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       # taz.de -- Sozialisten in den USA: „Ein Kampf von unten nach oben“
       
       > Die Democratic Socialists of America (DSA) sind die größte sozialistische
       > Organisation der USA. Ein Gespräch über die Arbeiterklasse von heute.
       
   IMG Bild: Die DSA organisiert mit anderen Organisationen den internationalen Frauenstreik am 8. März
       
       taz: Herr Stephens, Sie sind im Vorstand der DSA. Was ist für Sie
       sozialistische Politik im 21. Jahrhundert? 
       
       R. L. Stephens: Die Frage habe ich mir auch oft gestellt. Doch am Ende kann
       man sie nur gemeinsam beantworten, [1][deswegen habe wir eine Kampagne
       namens Basisbildung ins Leben gerufen]. Wir versuchen Menschen, die denken
       wie wir, in unsere Ortsgruppen einzuladen und gemeinsam mit ihnen zu
       entscheiden, womit wir uns beschäftigen werden. Je diverser diese
       Diskussion geführt wird, desto ehrlicher wird am Ende unser Konzept vom
       Sozialismus sein. Das muss ein Prozess von unten nach oben und nicht
       umgekehrt sein.
       
       Können Sie ein Beispiel geben? 
       
       Stephens: Wir entwerfen nicht nur einen neuen Plan, wie eine
       Krankenversicherung aussehen könnte, sondern wir hören uns unterschiedliche
       Ideen an, bringen Menschen zusammen. Wir entwickeln zusammen aber mehr als
       nur unser Konzept einer Krankenversicherung. Wir lassen kollektive
       Gegenmacht entstehen. Auch das ist schon eine Klassenfrage. Die
       Arbeiterklasse setzt sich aus verschiedenen sozialen Milieus zusammen und
       wir wollen uns von Anfang an so organisieren. Es geht um Gender und Race,
       es geht aber auch darum, wo Menschen leben, ob in Städten oder auf dem
       Land, auf einem Campus oder in einem Armenviertel.
       
       Frau Alcazar, Sie gehören zu den Zehntausenden, die im letzten Jahr neu in
       die DSA eingetreten sind. Warum? 
       
       Magally „Maga“ Alcazar: Ich habe mich schon während des
       [2][Bernie-Sanders-Wahlkampfs] für die DSA interessiert, damals sind ja
       schon viele eingetreten. Ich war aber noch abgeschreckt, schließlich ist
       die DSA eine Organisation für weiße Menschen aus der Mittelschicht. Ich
       selber komme aus der Arbeiterklasse, meine Vorfahren kommen aus Mexiko. Ich
       hatte das Gefühl, das ist nichts für mich.
       
       Was hat sich dann geändert? 
       
       Alcazar: Ich habe mitbekommen, welche Themen eine Rolle spielen, aber auch
       wie die DSA-Mitglieder das Leben der Menschen konkret verbessern. Es gibt
       zum Beispiel eine Street-Watch-Kampagne. Ein paar Leute beobachten die
       Straßen in Armenvierteln und reagieren sehr schnell, wenn die Polizei
       anrückt, um zum Beispiel Obdachlosencamps zu räumen. Oder sie geben
       Workshops, in denen sie erklären, wie man Konflikte klärt, ohne die Polizei
       zu rufen. Da wo ich herkomme, hat es schließlich weitreichende Folgen, wenn
       die Polizei kommt. Gleichzeitig führen sie aber auch strategische
       Diskussionen und fragen sich, welche Rolle eine sozialistische Organisation
       in Amerika heute spielen kann. Die Mischung hat mich angesprochen.
       
       Haben Sie sich davor auch schon politisch engagiert? 
       
       Alcazar: Ich bin schon länger in der Mietenbewegung in Los Angeles aktiv.
       Es steht bei uns wirklich schlecht um die Rechte der Mieter, aber die
       Anti-Gentrifizierungs-Bewegung ist ein Hoffnungsschimmer, sie ist groß und
       sehr gemischt. Ich finde aber auch, dass das alleine nicht reicht, um
       wirklich etwas zu ändern. Wir müssen nicht nur die Miete in Frage stellen,
       sondern auch den Kapitalismus.
       
       Eine wichtige landesweite Aktion, die am 8. März ansteht, ist der
       internationale Frauenstreik, den die DSA mitorganisiert. Wie gehen Sie das
       an? 
       
       Alcazar: Gerade organisieren wir ein breites Bündnis aus traditionellen
       Gewerkschaften, wie zum Beispiel Lehrergewerkschaften. In vielen Gemeinden
       gibt es Treffpunkte für Arbeiter, viele von ihnen sind prekär und
       unorganisiert, mit denen arbeiten wir auch zusammen. Organisationen wie
       „Pussy Strikes Back“ und feministische Anti-Trump-Organisationen sind, wie
       im letzten Jahr, auch wieder dabei. Es gibt viele unorganisierte Frauen,
       [3][die durch #metoo politisiert wurden], die mitmachen, außerdem viele
       sozialistische Organisationen, Gruppen, die für einen Mindestlohn kämpfen,
       oder Studierende.
       
       Und wie wird der Streik konkret aussehen? 
       
       Alcazar: Frauen arbeiten in Amerika zu 80 % in prekären
       Arbeitsverhältnissen. Der klassische Fabrikstreik fällt also weg. Wir
       denken über Mischformen aus Arbeits- und Reproduktionsstreiks, Boykotten
       und Blockaden nach.
       
