, die
       Wohnung mit Malerei, Stoffen und selbstgefertigten Möbeln ein. Und ab 1910,
       dem Zeitpunkt seiner allerersten Einzelausstellung in der Hamburger Galerie
       Commeter, hatte er für zwei Jahre ein Dachatelier in der Kleinen
       Johannisstraße.
       
       Die Ausstellung kombiniert die Kunst Karl Schmidt-Rottluffs mit zwölf
       außereuropäischen Objekten seiner Sammlung. Dabei aber wurde die Chance zu
       neuen Erkenntnissen vertan. Denn wenn Schmidt-Rottluff die in Praxis und
       Theorie damals arglos und durchaus wohlmeinend sogenannte „Negerplastik“
       nur formal rezipierte, warum wird sie heute wieder so gezeigt? Wäre es
       nicht an der Zeit, diese Artefakte nun gemeinsam mit ihrem ethnologischen
       Kontext zu präsentieren, ihnen also die ursprüngliche Bedeutung
       wiederzugeben, statt durch die neben manche Bilder gestellten Vitrinen mit
       den Plastiken nur einen freundlichen Vergleich von Vorbild und Abbild zu
       bieten?
       
       Oder, einmal provokant gefragt, wie wäre es, in konsequenter Umkehrung und
       als Rezeptionsbeispiel Ausstellungen wie diese gleich im Museum für
       Völkerkunde zu zeigen? Zwar geben einige Beschriftungen in dieser
       Präsentation die Probleme mit dem N-Wort an, erwähnen auch, dass die
       Objekte in Afrika und Ozeanien niemals in dieser hier üblicherweise
       gezeigten reduzierten reinen Form bestanden haben und verweisen auf die
       Veränderungen, die der deutsche Künstler in ihrem Abbild vorgenommen hat.
       
       Aber um was es sich dabei einst wirklich handelte, ist zwar aus dem
       empfehlenswerten Katalog in Erfahrung zu bringen, bleibt in der Ausstellung
       aber auf kürzeste Angaben beschränkt. Die außereuropäischen Artefakte
       werden weder als autonome Werke eigenen Wertes präsentiert noch in ihrem
       alten Zweck erläutert, auch die Möglichkeit bleibt unerwähnt, dass sie
       überhaupt nur für den Verkauf hergestellt worden waren: Sie verbleiben im
       subjektiven Zwischenreich des im Ausstellungsuntertitel erwähnten Fremden
       und Magischen.
       
       Den Begriff des Magischen wollen die Kuratorinnen aber viel eher auf die
       späte Malerei Karl Schmidt-Rottluffs beziehen. So sind neben dem
       Schwerpunkt zur außereuropäischen Kunst noch viel wunderbarere Bilder in
       der Ausstellung zu entdecken. Beispielsweise die fünf melancholischen
       Ruinenlandschaften des römischen Aufenthalts 1930: Sie scheinen sich in
       ihrem düsteren Leuchten weniger auf die Vergangenheit zu beziehen, sondern
       eher eine Ahnung zerstörerischer Zukünfte auszudrücken.
       
       Und da sind auch die späten, teils geradezu neongrün leuchtenden
       Mondscheinbilder des Alterswerks aus den Sechzigerjahren. Sie binden in
       einer Zeit, in der seine Art der Malerei gar nicht mehr dem abstrakten und
       konzeptuellen Zeitgeist entsprach, den so deutschen Expressionismus ganz
       eindeutig an die deutsche Romantik zurück.
       
       „Karl Schmidt-Rottluff: expressiv, magisch, fremd“: bis 21. Mai,
       Bucerius-Kunstforum
       
       27 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hajo Schiff
       
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