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       # taz.de -- Sachsens Ministerpräsident und Rechte: Retter der „freien Rede“
       
       > Michael Kretschmer spricht in Dresden vor Studierenden. Dort verdeutlicht
       > er den ambivalenten Kurs der CDU gegenüber der extremen Rechten.
       
   IMG Bild: Michael Kretschmer, seit Herbst 2017 neuer Ministerpräsident von Sachsen
       
       Dresden taz | Eine halbe Stunde hatte Sachsens neuer Ministerpräsident
       Michael Kretschmer (CDU) am Dienstagnachmittag in der Dresdner TU
       gesprochen, als er zum ersten Mal spontanen Applaus bekommt: „Beim Thema
       Asyl ist es durchaus legitim zu sagen: Mir ist das jetzt zu viel, ich sehe
       das nicht ein, mir ist das zu teuer. Diese Diskussion haben wir 2015 nicht
       zugelassen.“
       
       Michael Kretschmer spricht zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt
       öffentlich über seine Vorstellungen von Migration und dem Umgang mit
       Rechtspopulismus und 500 Menschen hören ihm zu.
       
       Er bekennt sich zur Einwanderung („dieses Land kann seinen Lebensstandard
       sonst nicht halten“), zum Grundrecht auf Asyl („wir müssen solidarisch
       sein“) und zu ARD und ZDF („Inseln der Verlässlichkeit“), denen die AfD
       bekanntlich ans Leder will. Doch Kretschmers Behauptung, die Asyldiskussion
       sei „nicht zugelassen“ worden, hat es in sich. Sie ist symptomatisch für
       den ambivalenten Kurs, den Sachsens CDU seit jeher gegenüber der extremen
       Rechten fährt.
       
       Die Asylmigration 2015/2016 nennt er die „besondere Katastrophe“ der
       vergangenen Legislaturperiode. Die einzigen Pegidisten, die in seiner Rede
       Konturen bekommen, sind Zittauer Christen, „engagiert in Flüchtlingsarbeit
       und in der CDU“ und trotzdem „jeden Montag bei Pegida“. Dies stellt er als
       legitime Reaktion auf „nicht beantwortete Fragen“ hin. So will er mit der
       traditionellen, bürgerlichen CDU versöhnen.
       
       ## Pegida als Chance?
       
       Die Fragen, die RechtspopulistInnen aufgeworfen hätten, „bringen uns
       weiter“, sagt er und spricht von einer „Chance, dass jetzt Sachen
       angerissen werden, dass Menschen sich für politische Prozesse
       interessieren“. Die rechten Aufwallungen deutet er als
       Modernisierungsprogramm für den Konservatismus, in eine Diskursbereinigung
       um, die dem Land „geholfen hat, sich darüber klar zu werden, was es ist“.
       
       Zur Erläuterung erinnert er an eine Berliner Schule, an der Lehrer einst
       versucht hätten durchzusetzen, dass „Deutsch gesprochen wird“. Damals sei
       mit ihnen angeblich „kritisch argumentiert worden“, ob das richtig sei.
       Heute aber habe sich die Gesellschaft darauf verständigt, „wie viel
       Multikulti wir wollen“ – Pegida sei Dank.
       
       Kretschmer blendet komplett aus, welche Dynamik im Gang ist. Rechte
       Terrorgruppen wie in Freital, Brandanschläge, körperliche Angriffe – das
       benennt er in seinem sonnigen Panorama des sächsischen Gemüts nicht. Zu den
       Ergebnissen des Sachsen-Monitors, die zutiefst rassistische Einstellungen
       in großen Teilen der Bevölkerung zeigen, sagt er: „Das gefällt mir nicht,
       aber ich muss das zur Kenntnis nehmen.“ Er wolle, ganz guter Demokrat, mehr
       „erklären“, und mehr abschieben, wegen der „gesellschaftlichen Mehrheiten.
       Antworten geben, „so wie jetzt bei den Sondierungen“.
       
       ## Journalisten seien „keine Gedankenwächter“
       
       Doch er verkennt, welche Wirkung es hat, wenn Politiker wie er Wutbürgern
       Deutungshoheit zubilligen, und zugestehen, es sei ja schon viel
       schiefgelaufen und es sein „Diskussionen nicht zugelassen“ worden. Das
       nährt die rechte Fraktion, der nicht nach bürgerlichem Konservatismus ist.
       Wie wenig solch Appeasement dazu taugt, sie in den Schoß der Union zu
       führen, zeigt sich in der anschließenden Diskussion.
       
       Die erste Wortmeldung kommt von einem Herrn, darauf hinweisen möchte, dass
       die „freie Rede“ immer noch unterdrückt werde: „1,5 Millionen Menschen
       durften kommen, die noch nie Steuern gezahlt haben“, und die Presse
       verschweige alles. Er zeigt ein Buch hoch, das er zur Lektüre empfiehlt. Es
       heißt „Gedankenwächter“. Ein Pegida-Anhänger beschreibt darin, wie Eliten
       die Deutschen angeblich in den Volkstod treiben.
       
       Kretschmer entgegnet dem Mann, Journalisten seien „keine Gedankenwächter,
       sondern auch nur Menschen“ und 2015 seien „Fragen gestellt worden“, die
       viele Menschen „überfordert“ hätten. So will er die Rechtspopulisten
       zurückgewinnen – und behauptet gar, dieser Prozess sei nun im Wesentlichen
       abgeschlossen: Ein „Stresstest, den wir bestanden haben, auch wenn er noch
       nicht zu Ende ist“. Für die AfD fängt er gerade erst an.
       
       17 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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