       Stephens: Unsere Kämpfe müssen unsere Vorstellung einer Arbeiterklasse von
       heute widerspiegeln; und so widersprüchlich es ist, kann Arbeit alleine
       eben nicht das verbindende Moment einer kämpferischen Klasse im heutigen
       Amerika sein. Einfach, weil so viele Menschen heute keine Arbeit mehr
       finden, und darunter sind eben vor allem Frauen. Das heißt, Arbeit spielt
       immer noch eine große Rolle, aber die Organisation kann auch rund um andere
       Fragen passieren. LGBTIQ-Menschen haben andere Probleme als Bauern,
       trotzdem gehören sie zur unterdrückten Klasse. Wir müssen offen sein. Eine
       Frau, die zu Hause mit ihrem Baby sitzt, muss sich genauso organisieren
       können wie jemand in einem Call-Center. Studierende sind wirklich wichtig,
       denn die meisten haben heute hohe Schulden, wenn sie aus der Universität
       kommen. Ich zum Beispiel! Ich habe Zehntausende Dollar Schulden.
       
       Wollen Sie eigentlich eine Partei werden? Eine linke Alternative zu den
       Demokraten? 
       
       Alcazar: Ich glaube, wenn die DSA weiterwächst, wird das eine Diskussion
       sein, die wir führen müssen. Sie schwelt auch schon, aber es ist noch nicht
       die Zeit dafür.
       
       Stephens: Ich persönlich finde es wichtig, dass die DSA nicht nur
       unabhängig von der Demokratischen Partei bleibt, sondern auch unabhängig
       vom Parlament selbst. Ich glaube nicht, dass im Kapitalismus eine linke
       Regierung möglich ist. Schauen Sie sich nur Syriza in Griechenland an. So
       wird es allen gehen!
       
       Warum haben Sie sich eigentlich die DSA ausgesucht? Es gibt zahlreiche
       sozialistische Organisationen in den Vereinigten Staaten, die man von innen
       heraus ändern könnte. 
       
       Alcazar: Wir sind ja nicht die einzige sozialistische Organisation, die
       wächst. Das ist ein allgemeiner Trend im ganzen Land!
       
       Stephens: Die basisdemokratische Struktur der DSA hat eine große Rolle
       gespielt: Uns war klar, dass wir hier unsere Politik von unten aufbauen
       können. Viele können mitmachen, auf nationaler Ebene in den Versammlungen,
       auf lokaler Ebene in den Ortsgruppen. Die DSA ist bis zu einem gewissen
       Grad offen für Nichtmitglieder. Und der Mitgliedsbeitrag ist extrem
       günstig. Bei vielen anderen Gruppen muss man sich sogar bewerben!
       
       Legen Sie eigentlich in allen Gegenden in Amerika an Mitgliedern zu? 
       
       Alcazar: In großen Städten wie New York oder Los Angeles gibt es
       mittlerweile zahlreiche Gruppen in jedem Bezirk. Gerade nach den Vorfällen
       in Charlottesville haben wir viele neue Mitglieder bekommen, die etwas
       gegen die Rechte unternehmen wollen. Nicht nur junge Leute. In
       Charlottesville selber sind 60-jährige aufgetaucht und haben gesagt: „Mir
       reicht’s! Ich will was machen!“
       
       Stephens: Es gibt viele neue Mitglieder, die noch gar nicht in Gruppen
       organisiert sind. Ich versuche gerade herauszufinden, was die Gründe dafür
       sind, ob sie in abgelegenen Gegenden wohnen, ob sie Hemmungen haben oder ob
       ihnen die Themen nicht zusagen.
       
       Wie stehen Sie überhaupt zu den Antifa-Gruppen, die sich überall im Land
       gründen? 
       
       Alcazar: Ich finde das großartig. Wir müssen uns noch viel mehr mit der
       Politik der extremen Rechten auseinandersetzen. In Kalifornien gibt es zum
       Beispiel die Minute Men, eine rechtsextreme Organisation, die seit Jahren
       in lokalen Regierungen in Kalifornien sitzt und durchgesetzt hat, dass
       Menschen ohne Papiere, also Illegale, nicht mehr zum Arzt gehen können oder
       dass ihre Kinder nicht in die Schule dürfen. Wir reden über die Alt-Right,
       als wären sie ein neues Phänomen, aber wir haben sie nur zu lange nicht
       ernst genommen. Sie sind jetzt eben auch auf nationaler Ebene aktiv.
       
       Fühlen Sie sich manchmal hoffnungslos, [4][seit Trump im Amt ist]? 
       
       Alcazar: Eigentlich nicht. Es gibt genug Grund zur Hoffnung. Vor ein paar
       Monaten war ich mit ein paar Genossen aus der DSA bei einem Aufmarsch der
       Alt-Right in Chicano Park in San Diego und wir haben sie vertrieben. Ich
       finde es wichtig und gut, dass Richard Spencer einen auf die Nase bekommen
       hat. Es ist wichtig, dass wir auf jeder Ebene Widerstand leisten und neue
       Ideen entwickeln. So schlimm es gerade unter Trump ist, so großartig ist
       die Solidarität. Gruppen, die früher verfeindet waren, arbeiten jetzt
       zusammen. Die Stimmung ist nicht schlecht. Es bewegt sich was. Wir bewegen
       uns.
       
       31 Jan 2018
       
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