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       # taz.de -- „Islamischer Staat“ und Taliban: Der afghanische Terrorwettbewerb
       
       > Getreue des IS machen in Afghanistan den Taliban Konkurrenz. Sie sind
       > brutaler und internationaler. Beide Gruppen wetteifern im Blutvergießen.
       
   IMG Bild: Soldaten oder Frauen – weder Taliban noch IS sind zimperlich bei ihren Anschlägen
       
       Berlin taz | Es ist der 28. Dezember 2017, Jahrestag des sowjetischen
       Einmarsches in Afghanistan vor 38 Jahren. In einem von Iran finanzierten
       Bildungszentrum im Westen der afghanischen Hauptstadt Kabul findet eine
       Diskussionsrunde statt. Die Teilnehmer: vor alle schiitische Jugendliche.
       Mittendrin [1][zündet einer der Zuhörer eine Sprengstoffweste], reißt 41
       Menschen mit in den Tod und verletzt viele andere. Der afghanische Ableger
       des Islamischen Staats (IS) bekennt sich.
       
       Fast vier Wochen später, am 20. Januar 2018, stürmt ein Kommando in
       gestohlenen Armeeuniformen das große Kabuler Intercontinental-Hotel, in dem
       gerade IT-Spezialisten der afghanischen Regierung tagen. Die sechs
       Bewaffneten bringen viele Ausländer um, zumeist Crews einer privaten
       afghanischen Fluggesellschaft, Ukrainer, Venezolaner, Mittelasiaten.
       Insgesamt 40 Menschen fallen dem Massaker zum Opfer, darunter eine
       60-jährige Deutsche, die für einen kleinen Hilfsverein arbeitet. Für diesen
       Angriff [2][übernehmen die Taliban die Verantwortung].
       
       Am 23. Januar, drei Tage danach, ist wieder der IS an der Reihe. Im
       ostafghanischen Dschalalabad dringen Bewaffnete in das Büro der
       Kinderhilfsorganisation Save the Children ein und stürmen auf das Dach. Von
       dort aus liefern sie sich eine stundenlange Schießerei mit
       Sicherheitskräften. Save the Children war wohl gar nicht ihr Anschlagsziel
       und hat deshalb „nur“ drei Tote zu beklagen; die Polizei einen Toten. 50
       Mitarbeiter überleben in einem Schutzraum.
       
       Noch mal vier Tage danach lassen die Taliban mitten im Berufsverkehr in der
       Kabuler Neustadt einen mit Sprengstoff gefüllten Krankenwagen detonieren.
       Sie töten damit 103 Menschen. Und wieder zwei Tage später, am Morgen des
       vergangenen Montag, stürmt ein 5-Mann-Kommando des IS eine Militärkaserne
       in Kabul und erschießt 11 Soldaten.
       
       ## Taliban hält IS für Verräter am Dschihad
       
       Die Taliban und örtliche Splittergruppen, die sich dem in Afghanistan nach
       seinem arabischen Kürzel „Daesch“ genannten IS angeschlossen haben,
       scheinen sich in Afghanistan einen Terrorwettbewerb zu liefern, wobei die
       Taliban vehement, aber gegen jeden Augenschein bestreiten, dass sie
       überhaupt Zivilisten treffen, wobei sie zivile Regierungsmitarbeiter sowie
       Polizisten und Soldaten außerhalb des Kampfgeschehens als legitime Ziele
       betrachten.
       
       Der Terrorwettbewerb ist Ausdruck erbitterter Konkurrenz zwischen Taliban
       und IS. Dessen lokale Gruppen sind Mitte 2014 in Afghanistan aufgetaucht
       und haben den alteingesessenen Taliban, die Afghanistan jahrelang bis zum
       US-Einmarsch nach dem 11. September 2001 regierten, den Kampf angesagt. Die
       Taliban, finden die IS-Gruppen, seien gegenüber der vom Westen
       unterstützten Regierung zu weich. Schon dass die Taliban zeitweilig mit den
       USA verhandeln, eine politische Lösung in Afghanistan nicht generell
       ablehnen und dafür sogar ein Verbindungsbüro im Golfstaat Katar
       unterhalten, betrachten die IS-Radikalen als Verrat am Dschihad.
       
       Sie betrachten sich den Taliban auch deshalb moralisch überlegen, da sie
       die Wiedererrichtung eines pannationalen islamischen Kalifats anstreben,
       während die Taliban im Grunde Nationalislamisten sind, denen es
       ausschließlich ums eigene Land geht. Immer wieder haben die Taliban
       öffentlich erklärt, dass sie nach vollendeter Mission keine Invasion in die
       Nachbarstaaten planen. Vor allem aber sind sie seit ihrer Entstehung im
       Jahr 1994 nie außerhalb des Landes militant geworden – von ihren
       Rückzugsgebieten jenseits der Grenze in Pakistan abgesehen. Weder an den
       Terroranschlägen des 11. September 2001 noch an späteren waren Afghanen
       beteiligt, die mit den Taliban zu tun hatten.
       
