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       # taz.de -- Debatte Sexuelle Belästigung: Die Kommunikationsverweigerer
       
       > In der #MeToo-Debatte wird gerne geklagt: Sollen Männer jetzt auch noch
       > Gedanken lesen? Ja, das sollten sie – untereinander tun sie es längst.
       
   IMG Bild: Ein Großteil unserer Kommunikation ist nonverbal. Unter Männern ist es völlig normal, auf diese Signale zu achten
       
       „Ja, sollen Männer denn nun Gedanken lesen können?“, fragt seit Beginn der
       #MeToo-Kampagne ein millionenstimmiger Klagechor, insbesondere im Netz.
       Letzter Auslöser dafür war [1][ein Artikel im Onlinemagazin] Babe. Darin
       berichtet eine Frau von ihrem Date mit dem Comedian Aziz Anzari und wie
       dieser nonverbale Nein-Signale ignoriert habe. Immer wieder küsste er sie,
       drängte zu sexuellen Handlungen. Als sie Widerwillen äußerte, bedrängte er
       sie erneut, allerdings ohne sie zu zwingen.
       
       Es gibt mehrere gute Gründe dafür, dieses Öffentlichmachen von
       Aziz’Verhalten falsch zu finden. Zum einen ist es wichtig, zwischen
       sexualisierten Übergriffen und dem Ignorieren von Signalen zu
       unterscheiden. Und da das öffentliche Beschämen per Online-Artikel ein
       brutales Mittel ist, sollte es wohl auch nur bei sexualisierter Gewalt
       genutzt werden. Auch wird der so wichtigen #MeToo-Bewegung möglicherweise
       mit dieser Vermischung eher geschadet als genützt.
       
       Das ist wahrscheinlich wahr. Aber eindeutig ist es nicht, weil es derzeit
       sehr wohl um die Tatsache geht, dass zum Sex verbales oder nonverbales
       Einverständnis gehört. Und wer behauptet, dazu müsse jemand Gedanken lesen
       können, der stellt sich dumm.
       
       Ich schreibe das hier als Mann, gerichtet an andere Männer:
       Selbstverständlich können wir Gedanken lesen. Das kann nämlich jeder
       gesunde Mensch. Wir tun es dauernd. Wir achten auf die Spannung der Lippen,
       ob das Gegenüber misstrauisch oder freundlich schaut, wir interpretieren
       die Neigung des Kopfes, registrieren die Körperspannung des Gegenübers und
       wie viel Abstand sie oder er zu uns einhält.
       
       ## Körpersprache entschlüsseln
       
       Ein Großteil unserer Kommunikation ist nonverbal. Das zu leugnen, ist
       ignorant bis böswillig. Unter Männern ist es völlig normal, auf diese
       Signale zu achten. Jemandem in der Kneipe zu nahe zu kommen und dessen
       Unwillen zu ignorieren, gilt als unverschämt. Man überfällt sich nicht
       gegenseitig wie ein Räumpanzer, der einen dauernd anfasst und mit der
       eigenen Lebensgeschichte volllabert. Wer den anderen zu einem expliziten
       „Geh mir mal vom Leib“ nötigt, ist oft kurz davor, eins auf die Nase zu
       kriegen.
       
       So weit kommt es allerdings nur selten, weil wir untereinander unsere
       natürliche Gabe nutzen, Körpersprache zu entschlüsseln. Ob ein intensiveres
       Gespräch möglich ist, signalisieren wir uns gegenseitig hauptsächlich
       darüber. Das Gegenüber lächelt, öffnet sich (körperlich) und steigt in das
       Gespräch aktiv mit ein. Es gilt unter Männern als angemessen, auf
       ungebetene Zudringlichkeiten ruppig zu reagieren. Frauen wird diese
       Ruppigkeit dagegen oft als „zickig“ ausgelegt.
       
