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       # taz.de -- Rachewestern als Tragikkomödie: Eine Frau wie John Wayne
       
       > Spiel mit dem politisch Unkorrekten: „Three Billboards Outside Ebbing,
       > Missouri“ von Martin McDonagh ist für sieben Oskars nominiert.
       
   IMG Bild: Mildred lässt drei Werbetafeln mit bedeutsamen Botschaften versehen und löst einen Eklat aus
       
       Schon das Filmplakat hat etwas Ikonografisches: Frances McDormand im
       ausgeblichenen Overall, mit ungeschminktem Gesicht, die Haare mit einem
       Kopftuch bedeckt, wie sie an einer verlassenen Straße steht. Man muss den
       Film gar nicht gesehen haben, um zu erfassen, warum er so gut „in den
       Moment“ zu passen scheint: Da ist eine Frau, die sich nicht mehr kleidet
       und frisiert, um anderen zu gefallen. Wut und Trotz gehen von ihrer Haltung
       aus, ihr Overall signalisiert dabei eine Art Proletentum: die diffuse
       Stimmung von „Frauen wehren sich“ und „Politik von unten“ zusammengefasst.
       Weshalb es auch kein Wunder ist, dass „Three Billboards Outside Ebbing,
       Missouri“ mit sieben Oscarnominierungen und etlichen bereits gewonnenen
       Branchenpreisen zu den Favoriten des Jahres zählt.
       
       Zugleich könnte das auch ein Missverständnis sein. Denn bei genauerer
       Betrachtung merkt man, dass der Film des britisch-irischen Autors und
       Regisseurs Martin McDonagh sich weit weniger auf Aktuelles bezieht, als es
       den Anschein macht. McDormand verkörpert Mildred, eine Mutter, deren
       jugendliche Tochter wenige Monate vor Einsetzen der Filmhandlung
       vergewaltigt und ermordet wurde. Die Ermittlungen sind im Sande verlaufen,
       von den Tätern gibt es keine Spur. Mildred will das nicht hinnehmen.
       
       Drei verlotterte Anzeigetafeln an einer wenig befahrenen Ausfallstraße am
       Rande des fiktiven Ebbing, Missouri, bringen sie auf eine Idee: Sie kratzt
       ihr letztes Geld zusammen und lässt sie mit Plakaten bekleben, die schwarz
       auf feuerrotem Grund die Untätigkeit der Polizei angreifen und dabei den
       lokalen Polizeichef, Chief Willoughby, persönlich benennen.
       
       Die Plakate lösen eine Kette von Ereignissen aus, die Mildred selbst nicht
       vorhersehen konnte und immer weniger im Griff hat. Denn das ist der „Kniff“
       dieses Films, an dem die Handschrift von Martin McDonagh („Brügge sehen …
       und sterben?“) deutlich erkennbar wird: Statt die Geschichte der wütenden
       Mutter einer ermordeten Tochter als „Whodunit“ zu erzählen, macht McDonagh
       daraus eine als Rachewestern verkleidete Tragikomödie, die in ihrer
       Mischung aus Sprach- und anderer Gewalt an Tarantino erinnert und doch ganz
       anders ist.
       
       ## Mit Pointen und Bluttaten traktiert
       
       Mildreds Plakate erzürnen weniger den angesprochenen Polizeichef
       Willoughby, der (gespielt von Woody Harrelson) erstens ein guter Kerl ist,
       und zweitens andere Sorgen hat. Dafür erhitzt sich dessen Untergebener
       Dixon (Sam Rockwell), ein frustrierter, ressentimentgeladener kleiner Mann,
       dem man nachsagt, einen schwarzen Insassen gefoltert zu haben. Nun fühlt er
       sich berufen, seinen Chef vor Mildreds Vorwürfen zu verteidigen und scheut
       dabei vor keinem Mittel zurück.
       
       Beinahe schon im Takt einer Screwball-Comedy mixt McDonagh Pointen und
       Bluttaten: Mildred traktiert ihre Umgebung zunächst mit scharfen Worten,
       aber als die nicht mehr helfen, greift sie zum Molotowcocktail. Überhaupt
       betritt sie Szene um Szene mit der gefühlten Breitbeinigkeit einer
       John-Wayne-Figur, immer gefasst auf ein Duell, immer quasi mit Waffe im
       Anschlag, auch wenn sie mit leeren Händen dasteht.
       
       Dabei hat sie in der sich abzeichnenden Spirale der Gewalt nicht immer das
       letzte Wort. Vielmehr verschafft der theatererfahrene McDonagh fast jeder
       seiner Figuren Gelegenheit zum Reden, durchzogen von Flüchen, endlosen
       Variationen auf „Fuck“ und Schlagfertigkeiten wie diese: „Wenn wir jeden
       Polizisten mit rassistischen Tendenzen entlassen würden, blieben vielleicht
       drei übrig – und die hätten was gegen Schwule“, so Chief Willoughby.
       
       Dieses Spiel mit den Mitteln des politisch Unkorrekten, in der Sprache
       genau wie in den Gewaltszenen, haben dem Film auch Feinde eingebracht.
       Tatsächlich behandelt er die wenigen Figuren, die nicht weiß sind, eher als
       Beiwerk. Am meisten irritiert in diesem Kontext der von Sam Rockwell
       gespielte Dixon, den das Drehbuch vom rassistischen Cop zum „doch auch
       anständigen“ Menschen läutert.
       
       Oder nicht? Im vielleicht besten Auftritt seiner Karriere gelingt es
       Rockwell, diesen Dixon nicht als „eigentlich ganz sympathisch“ zu spielen,
       sondern ihn als jemand zu zeigen, der permanent Wut verspürt, weil er sich
       in jeder Hinsicht unterlegen fühlt. Rockwell streicht den Widerling in
       Dixon heraus, dessen Dummheit, Erbärmlichkeit und Schwäche. Aber als sich
       herausstellt, dass Dixon seinerseits ein Misshandelter ist, setzt Rockwell
       weniger auf das Mitgefühl des Zuschauers, als dass er ihm das Hingucken
       abverlangt.
       
       Es ist die Nähe zu Dixon, die schließlich klarmacht, dass Mildred in ihrem
       ebenfalls fast blinden Rachebedürfnis nicht die Posterfrau für den heutigen
       Moment ist – und „Three Billboards“ weniger von der Revolte gegen
       patriarchale Verhältnisse erzählt, sondern mehr von biblischen Dingen wie
       Schuld, Vergeltung und Vergebung.
       
       24 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Schweizerhof
       
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