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       # taz.de -- Mietenbewegung in Berlin: Selbstbewusst auf der Suche
       
       > Überall in der Stadt organisieren sich Menschen gegen hohe Mieten. Doch
       > das letzte große, gemeinsame Projekt der Bewegung ist eine Weile her –
       > das soll sich ändern.
       
   IMG Bild: 85 Prozent wohnen in Berlin zur Miete, in den Innenstadtbezirken sind es bis zu 98 Prozent
       
       Der Name mag zunächst irritieren: „Rotes Berlin: Strategien für eine
       sozialistische Stadt“ heißt die Broschüre, die die außerparlamentarische
       Gruppe Interventionistische Linke (IL) am Mittwochabend auf der
       Abschlussdiskussion ihrer gleichnamigen Veranstaltungsreihe veröffentlicht
       hat. Es geht darin aber nicht um rückwärtsgewandte Stadtplanungsentwürfe
       für die Liebhaber von Großwohnanlagen und Plattenbaumeeren. Sondern um die
       große, drängende Frage in dieser Stadt, in der 85 Prozent der Einwohner zur
       Miete leben: Wie müsste eine Stadtpolitik aussehen, die nicht für
       Investoren, sondern für Menschen gemacht ist?
       
       Auf 45 Seiten dekliniert die Broschüre durch, was Bestandteile einer
       solchen Stadtpolitik sein könnten, in denen Wohnraum keine Ware, sondern
       ein soziales Recht wäre (siehe Kasten). Die IL will damit zu einer Debatte
       beitragen, die sie vermisst: „Anders als viele Mieterinitiativen, die aus
       unmittelbarer Betroffenheit heraus kämpfen, haben wir das Privileg, den
       Blick auf das landespolitische Ganze lenken zu können“, erklärt die
       Vertreterin Susanna Raab am Mittwoch auf dem Podium im Aquarium am
       Kottbusser Tor.
       
       Die Situation dafür ist günstig: Der Mietenvolksentscheid 2015 hat der
       stadtpolitischen Szene einerseits einen gewaltigen Schub gegeben,
       andererseits viele Fragen offengelassen, die Erwartungen an eine nächste
       landesweite Kampagne schüren. Gleichzeitig kann sich der rot-rot-grüne
       Senat vor außerparlamentarischen Forderungen nicht mehr so verschließen,
       wie es die Vorgängerregierung noch praktizierte. Die VertreterInnen der IL,
       von Kotti&Co und der Initiative Bizim Kiez sowie die Linken-Abgeordnete
       Katalin Gennburg finden am Mittwochabend auf dem Podium sehr wohl lobende
       Worte füreinander – auch wenn das Verhältnis nicht spannungsfrei ist.
       
       Gennburg, deren Partei in Stadtentwicklungsfragen in dieser Woche scharf
       von der SPD attackiert wurde, hält sich mit Kritik an den eigenen
       Koalitionspartnern zurück. Sie erwähnt zwar den „ordentlichen
       Nackenschlag“, den die SPD der Linken verpasst habe, stärker aber betont
       sie zwei andere Faktoren, die den Handlungsspielraum progressiver
       Stadtpolitik begrenzen würden. Zum einen verweist sie immer wieder darauf,
       wie wenig auf landes- und wie viel auf bundespolitischer Ebene zu ändern
       sei.
       
       Zum anderen beschwört sie die Bedrohung, die die Opposition von FDP bis AfD
       für linke Stadtpolitik ausmache. „Die Debatte driftet in der Stadt sehr
       weit auseinander“, sagt sie und erzählt kurz auch davon, wie kürzlich auf
       einer Veranstaltung des Airbnb-Homesharing-Clubs wütende Gäste gefordert
       hätten, der Senat solle nicht Ferienwohnungen, sondern den Zuzug von
       Flüchtlingen verbieten, um das Wohnungsproblem zu lösen. 500 Meter
       Luftlinie von der heutigen Veranstaltung entfernt.
       
       Gerade wegen dieser Angriffe, halten die anderen PodiumsteilnehmerInnen
       entgegen, müsse linke Stadtpolitik umso mehr in die Offensive gehen. Das
       Selbstbewusstsein dafür ist da. Die zahlreichen neuen und alten
       stadtpolitischen Initiativen in Berlin sind gut vernetzt, sie haben sich
       fachliches Know-how erarbeitet und helfen sich gegenseitig.
       Modernisierungsumlage, Grunderwerbsteuer, Share Deals und Vorkaufsrecht –
       die Fachbegriffe fliegen nur so durch den bis zum Bersten gefüllten Raum,
       und trotzdem scheinen die meiste Zeit alle zu wissen, worüber gerade
       gesprochen wird.
       
       Dass die Vernetzung im Kiez, die hier mal Basisarbeit, mal Community
       Building genannt wird, wesentliche Grundlage der eigenen Stärke ist,
       bestreitet dabei niemand. Bleibt die Frage nach dem nächsten übergreifenden
       Projekt, mit dem die Bewegung ihre Ziele vorantreiben will. Wenn
       Volksentscheide ein probates Mittel und Steuerfragen ein wichtiges
       landespolitisches Instrument sind, wie wäre es dann mit einem
       steuerrechtlichen Volksentscheid, auch wenn das alles andere als sexy
       klingt?
       
       Oder müssen die privaten Immobilienriesen unter Druck gesetzt werden, mit
       einer „Deutsche Wohnen enteignen“-Kampagne etwa, auch wenn man dabei gegen
       einen übermächtigen Gegner ins Feld zöge? Das wird in diesen Wochen
       debattiert – 2018 dürfte ein spannendes Jahr werden für Berliner
       Stadtpolitik.
       
       25 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malene Gürgen
       
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