       Die alteingesessenen Taliban betrachten den lokalen IS-Start-up als
       Konkurrenz in einem Kampf, in dem sie sich selbst auf der Siegerstraße
       sehen. Seit Ende 2015 haben sie das Territorium, das sie völlig oder
       überwiegend kontrollierten, um ein Viertel ausgedehnt. Unter
       Taliban-Herrschaft leben nach US-Angaben heute 3,7 von etwa 32,1 Millionen
       Afghanen, also über ein Zehntel. Weitere 9 Millionen Afghanen leben in
       Gebieten, in der sich ihre Kontrolle und die der Regierung in etwa die
       Waage halten. Im Juni 2015 schickten die Taliban dem IS-Kalifen Abu Bakr
       al-Baghdadi im irakischen Mossul sogar einen Brief mit der freundlichen,
       aber deutlichen Warnung, die IS-Emporkömmlinge würden die Front der gegen
       die „US-Besatzer“ kämpfenden „Mudschaheddin“ spalten. Spaltung („Schirk“)
       ist im Islam so etwas wie eine Todsünde.
       
       ## Der IS verbreitet mehr Schrecken
       
       Der Warnung ließen sie Taten folgen. Eine Offensive der
       Taliban-Spezialtruppe Sra Qita (Rote Einheit) überlebte nur eine der ersten
       sechs IS-Gruppen. Die Überreste zogen sich in die Ostprovinz Nangrahar
       zurück, wo sie hoch in den Bergen ein paar Basen und in einigen Tälern ein
       Terrorregime errichteten. Wer sich widersetzte, wurde hingerichtet. Videos
       davon, im Internet verbreitet, erregten unter den Afghanen allerdings mehr
       Schrecken, als die Taliban es noch vermögen.
       
       Mit den Taliban haben sich viele Afghanen arrangiert, nachdem sie einen
       etwas gemäßigteren Kurs einschlugen und nicht mehr generell Schulen und
       Kliniken schlossen, sondern die Regierung für deren Weiterbetrieb zahlen
       lassen. Beim IS hingegen gibt es nur eines: völlige Unterwerfung. Das sorgt
       aber auch dafür, dass sie kaum eine lokale Basis entwickeln können.
       
       Zulauf zum IS beschränkt sich in Afghanistan auf die gesellschaftliche
       Randgruppe der Salafisten – die Taliban gehören zur sunnitischen
       Mainstream-Schule der Hanafiten. Nur in den Ostprovinzen Nangrahar, Kunar
       und Nuristan existieren isolierte salafistische Gemeinden, die auf
       saudische Missionierung Ende des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Sie boten
       den neuen Gruppen Zuflucht. Zulauf kam außerdem von Dissidenten der
       afghanischen sowie der gesonderten pakistanischen Taliban-Bewegung.
       
       Auch Mullah Abdul Rauf Chadem, ein Vizemilitärchef der Taliban, war im
       US-Gefangenenlager Guantánamo unter dem Einfluss arabischer Mitgefangener
       Salafist geworden. Nach seiner Freilassung zu den Taliban zurückgekehrt,
       wurde er geduldet, solange es IS-Gruppen noch nicht gab. Doch als er die
       Flagge wechselte und sich zum IS-Landeschef ernannte, war es damit aus.
       Westliche Luftschläge töteten ihn und kurz später auch seinen Bruder und
       Nachfolger im Februar 2015. Es wurde gemunkelt, die Koordinaten stammten
       von den Taliban.
       
       ## Afghanistans Regierung kann wenig ausrichten
       
       Zulauf für den IS kam auch aus der salafistischen Online-Schickeria, die
       sich in Städten in antiwestlichen Sektoren der Jugend herausgebildet hat.
       Einige aus dieser Szene sollen tatsächlich die Tastatur mit der
       Kalaschnikow vertauscht, manche sich sogar nach Syrien und Irak
       durchgeschlagen haben. Es kann sich aber höchstens um ein paar Dutzend
       gehandelt haben.
       
       Seit 2015 schlossen sich auch Taliban-Splitter in Nordafghanistan dem IS
       an. Dabei sticht Qari Hekmat in der Provinz Dschausdschan hervor. Er wurde
       aus der Taliban-Bewegung geworfen, nachdem er sich geweigert hatte,
       Zwangssteuern an die Zentrale abzuführen. Er brachte zwei Distrikte der
       Provinz unter Kontrolle und streckte Fühler in Nachbarprovinzen aus. Der IS
       schickte Mitte 2016 aus Nangrahar Emissäre, die die Taliban aber abfingen
       und hinrichteten. Seitdem war von Kontaktversuchen nichts mehr zu hören,
       Hekmat blieb isoliert.
       
       Afghanistans Regierung scheint gegen die IS-Radikalen wenig ausrichten zu
       können. Am Dienstag gab der Geheimdienst bekannt, dass er in Kabul ein
       IS-Waffenlager ausgehoben habe. Eine ähnliche Erfolgsmeldung gab es schon
       Anfang Januar, als eine IS-Zelle ausgehoben worden sein soll. Die kommende
       Anschlagswelle verhinderte das nicht.
       
       1 Feb 2018
       
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