       Dabei tut es nichts zur Sache, dass manche Frauen gemischte Signale senden
       oder selbst Signale ignorieren. Ein solches Verhalten ist ätzend, aber
       nicht die Regel. Ich kenne keinen Mann, dessen Grenzen ständig von allen
       möglichen Frauen missachtet werden. Unter dieser Missachtung leiden dagegen
       viele Frauen. Es sind nicht die sogenannten „Zicken“, die freundliches
       Flirten sabotieren, sondern es sind die Gedankenlese-Verweigerer, die uns
       alle unfreier machen. Eine Sorte Männer, die sich weigert zu verstehen,
       dass Begehren nicht unbedingt ein Kompliment ist.
       
       Eine bestimmte Art des Begehrens sieht den Körper einer Frau als etwas, das
       man haben und nehmen will, wie etwas Köstliches zu essen oder Geld. In
       diesem Fall wird das „Nachgeben“ einer Frau schnell zur Unterwerfung. Er
       hat dann „erobert“, also in Besitz genommen. Auf der Straße heißt „ich
       ficke dich“ nicht umsonst „ich mach dich fertig“. Es sind diese
       Verweigerer, die das fördern und es damit auch für andere Männer, die auf
       ihr Gegenüber achten, schwerer machen.
       
       ## Die kleinen Schritte
       
       Solche Männer sind es auch, die aus der Erfahrung, dass manche Frauen das
       Spiel mit Unterwerfung und Dominanz lieben, schließen, Frauen hätten einen
       angeborenen Wunsch, „genommen“, also unterworfen zu werden. Von diesem
       Mythos lebt ein Großteil der immer noch wachsenden „Pick-up“-Szene.
       Ignorante Männer, die nicht verstehen wollen, dass es beim Spiel mit
       Unterwerfung im Kern um Vertrauen, Freiwilligkeit und Hingabe geht, also
       das Gegenteil von Unterwerfung.
       
       Mit ihrer Haltung machen sich diese Männer in jedem Sexclub Berlins, vom
       Insomnia bis zum Kitkat, lächerlich. Sie pressen ohne jede vorherige
       (nonverbale) Kommunikation Frauen, deren Körper sie wollen, ihre Hüfte an
       den Hintern und nennen das „Antanzen“. Sie walzen durch die Klubs wie
       Panzer, bedrängen Frauen und vergiften die Stimmung.
       
       Dabei ist das gar nicht nötig. Ich habe in vielen Jahren Berliner
       Nachtlebens nie erlebt, dass ein respektvolles Ansprechen gleich zu einem
       sexuellen Übergriff verzerrt wurde. Schlimmstenfalls ertönt ein
       unfreundliches „Verpiss dich!“, und das war es. Eigentlich ist es einfach:
       Wenn dich jemand interessiert, mache kleine Schritte, achte auf die
       Reaktion des Gegenübers – und respektiere sie. Ich erlebe an jedem
       einzelnen Klubabend Männer, die den alten Satz, den jeder Mann kennt, für
       bare Münze nehmen: „Wenn du eine abbekommen willst, sprich einfach alle
       Frauen im Raum an. Und wenn das nicht klappt, frag noch mal. Irgendeine
       sagt dann schon ja.“
       
       Angeblich funktioniert das. Aber damit machen diese Leute allen anderen das
       Leben schwer. Es stimmt auch: Manche Frauen haben kein großes Problem mit
       diesem Verhalten. Ihnen fällt es leicht, sich abzugrenzen. Die meisten
       leiden aber darunter. Und daran sind eben die umherschweifenden Flirtpanzer
       schuld. Und hier sprechen wir noch nicht einmal über so
       grenzwertig-übergriffige Fälle wie den Anzaris. Männer müssten es besser
       wissen, denn auch unter Männern bringt das Ignorieren von Signalen schnell
       Ärger ein.
       
       Sexuelle Freizügigkeit ist eine gute Sache. Aber die funktioniert nur auf
       der Grundlage von Achtsamkeit und Respekt, also auch darauf, dass wir
       unsere Fähigkeit nutzen, Gedanken zu lesen.
       
       3 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://babe.net/2018/01/13/aziz-ansari-28355
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Houssam Hamade
       
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